Hart, aber herzlich - Eriks Analyse
26.09.2017 | 09:37 Uhr
Erik Meijer weiß genau, wovon er spricht: Er kennt den Fußball als Spieler, Trainer und Manager. Erik Meijer weiß auch, wie er sich Gehör verschafft: Er ist gelernter Metzger und gebürtiger Holländer, er analysiert hart, aber herzlich.
Und Erik Meijer ist bei Sky in der Regel für Sie da, wenn in der UEFA Champions League der Ball rollt: Im Vorlauf, in der Pause und nach den meisten Live-Übertragungen der Königsklasse erklärt der Analyse-Experte am Touchscreen im "Home of Football" genau, was wie und warum auf dem Rasen passiert ist. Dazu twittert Meijer während der Partien live zu taktischen Hinguckern (#SkyCL bzw. @erikmeijer_) und erlaubt in seiner regelmäßigen Kolumne erste Blicke auf die anstehenden Duelle.
Die schlampigen Bayern bei PSGs Millionensturm und der punktlose BVB gegen Doppelsieger Real haben echte Stresstests vor der Brust. Und auch ordentliche Leipziger stehen vor einer heißen Prüfung bei wilden Fans und einem überraschend starken Besiktas:
Die Bayern waren gegen Anderlecht sehr schlampig und bei Weitem nicht aggressiv genug. Aber sie haben 3:0 gewonnen. Es ist eben so: Wenn du irgendein chinesisches Handy hast, dann bist du nicht so kritisch wie bei einem iPhone. Vom Bestem erwartest du das Beste, und die Bayern sind die Besten der Bundesliga. Und so hat Carlo Ancelotti in seiner Zielvereinbarung für 2017/18 sicher das Finale in Kiew als wichtigstes Ziel stehen. Er ist entsprechend angespannt. Seine Elf muss sich erst finden. Ohne die alten Häuptlinge Philipp Lahm und Xabi Alonso ist noch nicht klar, wer auf dem Platz das Sagen hat. Wer macht die „Drecksarbeit"? Wer darf glänzen? Wer lässt andere glänzen? Welche Typen stehen auf und sagen an, wer was zu tun hat? Ein spannender Prozess, der ein bisschen andauern kann.
Paris scheint da einen Schritt weiter. Ihr 5:0 bei Celtic war sehr überzeugend. Mit Tempo. Mit Selbstverständnis. Mit Spaß. Und mit der überragenden Klasse des Sturmtrios Neymar, Kylian Mbappé und Edinson Cavani. Vor allem Cavani: Einen „Brotfußballer" nennen wir so einen in Holland. Habt Ihr seine Miene nach dem 5:0 in der 85. Minute gesehen? Fußball ist sein Leben. Er hat sich mit Fußball hochgearbeitet und will immer gewinnen, auch zu Hause beim Monopoly gegen seine Frau.
Das Match in Paris gegen diese Truppe wird ein aussagekräftiger Test für die Bayern: Wer wird in diesen 90 Minuten tatsächlich dominieren? Ist PSG so schnell an den Münchnern vorbeigezogen? Oder überrascht der FC Bayern im Umbruch alle und hält die Franzosen mit ihrem 400-Millionen-Glamour-Angriff dank einer Top-Teamleistung in Schach?
Die Leipziger haben eine ordentliche erste Champions-League-Partie abgeliefert. Erst ein bisschen Respekt vor Monaco und der Königsklasse, dann gut gefangen und ein sehr schönes Tor erzielt. Blöderweise haben sie sofort den Ausgleich kassiert. Den hat RBL zwar gut weggesteckt und Chancen gehabt, aber es blieb beim 1:1. Für eine junge Truppe mit wenigen CL-Kilometern in den Beinen war das natürlich trotzdem sehr gut.
Und jetzt kommt die nächste Stufe: in Istanbul, vor einer Wahnsinnskulisse - 90 Minuten fanatisch und laut, gegen ein Besiktas, das viel stärker ist als vermutet. Unglaublich: Die Türken gewinnen auswärts, in Porto! Für Leipzig kann das allerdings sogar ein Vorteil sein. Favorit sind sie in diesem Match nicht mehr. Sie können Besiktas das Spiel überlassen und - hoffentlich ist Naby Keita wieder dabei - auf ihr super Umschaltspiel setzen. Das hat sie letzte Saison so stark gemacht, das hat sie in die Königsklasse gebracht.
Apropos Umschaltspiel: Bei den „Spurs" geht das ebenfalls ruckzuck. Mit viel Durchsetzungsvermögen. Wie der BVB beim 1:3 in London erfahren musste. Und der zielstrebige Harry Kane nutzt seine Chancen klasse und eiskalt. Hut ab, Harry. Aber zu lange grämen sollten sich die Borussen nicht. Es ist jetzt schwieriger, doch noch ist nichts angebrannt. Nach vorne haben sie ja sehr, sehr gut agiert. Mit dem Traumtor von Neuzugang Andrey Yarmolenko als Krönung. Pech, dass ihr 2:2 nicht anerkannt wurde. Pech, dass Tottenham sein bestes Heimspiel in Wembley gemacht hat. Ein strukturelles Problem hat der BVB allerdings auch: die „Restverteidigung". Sie standen extrem hoch, so dass Ömer Toprak und Sokratis riesige Räume absichern mussten. Die beiden spielen taktisch und gegen den Mann richtig gut, die Schnellsten sind sie nicht ... Da muss Peter Bosz nachjustieren, wie er selbst nach der Partie angekündigt hat.
Real Madrid wird überprüfen, ob ihm das gelingt. Wenn nicht, gibt es ein 4:5 - im Duell tolle BVB-Attacke vs. den einzigartigen CR7. Wenn Cristiano Ronaldo die Champions-League-Hymne hört, dann ist er nicht zu bremsen! Außer die gesamte gegnerische Mannschaft verteidigt top - also auch der REST vor den zwei Jungs ganz hinten!
Bayern in der Findungsphase gegen einen Top-4-Gegner. Der BVB nach Auftaktniederlage gegen den Titelverteidiger. Leipzig nach ordentlichem Debüt im Hexenkessel. Das Bundesliga-Trio steht vor kniffligen Aufgaben. Aber hey: Nach dem 1. Spieltag ist noch nichts angebrannt! Gebt Gas und zeigt Europa, wie gut ihr seid!
Euer Erik
PS: Viele Tore sind super, doch eines hat der 1. Spieltag wieder gezeigt: Wenn die kleinen gegen die großen Jungs ran müssen, die Armen gegen die Reichen, dann gibt es hier ein 0:6, da ein 0:5 und der Niederländische Meister hat beim 0:4 zu Hause gegen Man City nicht den Hauch einer Chance gegen den Dritten der Premier League. Das sind leider keine echten Duelle mehr.