Trainer & Manager weg! Aber direkte Hertha-Wende illusorisch
25.01.2021 | 17:15 Uhr
Nach der 1:4-Niederlage gegen Werder Bremen haben die Verantwortlichen bei Hertha BSC die Reißleine gezogen und Trainer Bruno Labbadia sowie Manager Michael Preetz entlassen. Für Sky Experte Dietmar Hamann wird dies jedoch nicht zu einer sofortigen Wende führen. Er sieht tieferliegende Probleme.
Anspruch und Wirklichkeit - bei kaum einem Verein ist diese Diskrepanz so groß wie beim Hauptstadtklub Hertha BSC. Mit unzähligen Investoren-Millionen wurde vor einigen Monaten das Projekt "Big City Club" ausgerufen. Ende Januar, zu Beginn der Rückrunde der Saison 2020/21, ist nicht mehr übrig geblieben als das "Big City Chaos".
Nach 18 Spielen steckt Hertha BSC mit lediglich 17 Punkten mitten im Abstiegskampf. Seit dem Jahreswechsel fuhr die Alte Dame in fünf Spielen lediglich vier Zähler ein - obwohl der Hauptstadtklub sich hauptsächlich mit Teams duellierte, die ebenfalls in der unteren Tabellenregion zu finden sind. Gegen die zuletzt kriselnden Hoffenheimer und die ebenfalls nicht vor Selbstvertrauen strotzenden Bremer setzte es mit 0:3 und 1:4 zwei herbe Niederlagen - zu viel für die Verantwortlichen bei Hertha, die nun die Reißleine gezogen und Trainer Labbadia und Manager Preetz vor die Tür gesetzt haben.
Die Entscheidung "nach dem Spiel gegen Bremen war eigentlich alternativlos", erklärt Sky Experte Dietmar Hamann bei Sky90. "Es gab zuletzt einige desolate Auftritte. Das nimmt dann eine Dynamik an, auf die du als Verein reagieren musst. Labbadia hat nach dem Spiel auch einen etwas ratlosen Eindruck gemacht, wenn er sagt, dass ihm die Argumente ausgehen. Diese Wahrnehmung hatte man in Berlin generell. Deswegen ist es keine Überraschung, dass Hertha sich vom Trainer getrennt hat."
Dies bestätigte auch Herthas CEO Carsten Schmidt im exklusiven Sky Interview. "Die sportliche Situation ist kritisch. Wir sind im Abstiegskampf und die Überzeugung von mir und meinen Kollegen hinsichtlich der Lösung mit dem jetzigen Trainerteam war nicht mehr gegeben. Deswegen haben wir uns für diesen Schritt entschieden."
Doch nicht nur Labbadia ist seit dem Sonntagmorgen von seinen Aufgaben beim Hauptstadtklub entbunden worden. Auch Manager Preetz, dem Schmidt eine "gute Zusammenarbeit und hohe gegenseitige Wertschätzung" bescheinigte, muss seine Koffer nach knapp zwölf Jahren in diesem Amt packen.
"Es ist schade, dass es so endet. Wenn man seine gesamte Ära bei Hertha BSC als Sportdirektor anschaut, sind sie natürlich zweimal abgestiegen, aber auch immer wieder zurückgekommen und haben das eine oder andere Mal international gespielt", so Hamann über das Preetz-Aus in Berlin.
Und weiter: "Ich denke schon, dass sie mit den Möglichkeiten, die sie vor dem Investoren-Einstieg hatten, sehr gut gearbeitet haben. Ich glaube, wenn man Michael Preetz insgesamt bewertet, nach den vielen Jahren als Sportdirektor würde ich ihm im schlechtesten Fall eine 2- geben."
Eine gute Note, die letztlich aber nicht für eine Weiterbeschäftigung genügt. Ex-Hertha-Profi Arne Friedrich wird die Aufgaben des entlassenen Preetz bis zum Ende der aktuellen Saison übernehmen. "Ich freue mich sehr, dass Arne total hinter dieser Aufgabe steht. Er ist sehr meinungsstark, reflektiert und energiegeladen. Wir haben beide zur Mannschaft gesprochen und haben ihr die Situation erklärt. Er genießt großen Respekt in der Mannschaft", lobt Schmidt seinen "neuen" starken Mann im Hinblick auf Kaderplanung und sportlich-strategische Entscheidungen.
