"Hört bloß nicht Martin Kind zu!"
Reingegrätscht - die Kolumne von Kai Psotta*
18.07.2017 | 12:07 Uhr
In der fünften Folge seiner Kolumne ärgert sich Kai Psotta über Martin Kinds vorzeitige Gratulation Richtung Bayern. Er fordert eine andere Einstellung und will Kämpfer statt Punktelieferanten.
Es gibt Aussagen, die meinen Blutdruck in die Höhe jagen. Die mich wirklich kolossal nerven und aufregen. Wie diese von Martin Kind, getroffen nach dem Sieg der Bayern beim Telekom Cup am Wochenende. Danach sagte der Hannover-Boss gegenüber der Bild: "Ich habe Samstag zufällig den Fernseher eingeschaltet. Dann habe ich gedacht: So, das war's. Diese Bayern sind wieder nicht zu stoppen, die Meisterschaft haben sie in der Tasche."
300 Tage bevor die Bundesliga vorbei ist, erklärt Kind die Bayern zum Meister. Ich frage mich ganz ehrlich, wie man solche Aussagen tätigen kann!
Darf man sich so unterwürfig geben?
Am 2. Dezember wird sein Team in der Allianz Arena antreten. Am 21. April sind die Bayern dann in Hannover zu Gast. Was erwartet Kind in beiden Spielen eigentlich von Hannover 96? Ernsthafte Gegenwehr? Reicht es ihm, nicht zweistellig unter die Räder zu geraten? Würde er wollen, dass sein Team am liebsten gar nicht antritt? Oder was?
Natürlich ist mir auch bewusst, dass Bayern sämtlichen anderen Teams in der Liga hochüberlegen ist. Dass der deutsche Rekordmeister wie ein Aston Martin DB11 ist, der es in unter vier Sekunden auf 100 Stundenkilometer bringt, während Hannover 96 eher wie ein Citroen C 1 Airscape, von dem ich nicht einmal weiß, ob der überhaupt die 100 km/h erreicht, daher kommt.
Aber darf man sich trotzdem so unterwürfig geben? Darf man Profisportlern so einfach eine Ausrede anbieten?
Ich sage: Nein! Im Gegenteil. Es ist sogar verheerend!
Auch die Bayern sind verwundbar
Fünf Mal war Bayern in den vergangenen Jahren in Folge Meister. Aber: Auch der FC Bayern ist zu besiegen. Dafür muss aber jeder Gegner, der in München antritt, die Überzeugung mitbringen, etwas Großes leisten zu wollen. Wer in der Allianz Arena aufläuft, muss sich vornehmen, das Spiel seines Lebens zu machen. Weil ein überzeugender Auftritt in der Münchner Festung die eigene Karriere vorantreiben kann.
Ich will nicht mehr diese Typen dort rumlaufen sehen, die den Rasen mit einer Einstellung wie sie einst Sebastian Prödl hatte, betreten. Der sagte: "München ist wie ein Zahnarztbesuch. Muss jeder mal hin. Kann ziemlich wehtun. Kann aber auch glimpflich ausgehen."
Neun Mal hat er mit Bremen gegen Bayern gespielt. Einmal gewonnen, einmal einen Punkt geholt, sieben Mal verloren, bei 31 Gegentoren.
Sprücheklopfer statt Punktesammler
Frankfurts Trainer Niko Kovac drückte es übrigens sehr ähnlich aus. Er sagte: "Es gibt ja den berühmt-berüchtigten Zahnarztbesuch. Einmal im Jahr muss man nach München oder zum Zahnarzt. Manchmal tut es nicht weh, aber oftmals schon."
Ist ja schön und gut, dass man mit solchen Aussagen Preise gewinnt und zum besten Sprücheklopfer des Jahres wird, wie es Prödl geschehen ist, der für seinen Vergleich von der Deutschen Akademie für Fußballkultur ausgezeichnet wurde. Aber Punkte holt man so nicht.
Ich wünsche mir Fußballer, die gegen Bayern gewinnen wollen. Und zwar mit Haut und Haar. Ich will Gegner, die sich reinhängen. Ich will keine Andre Breitenreiters, die sich erst mit Paderborn in München mit 0:6 abfertigen lassen und dann auch noch sagen: "Vielen Dank für das tolle Erlebnis. Wir haben gegen die weltbeste Mannschaft gespielt mit dem weltbesten Trainer."
Ein Beispiel an Arjen Robben nehmen
Ich habe Arjen Robben viele, viele Male interviewt. An dem sollten sich alle ein Beispiel nehmen. Der Kerl brennt immer. Der ist fast nie zufrieden. Der ist die personifizierte Motivation. Ohnehin ist bei jedem einzelnen Bayern-Profi die Gier nach Siegen beeindruckend. Die Lust aufs Gewinnen. Der Hunger nach Erfolgen.
So müssen Fußballer sein. Und mit dem gleichen Ehrgeiz wie Robben und Co. in jedes Spiel gehen, müssen auch die Gegner gegen München ran. Natürlich erwarte ich von Martin Kind nun keine weltfremde Kampfansage. Er soll nicht tönen, dass Hannover um den Titel mitspielt, weil das natürlich unrealistisch ist.
Schluss mit den schlotternden Knien
Aber er soll groß träumen. Er soll Visionen zulassen. Er soll seinem Team Mut vorleben und ihm nicht schon im Vorfeld eine Ausrede zurecht legen.
Bayern hat natürlich wieder die besten Voraussetzungen, Meister zu werden. Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich, wenn wieder alle mit Schiss gegen die Münchner antreten und froh sind, nur zwei, drei Gegentore zu kassieren. Schluss mit schlotternden Knien! Seid mutig! Und hört Martin Kind, zumindest in diesem Fall, einfach mal nicht zu! Im Sinne einer spannenden Bundesligasaison.
*Diskutieren Sie mit Kai Psotta unter Twitter: @KPsotta und #reingegraetscht oder schreiben Sie an kai.psotta@sky.de.
Kai Psotta arbeitet seit Januar 2017 bei Sky. Zuvor berichtete er sieben Jahre bei BILD über den FC Bayern. Psotta veröffentlichte sieben Bücher, unter anderem „Die Paten der Liga", ein Insiderbuch über die Geschäfte von Spielerberatern. Zuletzt war er mit der Autobiographie von Mesut Özil („Die Magie des Spiels) wochenlang in der Spiegel-Bestseller-Liste. Am 1. Juni erschien sein neuestes Werk „Mythos Real Madrid" (Plassen Verlag)