Kommentar: In Bremen spricht keiner mehr von Europa - endlich
19.12.2019 | 11:30 Uhr
Der SV Werder Bremen steckt nach der 0:5-Pleite gegen Mainz 05 in einer handfesten Krise. Was sind die Gründe dafür und was muss sich jetzt ändern? Ein Kommentar von Sky Reporter Sven Töllner.
Kurze Rückblende in den vergangenen Sommer - zum Aufwärmen sozusagen: Wenig Geld in der Kasse, aber große Ziele. Abgang Max Kruse - Führungskraft auf und neben dem Platz. Verletzungen, die Notkäufe notwendig machten. Noch mehr Verletzungen, die das Ensemble aus dem Takt brachten. Erklärbare Rhythmusstörungen zum Start, lästige Ergebniskrise in der Folge und die Erkenntnis: Wir sind viel besser, als es aussieht.
Trügerische Selbstzufriedenheit. Denn die jüngsten drei Auftritte der Bremer legen einen anderen Schluss nahe: Die sportliche Leitung hat sich bei der Beurteilung des Kaders verschätzt. Die Zugänge, die Frank Baumann in der vergangenen Transferperiode verpflichtet hat, helfen nicht. Und der Trainer hat zu lange öffentlich vermittelt, dass es nur eine Frage der Zeit sein kann, bis er und sein Team die Kurve in Richtung Europa kriegen werden.
Jetzt im Winter spricht an der Weser keiner mehr von Europa - endlich. Schließlich hat der Verlauf der Hinrunde zu keiner Zeit ernsthaften Anlass zu der Annahme gegeben, dass sich die positive Entwicklung der vergangenen zwei Jahre nahtlos fortsetzen ließe.
Die Verletzungen von Füllkrug, Moisander oder Augustinsson wogen schwer, schienen aber auch immer wieder den Blick dafür zu verschleiern, dass Grundsätzliches im Argen liegt. Keiner der Mannschaftsteile ist durchgehend überdurchschnittlich besetzt. Es fehlt an Aggressive-Leadern und Kreativ-Direktoren, es mangelt an Geschwindigkeit und Stabilität bei Standardsituationen.
An der Rückendeckung für Kohfeldt hat all das nichts geändert. Die ist sowohl aus der Geschäftsführung als auch aus dem Aufsichtsrat unverändert stabil. Worte allein werden dem Trainer allerdings nicht dabei helfen, den Klub aus der Krise zu navigieren.
Der Kader braucht frische Impulse. Keine Ergänzungen, sondern Verbesserungen. Eine erhebliche Herausforderung für Frank Baumann, der auf dem komplizierten Wintermarkt nach Spielern fahnden muss, die mit großer Wahrscheinlichkeit das Niveau heben, den schmalen finanziellen Rahmen aber nicht sprengen dürfen.
Trotz des historischen Tiefschlags gegen Mainz, der Kohfeldts Vertrauen in seine Spieler auf eine harte Probe gestellt hat, bröckelt die Geschlossenheit bislang nicht. Die Mehrheit der Fans ist bereit zu leiden und weiterhin zu unterstützen. Marco Bode hält, als Aufsichtsratsvorsitzender hierarchisch legitimiert, seine schützende Hand über Baumann. Innerbetriebliche Harmonie, die in Krisenzeiten nicht immer von Vorteil sein muss.
Dem Geschäftsführer Sport ist die Verzweiflung über die aktuelle Lage überdeutlich anzumerken. Bei der umfassenden Analyse, die für die Winterpause angesetzt wurde, sollte es also möglicherweise nicht allzu besinnlich zugehen: Die sportlich Verantwortlichen dürften gut beraten sein, sich neben den Maßnahmen zur Kaderverbesserung auch mit den eigenen Versäumnissen zu beschäftigen - und daraus zukunftsorientierte Konsequenzen zu ziehen.