Kolumne: Lothar Matthäus über die Kritik am FC Bayern und die Chef-Etage
Matthäus lobt Bayern-Jahr trotz CL-Aus: "Unglaubliche Leistung!"
19.04.2022 | 00:03 Uhr
Sky Experte Lothar Matthäus schreibt in seiner Kolumne "So sehe ich das" über das CL-Aus der Bayern, die daraus resultierende Kritik, mögliche Veränderungen in der Chef-Etage des Rekordmeisters und die Folgen eines Lewandowski-Wechsels.
Der FC Bayern wird in diesen Tagen stark kritisiert. So ist das nun mal, wenn beim besten deutschen Verein viele Dinge nicht optimal laufen. Und trotzdem möchte ich die heutige Kolumne mit positiven Worten beginnen.
Das Team von Julian Nagelsmann kann am Samstag zum zehnten Mal in Folge Deutscher Meister werden. Das ist eine unglaubliche Leistung und verdient höchsten Respekt. Natürlich haben sie das meiste Geld, die besten Spieler und so weiter. Und trotzdem: Zehnmal hintereinander die Schale zu holen, ist außergewöhnlich. Das hat weder in Deutschland, noch sonst in einer der großen Ligen jemals irgendein Verein geschafft.
Bayern musste in den letzten Jahren viele Probleme lösen
Der extrem talentierte, aber immer noch sehr junge Trainer Julian Nagelsmann kann am Ende mit 84 Punkten und circa 100 Toren seinen ersten großen Titel feiern. Auch das sind Werte, die so erstmal erreicht werden müssen. Man darf bei all der berechtigten Kritik an jedem Bayern-Beteiligten nicht vergessen, dass es auch für diesen Verein nicht die angenehmsten sportlichen Zeiten sind und viele Probleme zu lösen waren, die für den Erfolg nicht förderlich sind. Corona hat uns allen in der einen oder anderen Form zugesetzt. Leere Stadien, große finanzielle Verluste, Impf-Diskussionen, erschwerte Transfer-Bedingungen. Dinge, die das gewohnte und normale Leben auf eine große Probe gestellt haben.
Auch für Kahn, Salihamidzic oder Hainer war und ist es nicht ganz so leicht, die Geschicke zu führen. Die Fußstapfen von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sind enorm. Was nicht heißt, dass man nicht einiges hätte besser machen können oder sollen, aber dazu später mehr.
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Zunächst ist es mir wichtig, meinen Ex-Verein, für den ich jahrelang alles gegeben habe und dem auch ich wunderschöne Zeiten zu verdanken habe, für die Meisterschaft zu loben. Denn auch das geht nicht von alleine und erfordert sehr viel Arbeit. Vor allem, wenn man ohnehin schon neunmal in Serie der Beste war. Dann weiterhin motiviert zu bleiben, ist nicht selbstverständlich.
Die Bayern werden den eigenen Ansprüchen nicht gerecht
Klar ist aber auch, dass die Ansprüche bei diesem Klub andere sind, als "nur" Deutscher Meister zu werden. Und wenn man in den beiden Pokal-Wettbewerben ausscheidet, dann ist es beim FC Bayern genauso wie bei den anderen Top-Vereinen auf der Welt nicht unerheblich, wie und gegen wen man den Kürzeren zieht. Die Münchener haben im DFB-Pokal 0:5 gegen Gladbach verloren. Es kommt ohnehin so gut wie nie vor, dass Bayern so eine Klatsche hinnehmen muss. Aber wenn man sich die Saison der Borussia ansieht, dann ist so ein Ergebnis noch überraschender als ohnehin.
Und ja, Villarreal ist fußballerisch eine richtig gute Mannschaft und steht verdient im Halbfinale der Champions League. Für die Bayern bedeutet dies allerdings, dass man gegen einen Klub ausgeschieden ist, der im Grunde nicht auf Augenhöhe ist. Weder finanziell noch historisch und schon gar nicht von der fußballerischen und individuellen Qualität. Es waren zu viele Diskussionen und Themen rund um den FC Bayern, die die ganze Saison negativ beeinflusst haben. Die Streitereien auf der Jahreshauptversammlung, die Debatte um Kimmich, der ablösefreie Wechsel von Süle zum BVB, die stockenden Verhandlungen mit vielen Superstars. Leider sind Davies und Goretzka zu einem mehr unglücklichen Zeitpunkt für sehr lange Zeit ausgefallen. Das konnte dieses Team nicht kompensieren.
Die Mannschaft hat zu wenig Bayern-DNA
Zu allem Überfluss kommt dann noch, dass in dieser Mannschaft zu wenig Bayern-DNA vorhanden ist. Es sind nicht genügend Anführer da, die auf dem Platz und in der Kabine die Richtung vorgeben. Vor allem hier merkt man das Fehlen von David Alaba. Wie dieser Kerl bei einem Verein wie Real Madrid die Kollegen auf dem Platz dirigiert und vorangeht. Er ist erst seit ein paar Monaten da und dort sofort zum Leader aufgestiegen. Er jubelt auf dem Feld und in der Kabine, indem er einen Stuhl in die Luft reckt. Das mag im ersten Moment witzig aussehen. Aber die Message, die Alaba damit aussendet ist: Hier ist der Pokal! Wir holen uns das Ding! Oder anders gesagt: Mia san Mia. Und seine Mitspieler, die nun auch schon das ein oder andere gewonnen haben, stachelt das an und schweißt sie zusammen.
