HSV-Sportvorstand Jonas Boldt im Sky Interview zu Steffen Baumgart & Tim Walter
Sky exklusiv || Boldt: "Dieser Standort braucht Typen"
30.03.2024 | 16:45 Uhr
HSV-Sportvorstand Jonas Boldt erläutert im exklusiven Sky Interview seine Zukunftsvorstellungen und wie er beim Hamburger SV stets etwas vorantreiben will. Er ist weiterhin davon überzeugt, dass das Team aufsteigen wird.
Sky: Steffen Baumgart gilt auch hinter verschlossenen Türen als sehr präsent und lautstark. Muss man sich an so einen Typen erstmal gewöhnen?
Jonas Boldt: "Er ist auf jeden Fall ein Typ. Deshalb haben wir ihn auch ausgewählt. Ich arbeite gern mit Typen zusammen! Das hatten wir ja schon häufiger - gerade auch auf der Trainerposition. Ich bin davon überzeugt, dass der Standort das benötigt. Wir haben ihn ja nicht erst gestern kennengelernt. Aber natürlich lernt man einen Menschen im Alltag dann noch ein bisschen besser kennen. Er nimmt auch viel von den Kollegen an. Die Stimmung im Kabinentrakt ist gut."
Sky: Welche Effekte erkennen Sie bislang?
Boldt: "Man merkt, dass Mannschaft und Staff sich intensiv einbringen. An etwas Neues muss man sich oft erstmal gewöhnen, aber er fordert das ein - auch in einer gewissen Lautstärke. Jeder, der Argumente hat, findet bei ihm Gehör."
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Sky: Wie hat er nach dem unbefriedigenden Start reagiert?
Boldt: "Sehr klar in dem, was er fordert und in dem, was er sieht. Mit einer guten Mischung aus Vehemenz und offenen Armen. Uns war bewusst, dass die Situation hier nicht nur von einzelnen Personen abhängt, sondern an diesem Standort alles etwas genauer beleuchtet wird und wir ein paar Stellschrauben wieder anders justieren müssen."
Sky: War Ihnen der Hype der ersten Tage - inklusive Rekordverkäufen der Baumgart-Mütze - ein bisschen zu viel?
Boldt: "Nein, das gehört dazu. Natürlich haben wir ihn nicht wegen der Mütze ausgewählt, sondern wegen seiner Qualitäten. Aber es lässt sich sicher nicht von der Hand weisen, dass der Fußball auch ein Stück weit Entertainment bedeutet."
Sky: Es bleiben noch acht Spiele, um den Aufstieg perfekt zu machen. Das ist nicht viel Zeit. Haben Sie den Eindruck, dass seine Inhalte bereits greifen?
Boldt: "Ja. Natürlich gibt es im Gegensatz zu seinem Vorgänger Tim Walter Unterschiede an einigen neuralgischen Punkten. Grundsätzlich will Steffen aber auch den Ball haben und vielleicht noch ein bisschen schneller umschalten und etwas höher pressen lassen als Tim. Wir spielen jede Woche gegen eine Mannschaft, die bis in die Haarspitzen motiviert ist. So etwas aufzulösen, ist einfach grundsätzlich schwierig."
Sky: Ist es komplizierter eine Mannschaft zu übernehmen, wenn der Vorgänger sehr lange da war und eine sehr eindeutige Spielphilosophie vorgegeben hat?
Boldt: "Wir haben den Wechsel vollzogen, weil ein paar Dinge festgefahren waren. Die zu lösen, ist kein Zauberwerk, sondern harte Arbeit. Ergebnisse tragen natürlich dazu bei, dass die Dinge sich schneller lösen. Zuletzt ging es in die richtige Richtung. Die Niederlage gegen Osnabrück hat natürlich nicht geholfen - aber so etwas ist vorher auch schon in guten Phasen passiert. Die 2. Liga ist brutal eng. Wir wissen, dass wir sehr hart arbeiten müssen. Mit Steffen haben wir den richtigen Mann dafür. Aber natürlich ist er nicht der alleinige Heilsbringer - die Jungs auf dem Rasen müssen ihren Teil beitragen."
Sky: Haben Sie sich zu spät von Tim Walter getrennt?
