Matthäus: Das Mia san mia wird teilweise mit Füßen getreten
28.03.2023 | 15:51 Uhr
Sky Experte Lothar Matthäus blickt in seiner Kolumne auf das Trainer-Beben beim FC Bayern. Dabei kritisiert er die FCB-Bosse besonders für ihre Kommunikation rund um die Nagelsmann-Freistellung. Dem neuen Coach Thomas Tuchel traut er viel zu.
Ich war sehr überrascht, dass die Bayern Julian Nagelsmann entlassen haben. Mir geht es wohl ähnlich, wie vielen Bayern-Fans, die teilweise geschockt waren. Und ich verstehe die Kritik derjenigen, die das Verhalten der Bayern-Bosse, besser gesagt die Art und Weise kritisieren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Nagelsmann der Rauswurf eiskalt erwischt hat. Es ist mir ein Rätsel, wie es sein kann, dass ein italienischer Journalist als Erster über die Vorgänge an der Säbener Straße berichten kann. Aber das nur nebenbei. Viel schlimmer aus der Sicht von Nagelsmann finde ich, dass Uli Hoeneß, Herbert Hainer, Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn in den letzten Wochen ihren Trainer so sehr gelobt haben, wie ich es zugunsten eines Chef-Coachs in München noch nie erlebt habe.
Und dann werfen sie ihn raus. Dass man als Vereinsführung eines der größten Klubs der Welt die extrem hohen Ziele in Gefahr sieht und dann reagiert, ist professionell. Dass man sich dann mit Thomas Tuchel einen der besten Trainer, der möglicherweise nur noch ein paar Wochen verfügbar ist, sichert, ist genauso verständlich wie richtig. Aber einen Angestellten vor wenigen Tagen als Langzeitprojekt zu bezeichnen, um ihn dann zu feuern, finde ich nicht in Ordnung - und hat auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun.
Ich wiederhole mich wenn ich sage, dass das Familiäre, dieses beschützende Etwas, das diesen Verein von allen anderen unterscheidet, so nicht mehr vorhanden ist. Das Mia san mia wird teilweise mit Füßen getreten. Herbert Hainer verteidigt den Verein nicht mehr so, wie es Uli Hoeneß getan hat, und man sollte auch nicht vergessen, welchen Job jahrelang Karl-Heinz Rummenigge abgeliefert hat, wenn es darum ging, sich schützend vor diesen Klub und seine Angestellten zu stellen. Dinge zu erkennen und zu verhindern war die große Stärke dieser beiden. Jetzt wirkt alles so kalt und lieblos.
Auch wenn ich Uli Hoeneß jetzt wieder loben muss, aber er hätte seinen Trainer niemals öffentlich bei Problemen so im Stich gelassen, wie es die heutigen Bosse in vielen Situationen gegenüber Julian Nagelsmann getan haben. Auf der anderen Seite ist es aber auch wieder so, dass Uli aufgrund der eigenen Unzufriedenheit in Bezug auf viele Dinge beim FC Bayern unkontrolliert oftmals einfach nur poltert. Es reicht teilweise aus, dass er von Dritten eine Information bekommt, die er selbst gar nicht verifiziert hat, um dann auszuteilen. Damit meine ich natürlich auch den Angriff auf meine Person vor ein paar Wochen. Erst vor ein paar Monaten hat er meine Arbeit und Analysen in einem persönlichen Gespräch in den Himmel gelobt und mir mitgeteilt, wie gut ich das alles in seinen Augen machen würde und es Attacken wie vor 20 Jahren mir gegenüber nicht mehr geben wird. Der Rest ist leider bekannt.
Ich glaube, dass Uli mit der Arbeit seiner Nachfolger unzufrieden ist und es ihn ärgert, dass er viele Dinge nicht mehr selbst entscheiden kann. Vielleicht ist er im Nachhinein auch unzufrieden mit der Auswahl des Personals, für dass er sich einst so stark eingesetzt hat und das jetzt die Geschicke seines Klubs leitet.
Aber auch er hat, genauso wie die anderen, Nagelsmann permanent in den Himmel gelobt und immer wieder davon gesprochen, dass er das absolute Vertrauen genießt und genau der Richtige sei.
Selbstverständlich gibt es auch gute Gründe für das Aus von Nagelsmann. Die Leistungen der letzten eineinhalb Jahre in der Bundesliga waren nicht konstant genug. Er hat in den letzten Wochen sehr viele Punkte auf den BVB verloren und hinzu kommen dann unglückliche Äußerungen oder eben leider auch eine private Konstellation, die bei einigen in der Mannschaft und im gesamten Klub sehr kritisch beäugt wurden. Ich kenne das, denn auch mein Privatleben wurde oft zum Gegenstand der Diskussion, wenn es darum ging, ob ich der Richtige für den einen oder anderen Posten bin. Das mag nicht schön sein, gehört aber zu diesem Geschäft.
Was allerdings eigenartig ist, sind Äußerungen von Führungsspielern wie Leon Goretzka oder Joshua Kimmich, die Brazzo widersprechen und klarstellen, dass Julian die Kabine eben nicht verloren hatte. Auch hier sollte man hellhörig werden. Fakt ist, das Nagelsmann in den Augen der Verantwortlichen nicht geliefert hat, das schlechte Spiel in Leverkusen das Fass zum Überlaufen gebracht hat, sie Angst hatten, dass ihnen ein anderer Verein Tuchel wegschnappt und sie dann eiskalt, aber in der Sache sportlich professionell, gehandelt haben.
Und weil das alles noch nicht spannend genug ist, trifft der FC Bayern am Samstag auf den Tabellenführer und Ex-Klub von Thomas Tuchel: Borussia Dortmund. Ich tippe darauf, dass Bayern mit zwei Toren Unterschied gewinnt und der große Favorit auf den Gewinn des Doubles bleibt. Auch wenn Dortmund in einer super Verfassung ist, glaube ich, dass auch hier der Faktor Tuchel eine große Rolle spielen wird. Genauso wie in den anderen Wettbewerben. Er kann Dortmund, auch weil er lange dort gearbeitet hat, und er wird seine neue Mannschaft auch in dieser kurzen Zeit unfassbar heiß machen und taktisch fantastisch einstellen.
Die Bayern haben in der Vergangenheit so gut wie immer gegen den BVB zuhause gewonnen und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das ausgerechnet jetzt ändert, wenn es um alles geht.
Tuchel kann auch Manchester City. Er hat bereits im Champions-League-Finale gegen das Team von Pep Guardiola gewonnen und ist oft als Gewinner in diesem Duell vom Platz gegangen. DFB-Pokal kann er auch. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Tuchel dem Triple sehr nahe kommen kann. Auch glaube ich, um nur einen zu nennen, dass ein Spieler wie Joao Cancelo total durchstarten wird unter dem neuen Trainer.
Meiner Meinung nach wird Tuchel mit den zwei pfeilschnellen Außenverteidigern spielen, also Cancelo und Davies. Kimmich und Goretzka bleiben die Zentrale und Müller wird er nicht rausnehmen. Bei diesen fünf Spielern bin ich mir ziemlich sicher. Hinzu kommen wahrscheinlich mindestens zwei Innenverteidiger. Musiala wird am Samstag zur Verfügung stehen, sagt mir mein Gefühl. Spannend wird sein, was er mit Gnabry, Sané, Coman, Choupo-Moting und Mané vorhat. Ich bin gespannt…
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