Und das geht dem FC Bayern im April 2022 leider ein bisschen ab. Es gibt diesen unumstößlichen Zusammenhalt in der aktuellen Bayern-Mannschaft nicht. Das kommt leider immer wieder mal vor. Überall. Auch zu meiner Zeit war das so. Bei der WM 1994 hatten wir eigentlich einen besseren Kader als vier Jahre zuvor. Aber weil viele mit sich selbst, ihrem Manager oder irgendeinem Vereinswechsel beschäftigt waren, blieb der Erfolg aus. Und das gab es natürlich auch früher in einigen Jahren bei Bayern.
Hinzu kommt aktuell auch der eine oder andere Fehler bei den Verantwortlichen. Natürlich warten die Reporter auf Fehltritte, wenn es sportlich nicht rund läuft. Und wenn der Boss nach dem Ausscheiden vormittags im Cafe "erwischt" wird, dann ist es eben eine Story. Ich will das nicht kritisieren, denn mir sind diese Dinge auch unterlaufen und ich hab dafür mein Fett weg bekommen. Und natürlich darf ein Oliver Kahn auch mit seinen Liebsten ein normales Leben genießen. Aber als Bayern-Boss wäre es vielleicht in dieser Situation etwas schlauer gewesen, der Erste an der Säbener Straße zu sein und mit seinem Team die Köpfe zusammenzustecken. Wenn ich lese, dass jetzt angegriffen wird auf dem Transfermarkt und neue Topspieler kommen werden, dann ist das für mich keine Sensation oder eine überraschend gute Nachricht. Das machen andere Klubs auch. Das ist völlig normal und muss nicht noch hervorgehoben werden.
In der Chef-Etage der Bayern könnte sich etwas tun
Es könnte durchaus sein, dass nach dieser unbefriedigenden Saison Personalien auf der Chef-Etage diskutiert werden. So ist das nun mal in diesem Geschäft. 2012 musste nach drei zweiten Plätzen und dem bitteren "Finale dahoam" der Sportdirektor Christian Nerlinger seinen Platz räumen. Er war das Bauernopfer und so ähnlich könnte es dieses Mal auch laufen. Hasans Job ist mit Sicherheit kein leichter und man darf bei aller Kritik nicht vergessen, dass auch er vor kurzem noch sechs Titel mit dem FC Bayern gefeiert hat und einen sehr großen Anteil daran hatte. Er ist ein äußerst fleißiger und akribischer Arbeiter, der den FC Bayern im Herzen trägt und täglich alles gibt. Genauso wie Kahn und Hainer. Aber er ist eben auch für einige teure Transfers verantwortlich, die nicht wirklich funktioniert haben. Und wenn der sportliche Erfolg so ausbleibt, wie in dieser Saison, dann ist es ganz normal, dass der Sport-Vorstand mit in der Verantwortung ist.
Noch vor ein paar Monaten hätte ich es völlig ausgeschlossen. Aber nach einem Ausscheiden in Europa gegen den FC Villarreal kann man wohl nichts ausschließen. Auch nicht, dass über Max Eberl als Kandidat diskutiert wird. Wie sich das auf das Image von Max auswirken würde, wenn er ein paar Monate nach dem Rücktritt in Gladbach den anstrengenden Job beim FC Bayern übernimmt, ist eine andere Frage. Nochmal: Ich als Bayern-Fan möchte, dass dieser Verein jedes Jahr so viele Titel wie möglich gewinnt. Und wenn er das mit Brazzo, Kahn und Nagelsmann schafft, bin ich der erste, der ihnen von ganzem Herzen zujubelt. Aber so wie es momentan läuft, könnten personelle Veränderungen dazugehören.
Im Falle eines Lewy-Wechsels: Verständnis für alle Seiten
Auch auf dem Platz. Ich will mir weiterhin nicht vorstellen, dass Robert Lewandowski ein anderes Trikot trägt. Aber auch das würde mich nicht mehr allzu sehr wundern. Wenn ihm Barcelona die gewünschten drei Jahre anbietet und sich die Klubs auf eine Ablöse einigen, die den FC Bayern befriedigt, dann könnte ich am Ende alle Seiten verstehen, wenn es zu diesem Wechsel käme. Xavi möchte so schnell wie möglich einen Stürmer. Die Bayern können womöglich eine satte Ablöse gut gebrauchen und Planungssicherheit hätten sie dann auch. Robert würde sich den Spanien-Wunsch am Ende erfüllen und wäre um eine schöne Lebenserfahrung reicher. Barcelona steht zwar nicht über dem FC Bayern, aber vor 100.000 Zuschauern zu spielen und noch einen anderen großen Verein zu erleben, ist möglicherweise auch ein verständliches Ziel.
Ich hoffe nicht, dass er geht, denn er ist weiterhin der beste Stürmer, den es gibt. Aber ich schließe es nicht mehr aus. Sollten sich Klub und Spieler weder auf einen jetzigen Wechsel, noch auf eine Vertragsverlängerung einigen, bin ich mir aber zu einhundert Prozent sicher, dass Robert auch in der nächsten Saison über 30 Tore für die Bayern schießt. Da muss man sich nur nochmal anschauen, wie er in der letzten Saison beim BVB geliefert hat, obwohl man ihn nicht hat gehen lassen.
Vielleicht ist es aber auch so, dass die Bayern am Samstag mit einem großen Spiel gegen den BVB Meister werden, die restlichen Spiele gewinnen und sich dann Trainer und Klubführung zusammensetzen und einen Plan aushecken, damit diese Saison eine Ausnahme bleibt. Die Stärke des FC Bayern war es oft, aus Krisen noch viel stärker wieder herauszukommen. Das haben nicht zuletzt Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn in kurzen Hosen bewiesen. Vielleicht schaffen sie das auch jetzt zusammen als Führungs-Duo. Ich wünsche es ihnen und dem ganzen Verein.
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