Boldt: "Wenn man nur die Ergebnisse sieht, ist es ja danach nicht besser gelaufen. Und die Winterpause war ja nicht sechs Wochen lang, sondern eher eine. In der Woche haben wir mit Tim sehr gut gearbeitet und haben beim Auftaktsieg auf Schalke vieles von dem umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben. Dann ist es in eine andere Richtung gegangen. Dass es mit einem anderen Trainer nicht automatisch sofort besser wird, ist auch klar. Ich kann die Kritik verstehen, aber letztlich sind das doch relativ typische Floskeln. Unser Gedanke ist, dass wir mit Menschen arbeiten, und weder Spieler noch Trainer gleich beim ersten Widerstand fallen lassen. Dafür habe ich immer gestanden und werde das auch in Zukunft tun."
Sky: Kontinuität finden alle wünschenswert, aber nicht um jeden Preis. Wie erkennt man den Punkt, an dem es unvernünftig wird?
Boldt: "Man darf beides nicht aus Selbstzweck machen, sondern muss immer aus Überzeugung handeln. Der Wunsch nach Kontinuität ist natürlich da, aber wir haben in vielen Spielen viele Gegentore kassiert und viele Punkte liegen gelassen. Durch den Druck werden Menschen dann auch zunehmend angreifbarer und bringen vielleicht nicht mehr ganz so viel Energie rein wie zuvor. Wenn an jedem Wochenende immer nur um eine Person geht, tut man weder der Person einen Gefallen noch dem ganz großen Ziel."
Sky: Sind Sie anständig mit Walter auseinandergegangen?
Boldt: "Absolut! Wir sind uns vergangene Woche beim Eishockey über den Weg gelaufen. Das war eine sehr herzliche Begegnung und entsprach der Atmosphäre, in der wir auch hier zusammengearbeitet haben. Wir haben uns verabredet, den Kontakt auch in Zukunft zu halten und uns bei Gelegenheit zu treffen. So habe ich das immer gehalten. Wenn man offen und ehrlich miteinander umgeht, geht das. Natürlich gehören trotzdem immer mal harte Entscheidungen dazu."
Sky: Auf einer außerordentlichen Versammlung haben die Mitglieder zuletzt gegen die Möglichkeit votiert, weiter Anteile der Profiabteilung veräußern zu dürfen. Waren Sie überrascht, oder vielleicht sogar erbost?
Boldt: "Das ist nicht der passende Begriff. Jedem steht es zu, seine Meinung zu äußern. Die Frage ist, ob jeder der da abgestimmt hat, wirklich wusste, wogegen er votiert hat. Völlig überraschend war es nicht, das war an der Verteilung im Saal dann irgendwann zu erkennen. Mein Vorstands-Kollege Eric Huwer hat sehr viel dafür getan, um den Prozess vorzubereiten. Der Verein hat mehr als 100000 Mitglieder, und am Ende entscheiden 500. Das ist ein demokratischer Prozess, aber kein repräsentativer. Wir haben das zu respektieren, müssen uns mit dem Blick in die Zukunft aber die Frage stellen, ob das der richtige Weg ist. Man kann nicht immer nur Erfolg fordern, und überall Einschnitte machen und Kosten reduzieren. Aber wir müssen zuhören! Das machen wir auch und haben in vielen Bereichen unsere Identität geschärft. Das ist kein Selbstläufer, deshalb hätten wir uns da ein anderes Votum gewünscht. Dementsprechend ist es umso wichtiger, dass wir in den letzten Jahren gut gehaushaltet haben und mit den Finanzen umsichtig umgegangen sind, um jetzt nicht in ein Loch zu fallen."
Sky: Seit Sie hier sind, ist der Anspruch an Sie: Die Mannschaft darf eigentlich nichts kosten, muss aber immer besser werden. Bringt so eine Entscheidung, die Ihnen auch bei der Kaderplanung mehr Spielraum ermöglicht hätte, Ihre Leidenschaft für Ihre Aufgabe ins Wanken?