Die erste dieser Art wird Friedrich zusammen mit Schmidt nun bezüglich der Trainerposition treffen müssen. Neben Ex-Hertha-Coach Pal Dardai, der aktuell die U16 des Klubs trainiert, kursieren zudem noch weitere Namen um die Haupstadt: unter anderem Ralf Rangnick und Domenico Tedesco. Wer letztendlich das Rennen machen wird, ist noch offen.
Schmidt wollte sich diesbezüglich nicht in die Karten schauen lassen, erklärte aber, dass man "einen klaren Plan" habe, der die restlichen 16 Saison-Spiele und die weitere Zukunftsgestaltung mit einschließe.
Für Sky Experte Hamann wird sich bei Hertha BSC allerdings auch mit einem neuen Trainer - unabhängig von der Person - wohl zumindest zunächst wenig ändern. Er sieht aktuell noch weitere Gründe für die sportliche Misere der Alten Dame.
"Ich habe große Bedenken, dass der Trainerwechsel diesen Effekt hat, den sie sich in Berlin wünschen. Wenn die Berliner das glauben, dann täuschen sie sich. Zu den beiden Personalien Lukebakio und Cunha, mit denen es in der jüngsten Vergangenheit Probleme gegeben hat, nehme ich auch noch Guendouzi dazu, der für mich so etwas von disziplinlos spielt. Er ist für die Mannschaft mehr eine Belastung als eine Hilfe", kritisiert Hamann besonders die Neuzugänge.
Genau darin bestehen auch die grundsätzlichen Konflikte bei der Hertha, die er mit seiner Zeit bei den Citizens vergleicht. "Die Berliner haben ein großes Problem - ich habe das in meinem letzten Jahr bei Manchester City mitbekommen, als auch ein Investor eingestiegen ist und viele Spieler geholt wurden. Wir hatten in diesem Jahr große Probleme. Wir hatten die alten Spieler, die schon lange im Verein waren und dann wurden viele neue Spieler für viel Geld geholt. Das bringt in der Mannschaft Unruhe. Es hat damals Probleme gegeben, obwohl das alles charakterlich einwandfreie Jungs - auf und neben dem Platz - waren. In Berlin holst du jetzt Lukebakio, Cunha und Guendouzi, die nur auf sich schauen und nicht auf die Mannschaft. Das sind die Spieler, die für viel Geld geholt wurden. Die verdienen das Doppelte von einem Stark, Plattenhardt, Darida oder Pekarik. Und bringen dann die Leistung nicht."
Somit konnte sich in den vergangenen Monaten auch nicht wirklich eine Mannschaft mit einem funktionierenden Gerüst bilden. "Die Berliner haben in allen Mannschaftbereichen herausragende Spieler. Allerdings hat man immer das Gefühl, da spielt die Abwehr, da spielt das Mittelfeld und da spielt der Sturm. Da war keine Symbiose, da hat nichts zusammengepasst."
Bei der Hertha sei deshalb nun ein "tieferliegendes Problem" entstanden. "Sie haben sehr schnell, sehr viel Geld investiert und Spieler geholt, die teuer waren und viel Geld verdienen werden. Das wissen natürlich die anderen Spieler, die schon länger da sind."
Aus Hamann-Sicht hätten die Verantwortlichen auch mal mit "zwei oder drei Spielern" verlängern sollen, "die du unbedingt halten willst, wie beispielsweise einem Stark oder Plattenhardt." Nun habe man "eine Diskrepanz innerhalb der Mannschaft", die man nur "schwer geglättet" bekommt. "Es ist es eine heikle Situation. Das als Trainer zusammenzubekommen, ist eine Riesenaufgabe."
Ein Blick auf das kommende Programm macht diese nicht unbedingt leichter: In den nächsten Wochen heißen die Gegner nämlich Frankfurt (A), FC Bayern (H), Stuttgart (A), Leipzig (H) und Wolfsburg (A) - Teams, die tabellarisch allesamt vor der Hertha stehen und teilweise sogar noch größere Ansprüche haben als der selbsternannte "Big City Club."
"Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie aufgrund der kommenden großen Gegner da länger unten drinbleiben, als es ihnen lieb ist", so Hamann.
Wäre dies der Fall, droht die Hertha sogar ihren Status als "First League Club" zu verlieren ...