Die unendliche Kluft
04.03.2024 | 15:40 Uhr
Sky Kommentator Florian Schmidt-Sommerfeld blickt in seiner Kolumne auf das Manchester-Derby zurück. Die Unterschiede zwischen den beiden Klubs sind eklatant.
Pressekonferenzen waren noch nie die Lieblingsbeschäftigung von Pep Guardiola. Aber in diesen Tagen habe ich das Gefühl, er hat noch weniger Interesse daran, etwas preis zu geben. Pep wirkt einsilbig und vorsichtig wie vielleicht noch nie. Über den Stadtrivalen United wollte er vor dem Derby schon gar nicht sprechen. Bloß kein Aufruhr. Der Meistertrainer, der City gefühlt in eine andere Galaxie als den ehemals stets überlegenen Nachbarn gecoacht hat, sprach so respektvoll wie nur irgend möglich über den Rekordmeister.
Nach dem Derby kommt mir der Gedanke, dass diesmal vielleicht auch die alte Weisheit von Klopfer aus Bambi ihren Teil dazu beigetragen hat: Wenn man nichts Nettes zu sagen hat … soll man den Mund halten. Das Ergebnis war mit 3:1 ja wirklich nicht dramatisch. Und auch der Matchplan Uniteds war diesmal - wie so oft in Big6-Clashes - ziemlich passend: Tief verteidigen und kontern.
Nur hat der Neue unter den United-Eigentümer, Großbritanniens reichster Mann Sir Jim Ratcliffe, zum Antritt vor wenigen Tagen bekannt gegeben, er wolle City verdrängen und das binnen drei Jahren - für Zehn-Jahres-Pläne hätten Fans nunmal keine Geduld. Das Derby hat mir besonders durch die Herangehensweise aber auch seinen Ausgang bewusst gemacht, wie unendlich groß die Kluft zwischen der alten und neuen Nummer Eins der Stadt wirklich ist.
Nüchtern betrachtet: Die Red Devils gehen mit einem absoluten Wahnsinnstor aus dem Nichts in Führung, geben gegen den Ball wirklich alles, haben einen überragend aufgelegten Andre Onana im Tor, dazu Glück dass Citys immenser Aufwand ohne Effizienz daherkommt, Jeremy Doku wirkungslos bleibt, De Bruynes Pässen immer ein Tick fehlt und vor allem, dass Haaland mit der bisher größten ausgelassenen Chance seiner Karriere schockiert… und der Rekordmeister verliert trotzdem chancenlos mit 1:3. Wie wäre das Spiel wohl ausgegangen, wenn Haaland (und de Bruyne) einen Tag wie beim 6:2 im FA-Cup gegen Luton gehabt hätten?
Respekt für den Kampf. Aber kann Underdog-Fußball wie ein Kellerkind wirklich der Anspruch des 20-fachen englischen Meisters sein, der die Premier League unter Ferguson 20 Jahre lang beherrscht hat? Wie soll diese Mannschaft in drei Jahren gegen Manchester City mithalten können? Und damit meine ich nicht per ideal aufgehender Kontertaktik 80 Minuten auf ein Remis hoffen dürfen - sondern fußballerisch auf echter Augenhöhe agieren?
Ratlcliffes Umbauarbeiten haben mit dem Abwerben des City COO Omar Berrada begonnen. Er wird wahnsinnig viele Gespräche führen müssen um herauszufinden, wo es in diesem gigantischen Klub wirklich und am meisten hakt.
Das Mithalten gegen Man City auf diese Art und Weise darf United nicht in einer trügerischen Ruhe wiegen, man sei vom Maß aller Dinge doch gar nicht so weit weg. Die harte Realität ist: Chancenlos trotz glücklichem Spielverlauf. Die noch härtere Realität sind elf Punkte Rückstand auf Aston Villa (!) und einen sicheren Champions League Platz. Und selbst wenn die Überraschungsmannschaft der Liga noch einbricht, muss United auf Tottenham oder den Koeffizienten für den fünften CL-Platz hoffen. (Zur PL-Tabelle)
Aus eigener Kraft ist der Gigant aus dem Norden Englands nur noch ein Europa-League-Anwärter. Während sich der ewige "kleine" Nachbar Trophäe für Trophäe in den Schrank stellt. Inzwischen ja sogar den Henkelpott. Um den United seit Jahren nicht mehr mitspielt. Verdammt schwer vorstellbar, dass es in drei Jahren wieder so weit sein soll. Die leidgeplagten Fans würden wohl sogar zehn Jahre warten, wenn ihnen endlich wieder jemand Erfolg garantieren würde. So wie der große Sir Alex Ferguson, der sich vor gut zehn Jahren mit der letzten Meisterschaft verabschiedet hat.
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