Müller spielt nimmer - Nagelsmanns Spiel mit dem Feuer
18.02.2023 | 23:36 Uhr
Beim CL-Kracher in Paris nur zweite Wahl, in Gladbach nach einer frühen Roten Karte bereits nach einer Viertelstunde ausgewechselt. Thomas Müller durchlebt aktuell schwere Tage beim FC Bayern. Trainer Julian Nagelsmann liefert sportliche Beweggründe - und spielt doch mit dem Feuer.
"Müller spielt immer" - dieser einst von Lous van Gaal im Jahr 2010 formulierte Leitsatz könnte in München 2023 in "Müller spielt nimmer" umformuliert werden müssen. Am vergangenen Dienstag verzichtete Trainer Julian Nagelsmann bereits freiwillig auf den Weltmeister von 2014.
Der "Raumwandler" hatte aus rein sportlichen Gründen das Nachsehen gegen Torjäger Eric Maxim Choupo Moting und Supertalent Jamal Musiala. Vier Tage später durfte der 34-Jährige zwar von Beginn an ran, aber als Nagelsmann aufgrund einer frühen Roten Karte gegen Dayot Upamecano aus taktischen Gründen bereits in der Anfangsphase wechseln musste, erwischte es Müller.
Nicht etwa Choupo-Moting, der sich in Paris 75 Minuten lang gegen Marquinhos und Ramos aufrieb. Auch nicht Serge Gnabry, der seit Wochen nach seiner Form sucht, oder Ryan Gravenberch, der in der Mannschaftshierarchie einige Stufen unter Müller anzusiedeln ist.
Nagelsmann hätte auch Leon Goretzka, der immer wieder mit muskulären Problemen kämpft, aber zuletzt gegen Wolfsburg, Bochum und Paris dreimal durchspielte, auswechseln können. Doch der Coach entschied sich dafür, seinen Kapitän, für den es auch noch ein ganz besonderes Spiel war, weil er nach Bundesligaspielen mit Oliver Kahn gleichzog, nach gerade einmal 16 Minuten vom Platz zu nehmen.
Das ist Nagelsmanns gutes Recht, er ist der Trainer, er entscheidet, wer spielt und wie lange. Und doch wurde man den Eindruck nicht los, dass auch der gebürtige Landsberger nach dem Spiel am Sky Mikro wusste, dass die Auswechslung Müllers wohl nicht die beste Entscheidung seiner Trainerkarriere war.
Jedenfalls war der Coach sehr bemüht darum, das Thema klein zu halten. Es hätte "auch jeden anderen treffen können" und sei "beschissen". Er habe die Entscheidung auch "nicht gerne" getroffen, so der Übungsleiter. Überhaupt habe das Ganze "natürlich nichts mit Thomas zu tun" und es tue ihm "auch leid für Thomas". Er wollte einfach "maximalen Speed und Choupo für die Standards" und man musste zudem "extrem schnell" reagieren.
Tatsächlich wird niemand Müller mit Usain Bolt verwechseln, aber der Ur-Bayer hat andere Qualitäten, die in Unterzahl durchaus gefragt gewesen wären. "Radio Müller" reißt seine Mitspieler mit, bewegt sich viel, ist unberechenbar und organisiert das Spiel der Münchner mit seinen Kommandos. Das heißt natürlich nicht, dass die Münchner mit Müller in Gladbach gewonnen hätten, aber Nagelsmann hat mit der frühen Auswechslung seines Kapitäns ein Zeichen gesetzt. An Müller, aber auch an die Mannschaft.
Bei PSG ging das gut - vielleicht auch, weil die Bayern gewonnen haben. Müller stellte sich jedenfalls in den Dienst der Mannschaft und schmollte nicht. Im Gegenteil: Er posierte fleißig für Selfies mit Fans und schien trotz der persönlichen Enttäuschung gut gelaunt. Nach dem zweiten Nackenschlag innerhalb weniger Tage für ihn selbst und der Pleite des Teams bei den Fohlen hat Müller bei seiner Auswechslung zumindest mit dem Trainer abgeschlagen.
Geäußert hat sich der gebürtige Weilheimer, der als anerkannter Führungsspieler in der Mannschaft ein hohes Standing genießt, aber nicht. Man darf gespannt sein, wie die nächsten Tage und Wochen in München verlaufen werden, aber klar ist schon jetzt: Der Coach sollte die Situation nicht unterschätzen.
Nachdem sein Verhältnis zu Manuel Neuer aufgrund der Entlassung von Toni Tapalovic bereits auf eine harte Probe gestellt wurde, braucht der Coach den Publikumsliebling auf seiner Seite, denn die Meisterschaft ist so umkämpft wie lange nicht und in der Königsklasse hat PSG mit Kylian Mbappe gezeigt, dass es im Rückspiel nochmal eng werden könnte. Eine zusätzliche Baustelle kann Nagelsmann also nicht gebrauchen.
Sollte "Müller spielt nimmer" aber weiter ein Thema an der Säbener Straße bleiben, könnte es auch für Nagelsmann ungemütlich werden. Er wäre schließlich nicht der erste Bayern-Coach, der über die Personalie Thomas Müller stürzt. Danach hieß es danach übrigens recht schnell wieder "Müller spielt immer". So weit ist es beim Rekordmeister noch lange nicht. Nagelsmann genießt das Vertrauen seiner Bosse. Aber er spielt zumindest mit dem Feuer, wenn das Thema nicht bald aus der Welt ist...