Boldt: "In den fünf Jahren habe ich viele Wege beschritten, bei denen ich schon mal überlegt habe, ob ich mir das überhaupt so vorgestellt hatte. Mittlerweile habe ich aber einfach ein tolles Team um mich herum. Natürlich hofft man, dass manche Dinge einfacher laufen und wir auch endlich in die 1. Liga zurückkehren. Es gibt aber keine Garantien. Ich bin hier angetreten, um den Verein nachhaltig aufzubauen und eine Identität zu entwickeln. Dafür stehe ich. Dass Kritik aufkommt, wenn die Ergebnisse nicht stimmen, ist normal. Aber wenn man mich nur an Resultaten misst oder an Transfers, die nach drei Wochen noch nicht eingeschlagen haben, hat man meine Rolle noch nicht ganz verstanden. Für mich ist es wichtig, mich mit den Mitarbeitern und den Gremien auszutauschen. Das funktioniert gut, sonst wäre ich ja auch nicht schon so lange hier."
Sky: Das heißt, Sie sehen Ihre Zukunft im Volkspark?
Boldt: "Ich bin jemand, der Herausforderungen mag und braucht. Du kannst von Spielern und Mitarbeitern nichts erwarten, wenn du nicht auch selbst vorangehst. Natürlich fokussiert sich vieles auf mich, aber für mich ist entscheidend, dass man gemeinsam den Weg beschreitet. Daran bewerte ich, wie viel Freude ich habe - unabhängig von der Liga. Vieles ist uns bei der Gestaltung gelungen - das wird auch in Fußball-Deutschland registriert. Wir haben viele Herausforderungen, die täglich Energie kosten. Aber wenn man merkt, dass man vorankommt, gibt einem das eine Menge zurück. Wie das andere bewerten, liegt natürlich nicht in meiner Hand."
Sky: Welche Art von Kritik lassen Sie zu, was lassen Sie abprallen?
Boldt: "Jede Form der sachlichen Kritik respektiere ich. Man sagt ja immer: Nimm die Kritik von Menschen an, die du auch um Rat fragen würdest. Das halte ich im Fußball und im Leben so. Die Mitarbeiter wissen, dass sie mich überzeugen können, wenn sie gute Argumente haben. Dass in der Emotionalität das Pendel in beide Richtungen extrem ausschlägt, ist nichts Neues - und das kriege ich auch ganz gut gesteuert."
Sky: Ein stabiler Kritikpunkt ist, dass Sie im Winter keinen Innenverteidiger verpflichtet haben. Ein Fehler?
Boldt: "Wir haben die Messlatte sehr hoch gelegt. Mit Schonlau und Vuskovic hatten wir lange das beste Innenverteidiger-Duo der Liga - dadurch ist die Erwartungshaltung gewachsen. Es ist aber nicht selbstverständlich, solche Transfers zu stemmen - insbesondere in der 2. Liga. Diese Messlatte haben wir uns aber als Anspruch genommen. Wir haben im Übrigen bereits gute Innenverteidiger. Dennis Hadzikadunic hat zuletzt stark verteidigt und in der Nationalmannschaft getroffen. Bei uns hat das Gesamtkonstrukt gewackelt, dann siehst du auf einzelnen Positionen auch nicht gut aus. Das wird dann zu schnell runtergebrochen. Wir haben ja über die Mitgliederversammlung gesprochen. Umso wichtiger war es in der Nachbetrachtung, dass wir nicht vogelwild die große Kohle rausgeblasen haben. Das war in der Vergangenheit der Fall und ist dem Klub dann auf die Füße gefallen. Abgewogen haben wir auf der Innenverteidigerposition viele Möglichkeiten. Aber wenn wir nicht der Überzeugung sind, dass wir besser werden, werden wir keine Transfers tun, nur um die Öffentlichkeit zu beruhigen."
Sky: Das letzte Wort über die Möglichkeit, weitere Anteile zu veräußern ist noch nicht gesprochen. Sind Sie zuversichtlich, dass das Votum in naher Zukunft anders ausfallen wird?
Boldt: "Erstmal war es wichtig, dass wir die Rechtsform ändern konnten. Ansonsten ist der Fußball - wie so oft - ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es wird eher destruktiv gedacht. Man lehnt eher ab, anstatt mutig voranzugehen. Das muss man ein Stück weit respektieren. Unsere Aufgabe ist es, weitere gute Argumente für diesen Weg zu finden. Meiner Meinung nach gibt es keine andere Möglichkeit. Gerade in diesen großen Klubs, bei denen viele Meinungen einprasseln, muss man vorsichtig sein, dass es dann nicht irgendwann in eine andere Richtung geht."
