"Gefühls-Hurri-Kane"
12.08.2023 | 14:13 Uhr
Harry Kane wechselt zum FC Bayern und ist damit der teuerste Spieler der Bundesliga-Geschichte. Ein Spieler seines Formats rückt die Bundesliga ein kleines Stück in Richtung des Scheinwerferlichts, in dem sonst nur die Premier League, der FC Barcelona oder Real Madrid stehen. Trotzdem löst dieser Transfer nicht nur Zufriedenheit aus. Sky Redakteur Max Georg Brand über gemischte Gefühle.
Kommt er? Kommt er nicht? Er kommt! Er kommt doch nicht! Jetzt kommt er - aber wirklich! Der Kaugummi-Transfer von Harry Kane zum FC Bayern ist offiziell. So manchem dürfte es in den vergangenen Tagen schwergefallen sein, bei der sogenannten Transfer-Saga um Harry Kane immer up to date zu bleiben; zu viele Entwicklungen über einen zu kurzen Zeitraum inklusive eines Entzugs der Flugerlaubnis. Sowas hatte die Fußballwelt zuvor noch nicht gesehen! Am Ende beschreibt dieser Transfer-Hype nur zu gut, welche Tragweite der Wechsel des Kapitäns der englischen Nationalmannschaft zum deutschen Rekordmeister hat. Die Ablösesumme jenseits der 100-Millionen-Euro-Schallmauer unterstreicht dies doppelt mit einem roten Filzstift.
Nun drängen sich ein paar Fragen auf: Wem außer dem FC Bayern und dem Kane'schen Trophäenschrank nützt dieser Spielerkauf? Der Bundesliga? Ihren Fans? Überstehen Müller, Musiala und Co. mit Kane endlich mal wieder das Viertelfinale im DFB-Pokal? Fragen über Fragen. Und nicht jede lässt sich leicht beantworten.
Als Hardcore-FC-Bayern-Fan wäre es nun naheliegend, nur noch mit einem breiten Grinsen über den Marienplatz zu schlendern, sich gleich das neue Champions-League-Trikot für eine Unmenge an Geld zu kaufen und sich die Nummer neun und "Kane" auf den Rücken drucken zu lassen. Vor wenigen Wochen schien ein Kane-Wechsel noch unwahrscheinlich, doch nach einer Menge Wasser, das die Isar hinuntergeflossen ist, ist die Fußballwelt eine andere. Die Bayern-Fans befinden sich nahezu alle im Harry-Hype. Und die Liga? Die sucht nun nach der Antwort auf die Frage: Tut uns der Deal gut oder nicht?
Als Fan der Bundesliga und durchaus emotional-kritischer Begleiter des FC Bayern erlebe ich aktuell eine Art Wechselbad der Gefühle. Einen "Gefühls-Hurri-Kane". Werde ich gefragt, ob ich den Transfer begrüße, fällt es mir schwer, eine klare Antwort zu finden. "Kane Ahnung!" Ich bin verwirrt. Schlechte Wortspiele (kann übrigens auch Thomas Müller) inklusive! Vielleicht geht es euch ähnlich.
Als jemand, der am Abend den Supercup vor Ort in der Allianz Arena sehen wird, bin ich gespannt darauf, den Rekordtorschützen der Three Lions das erste Mal als Spieler des FC Bayern den Rasen betreten zu sehen. Spurs-Fans müssen nun stark sein: Nicht einmal 24 Stunden seit Vertragsunterschrift könnte Kane schon den ersten richtigen Mannschaftstitel seiner Karriere in den Händen halten.
Ich kenne zwei Brasilianer, die mit dem Besuch des Supercups zum ersten Mal ein deutsches Stadion betreten werden. Beide konnten es am Freitag kaum glauben, als es hieß, dass ein Einsatz Kanes schon gegen RB Leipzig möglich sei.
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Für sie ist es das erste Mal, dass sie den FC Bayern, der als einer von wenigen deutschen Klubs internationale Strahlkraft besitzt, live im Stadion sehen werden. Und dann ist da noch dieser Top-Star, der am gleichen Tag seine Premiere feiern wird. War Kane in diesem Falle zwar nicht der Anlass für den Besuch, ist Kane natürlich ein Zuschauermagnet - national wie international.
Beide wissen jedoch auch, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sein wird, dass der Rekordkauf der Bayern nicht unbedingt zur Spannung in der Liga beitragen wird. Und das direkt in der Saison nach dem spannendsten Liga-Finish seit Jahren. Zugegeben, sie sind mit drei verschiedenen Meistern in den vergangenen drei Jahren auch ziemlich verwöhnt. Mit Blick auf die Bundesliga kommt diesbezüglich jedoch ein maues Gefühl in meiner Magengegend auf.
