Nagelsmann hadert mit Elfer-Szene & kämpft im TV mit den Tränen
05.07.2024 | 22:15 Uhr
Ist das bitter! Die deutsche Mannschaft ist nach großem Kampf im Viertelfinale der Heim-EM auf dramatische Art und Weise an Spanien gescheitert. Bundestrainer Julian Nagelsmann kämpft im Anschluss mit den Tränen, gibt Kabineneinblicke und fordert eine Anpassung der Handregel.
… über seine Gedanken nach dem Viertelfinal-Aus: "Ich kämpfe auch mit den Tränen. Wenn die Spieler so erzählen über die letzten sechs Wochen, dann ist das schon emotional. Es ist jetzt eine Zeit vorbei, die besonders war, wo die Jungs auch echt viel reingeschmissen haben. Sie haben heute unverdient verloren. Ich finde, wir sind gut zurückgekommen. Wir haben in der Halbzeit gut reagiert. Wir haben ein bisschen was korrigiert, weil wir nicht alle bei 100 Prozent waren in der ersten Halbzeit. In der zweiten haben wir es gut gemacht. Spanien hatte zwei ordentliche Chancen in der zweiten Halbzeit. Wir hatten fünf, sechs. Auch in der Verlängerung waren wir dem Siegtreffer eigentlich deutlich näher als die Spanier. Sie hatten noch eine Aktion im letzten Drittel, wo wir den Laufweg ein bisschen verpassen. Dann sind sie mit drei Riesenspielern in der Box. Das ist schon fies zu verteidigen. Es war auch eine gute Flanke - ein bisschen zu wenig Druck am Flügel. Wir haben einen Pfostenschuss, wir haben in der 122. Minute noch einen klaren Kopfball aus fünf Metern. Kai hatte noch eine große Chance, wo Unai Simon den Abschlag zu kurz macht. Am Ende waren wir jetzt nicht zwingend viel besser, aber ich glaube, tatsächlich einen Tick klarer im letzten Drittel, was die Abschlusssituationen angeht. Es tut weh, weil es jetzt zwei Jahre dauert, bis wir es wieder besser machen können. Und ein Heimturnier wird wahrscheinlich in meiner Karriere nicht mehr kommen."
… über die Kabinenansprache nach der Niederlage: "Ich habe gesagt, dass wir ein Land, was in meinen Augen zu viel Tristesse manchmal versinkt, wieder geweckt haben. Wir hatten eine tolle Symbiose mit den Menschen im Land, mit den Fans. Ich glaube, wir haben auch Menschen wieder vor den Fernseher geholt, die Fußball in den letzten Jahren vielleicht nicht geschaut haben. Das ist schon etwas, was wir mitnehmen. Aber wir hätten es gerne noch eine Woche länger gehabt."
… über die Worte von Toni Kroos und Joshua Kimmich ans Team nach dem Spiel in der Kabine: "Josh hat sehr lobende Worte an Toni Kroos gerichtet. Der hat sich wiederum dafür bedankt und der Mannschaft auch attestiert, dass der Glaube viel, viel größer ist als in den letzten Jahren. Dass er das spürt und dass wir das übernehmen sollen in den nächsten Monaten und Jahren. Dass es nicht immer entscheidend ist, dass du brillierst, sondern dass du an dich glaubst und auch den Mut hast, an dich zu glauben, auch wenn noch so viele Menschen vielleicht das Gegenteil behaupten."
… über den Zusammenhalt innerhalb des DFB-Teams: "Deswegen tut es auch so weh, weil wir eine gute Zeit hatten und eine gute Mannschaft haben, die gut zusammengehalten hat. Sie hat alles dafür getan, dass sie erfolgreich ist. Und sie hat nicht alles über sich ergehen lassen. Das nicht als Normalität sehen, sich auf den Platz zu schleppen und zu sagen: 'Jetzt spielen wir ein bisschen Fußball und dann fahren wir wieder nach Hause.' Sondern: Man hat auch heute gemerkt, dass wir uns nach dem 0:1 stemmen, dass wir nicht damit zufrieden sind, dass wir den Menschen auch mehr geben wollten. Was man der Mannschaft oft vorwerfen konnte, was mir auch vorgeworfen wurde, das haben wir in diesem Turnier ganz anders gemacht. Wenn wir wieder lustlos aufgetreten wären, wie es vielleicht mal war und dann ausgeschieden wären, dann wäre es mehr als verdient - dann müssten wir hier auch nicht stehen und mit den Tränen kämpfen. Dadurch, dass die Mannschaft viel investiert hat und sie - auch die Spieler hinten dran - in sechs Wochen nicht eine problematische Situation im Training oder im Homeground hatte, wo ich das Gefühl hatte, ich muss irgendwie intervenieren, war es sehr angenehm. Klar freut sich jeder, dass es irgendwann wieder eine schöne Zeit zu Hause gibt, aber wir wären gerne noch eine Woche zusammen gewesen, weil es sehr viel Spaß gemacht hat."
… über die kommenden Tage: "Wir werden zum Homeground fahren und uns morgen noch einmal mit der Mannschaft zusammensetzen. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was geplant ist, weil ich nicht mit einem Ausscheiden kalkuliert habe. Ich setze mich in den Bus und werde sicherlich morgen irgendwann den Homeground verlassen und zu unseren Familien fahren. Dann haben die Spieler erst einmal den Job zu regenerieren, Urlaub zu machen und dann gut in ihren Klubs zu starten. Ich und mein Trainerteam haben den Job, uns über den Kader Gedanken zu machen, was für die Nations League das Richtige ist, die im September, Oktober und November stattfindet mit einer relativ engen Taktung, wo wir hoffentlich wieder gute Spiele sehen."
… über den nicht gegebenen Handelfmeter: "Ich versuche schon seit Jahren, mich in allen möglichen Schiedsrichtersichtungen einzubringen, warum man bei keiner Handspielsituation bewertet, was aus der Aktion wird. Wenn Jamal das Ding jetzt in den Mittelrang schießt und der Spieler von Spanien kriegt die Hand dahin, dann will ich dafür keinen Elfmeter, weil es keine riesige unnatürliche Bewegung ist. Wenn der Ball aber klar aufs Tor geht, dann stoppt er den halt mit der Hand. Das ist Fakt. Das sieht man. Das macht er nicht absichtlich, das spielt auch keine Rolle. Und das finde ich total skurril im Fußball, dass die Intention der Aktion null bewertet wird, sondern, dass es nur darum geht, ob der Ball jetzt an der Hand ist oder nicht. So eine Flanke, die wir gegen Dänemark als Elfmeter kriegen, ist für mich deutlich weniger ein Elfmeter als das, weil der Ball klar aufs Tor geht - und nicht aufs Tor geht, weil der Spieler ihn mit der Hand stoppt. Dass man das nicht reinkriegt in den Fußball, das zu bewerten, wo der Ball hinfliegt, wenn ich 48.000 Wiederholungen habe, das kann ich nicht nachvollziehen."
Das Interview wurde in der ARD geführt.
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