Sky: Müssen wir auch gesellschaftlich wieder zu einer anderen Grundhaltung finden?
Boldt: "Definitiv. Es war eine Stärke von Deutschland, dass Menschen durch harte Arbeit vorwegmarschiert sind und dafür respektiert wurden. Das ist im Moment eher nicht der Fall. Wer was wagt, wird angegriffen. Ich will mir diese Haltung dennoch bewahren und mag es, mich mit Menschen austauschen, die ähnlich denken. Deshalb freut es mich auch sehr, dass die Nationalmannschaft wieder gute Zeichen setzt. Durch die letzten beiden Spiele wurden Impulse gesetzt, die wir in Deutschland brauchen. Und ich hoffe, dass der kommende Sommer uns wieder ein bisschen Mut, Vertrauen und Stolz zurückbringt."
Sky: Haben Sie im Austausch mit Ihrem guten Freund Rudi Völler festgestellt, dass der Glaube an eine gute EM auch intern gewachsen ist?
Boldt: "Ja. Sonst würde er den Job nicht machen. Rudi ist ein sehr gutes Beispiel für jemanden, der sein ganzes Leben lang vorangegangen ist und sich dabei nie verstellt hat. Manche waren ja der Meinung, wir bräuchten was junges Modernes auf dem Posten. Aber ich weiß, dass Rudi junge, moderne Varianten zulässt. Davon habe ich selbst profitiert und ich glaube, auch Julian Nagelsmann profitiert extrem von ihm. Dass der Bundestrainer bereit war, einen konsequenten Schnitt zu setzen und Spieler auszuwählen, die das eigene Ego hintenanstellen, hat mir gut gefallen. Ich kann mich zu hundert Prozent mit diesem Weg identifizieren - das fällt nach den beiden Siegen natürlich leichter. Ich habe das aber vorher schon so gesehen."
Sky: Lassen Sie uns abschließend den Weg zurück in den Volkspark finden. Die Haltung mancher Kritiker lautet: Wenn er es im fünften Anlauf nicht schafft, in die Bundesliga zurückzukehren, muss Boldt weg. Greifen die Gesetze des Fußballs, wenn der HSV in dieser Saison nicht aufsteigt?
Boldt: "Diese Diskussion gab es in jedem Jahr zu dieser Zeit, weil wir noch nicht aufgestiegen waren. Ich glaube, die Menschen haben aber gelernt, dass ich nicht beim erstbesten Angebot weglaufe. Ich arbeite seit 20 Jahren im Fußball und hatte bislang zwei Vereine. Nach Nicht-Aufstiegen zu gehen, wäre sicher auch mal der einfachere Weg gewesen. Mir ist es wichtig, gemeinsam mit den Menschen hier etwas voranzutreiben. Daran bewerte ich ligaunabhängig, wie ich meine Zukunft gestalten möchte."
Sky: Werden Ihre Verdienste unterbewertet?
Boldt: "Ich habe einen Champions-League-Teilnehmer verlassen, um in der 2. Liga zu arbeiten, weil ich die Aufgabe für superspannend halte. Wir haben den Klub durch schwere Zeiten geführt und vor einer Insolvenz gerettet. Wenn wir unseren Weg weiter gehen, bin ich überzeugt, dass der Aufstieg folgt und wir in der 1. Liga bestehen können. Ob das so gesehen und bewertet wird, kann ich nicht beeinflussen. Ich versuche - relativ transparent - die Menschen zu überzeugen. Mein Fokus liegt jetzt allerdings erstmal komplett darauf, die letzten acht Spiele erfolgreich zu gestalten. Und ich glaube auch, dass wir am Ende aufsteigen werden."
Sky: Am 32. Spieltag könnte der FC St. Pauli theoretisch im Volkspark den eigenen Aufstieg perfekt machen. Ein Alptraum-Szenario?
Boldt: "Wir sollten jetzt konzentriert unsere Hausaufgaben erledigen und daran arbeiten, dass wir in ein paar Wochen vielleicht ein anderes Szenario haben."
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