Hat dieser Endspurt nicht allen Begleitern der Bundesliga - auch den eingefleischtesten Bayern-Fans (!) - mal wieder gutgetan? Die Meisterschaft nicht als selbstverständlich in den Händen des Titel-Abonnenten anzusehen und endlich mal wieder dieses Gefühl eines anhaltenden Konkurrenzkampfes zu spüren, es war eine wohltuende Kur nach jahrelanger bajuwarischer Dominanz.
Auf die Kur könnte nun schon der nächste Kater folgen. Entwickelt sich Kane nicht zu einem zweiten Sadio Mane, dann wird es - gelinde gesagt - schwierig für Dortmund, Leipzig und Co., München in den kommenden Jahren Paroli zu bieten. Ist das der Preis, den man in Deutschland zahlen muss, um die Top-Stars dieser Welt hierzulande spielen zu sehen?
Dem schließt sich gleich die Frage nach der "Dankbarkeit" an die Münchner an. Ich bin niemand, der nun der Meinung wäre, die Liga müsse dem FC Bayern für diesen Transfer danken, weil sie einen Weltstar in die Liga geholt hätten. Selbst wenn die kleineren Klubs auf lange Sicht durch die entstehende Aufmerksamkeit mehr Einnahmen generieren würden. Der Abstand zur (einsamen) Spitze wird im Normalfall erfahrungsgemäß trotzdem nicht kleiner, sondern nur noch größer.
Und dennoch ist es die einzige Möglichkeit, dem (englischen) Ruf der Ausbildungsliga ein Stück weit zu entkommen. Dass nun auch noch der Kapitän der Nationalmannschaft künftig nicht mehr auf der Insel spielen wird, dürfte so mancher für unmöglich gehalten haben. Es ist ein Zeichen in die Welt, dass auch ein deutscher Klub, was das Sportliche, den Reiz des Umfelds und sicherlich auch die finanziellen Möglichkeiten angeht, mit anderen Ligen und Klubs mithalten kann. Kanes Endstation heißt eben nicht Tottenham oder Saudi-Arabien.
Zwiegespalten ob des Transfers ist auch meine Twitter-Bubble. Die meisten Fans anderer Klubs beschäftigen sich eher mit den Freuden und Sorgen des eigenen Teams. Feuern sie nicht gerade den BVB oder RB an, dann ist ihnen der Titelkampf mittlerweile herzlich egal. Ob Kane nun da ist oder nicht.
Mal von den Kommentaren abgesehen, in denen diskutiert wird, ob nun Bremens Christian Groß, Augsburgs Niklas Dorsch oder schon am Samstag Leipzigs Willi Orban der erste sein wird, der Kane rüde umnietet, ist der Tenor eher der, dass die Bayern ohnehin schon unerreichbar seien.
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Es wird aber auch diejenigen in der Republik geben, die sich darauf freuen, wenn die Bayern beispielsweise in der ersten Pokal-Runde zu Gast bei Preußen Münster sind oder das erste Mal beim 1. FC Heidenheim aufschlagen. Wenn nun auch noch einer der besten Stürmer der Welt aufläuft und sein Können zeigt, werden die Augen groß.
Als ich mein erstes Bayern-Spiel im Stadion verfolgt habe, standen noch Kahn, Linke oder Rau gemeinsam mit Ballack, Salihamidzic oder Giovane Elber auf dem Platz. Das waren Anfang der 2000er zwar Stars, sie sind jedoch kein Vergleich zu Kane, Kimmich oder de Ligt. Beide "Fußball-Epochen" haben Spaß gemacht und werden auch in Zukunft Spaß machen. Damals war es Unterhaltung und auch heute ist es Unterhaltung. Sie ist nur anders.
Es hat sich (vergangene Saison ausgeklammert) mehr zu einer Star-Schau, denn zu spannungsgeladenen Spielen entwickelt. Zu Beginn des Jahrtausends war die Wahrscheinlichkeit eines Bayern-Sieges auch schon hoch. In den vergangenen Jahren ist sie jedoch nochmal signifikant angestiegen. Im Grunde wäre die Mischung beider Unterhaltungsarten doch der perfekte Zustand. Ein utopischer Wunsch, mit dem man sich wohl wird abfinden müssen.
Auch deshalb wäre ich in meinem Leben nicht unglücklicher gewesen, wenn Harry Kane nicht in die Bundesliga gewechselt wäre. Ich hätte es genauso spannend gefunden, zu sehen, welchen Plan B die Chefetage an der Säbener Straße ausgeheckt hätte und wie sich möglicherweise ein noch sehr junger Mathys Tel in größerer Verantwortung präsentiert hätte. Darauf müssen wir nun warten.
Und so bleibt am Ende eine Mischung aus Vorfreude auf viele spektakuläre Tore und einen konkurrenzfähigen FC Bayern im DFB-Pokal (und natürlich der Champions League) sowie der Befürchtung, dass so manche Kinder hierzulande bis zur Volljährigkeit keinen anderen Deutschen Meister als den FC Bayern sehen werden. Dagegen käme nicht mal die Kraft eines Hurri-Kanes an.
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