Magpies greifen nach den Sternen: Weshalb in Newcastle Ekstase herrscht
03.02.2023 | 23:08 Uhr
Platz drei in der Premier League, die beste Defensive der Liga und nun auch noch der erste nationale Titel seit 68 Jahren? Newcastle United spielt die beste Saison seit zwei Jahrzehnten und im Nordosten Englands greift man sogar nach ganz großen Sternen.
Schlappe 20 Jahre ist es bereits her: Damals, in der Premier League-Saison 2002/2003, gelang Newcastle United unter Trainerlegende Sir Bobby Robson letztmals Großes im englischen Oberhaus. Mit Platz drei schloss man die Spielzeit fulminant ab, darüber hinaus konnte man sich mit der Platzierung das Ticket für die Champions League sichern, in der es die Magpies in der Folgesaison sogar phänomenal bis ins Halbfinale gegen Olympique Marseille geschafft haben. Zwar blieb der ganz große Wurf sowohl in der Liga als auch in der Königsklasse schlussendlich aus - dennoch sprach man in einigen Fankreisen mit Blick auf die Nullerjahre noch vor nicht allzu langer Zeit von den letzten goldenen Jahren des Vereins.
Denn auf die Saison 02/03 folgten nichts anderes als zwei Jahrzehnte der Enttäuschung und Ernüchterung. Robson begab sich damals in den wohlverdienten Ruhestand und der Verein aus dem Nordosten Englands schien damit innerhalb kürzester Zeit sein gesamtes Fundament zu verlieren. Es folgten Platzierungen im Unterhaus der Liga, zahlreiche Trainerwechsel und Unstimmigkeiten in der Vereinsführung. Newcastle hatte sich sportlich zu einem maximal durchschnittlichen englischen Verein entwickelt, mit den beiden Abstiegen in den Jahren 2010 und 2017 mussten die Fans zudem zwei richtig bittere Pillen schlucken.
Heute jedoch, 20 Jahre später, scheinen diese Zeiten des rauhen nordostenglischen Küstenwinds zur Überraschung vieler Newcastle-Anhänger endlich vorbei zu sein. Die laufende Premier League hat bereits 21 Spieltage gesehen und Newcastle United steht auf einem phänomenalen dritten Platz. Nicht nur vor der Saison hätten dies viele Experten und Expertinnen vermutlich eher als unwahrscheinlich eingestuft, der Blick auf die zuvor exponierte jüngere Vergangenheit des Vereins zeigt darüber hinaus, dass sich zumindest einmal auf dem Platz vieles zum Besseren entwickelt hat.
Neben dem beachtlichen bisherigen Abschneiden in der Liga winkt den Magpies zudem bereits ein echtes Highlight dieser Saison. Nach einem engen, aber verdienten 2:1-Sieg gegen FC Southampton am Dienstagabend ist Newcastle im englischen Ligapokal nämlich nur noch einen einzigen Schritt vom ersten nationalen Titelgewinn seit sage und schreibe 68 Jahren entfernt. Letztmals konnte Newcastle 1955 mit dem Triumph im FA-Cup einen wichtigen Erfolg im Mutterland des Fußballs feiern. Mittelfeld-Maschine Sean Longstaff schoss das Team mit seinem Doppelpack im St. James' Park zum ersten Wembley-Finale für Newcastle seit dem FA-Cup von 1999.
Im Finale am 26. Februar trifft Newcastle dann auf Rekordmeister Manchester United. Schon jetzt dürften sich Fans und Anhänger aus der Universitätsstadt in Strömen auf die begehrten Tickets im Wembley stürzen. Trainer Eddie Howe und sein Team haben mit dem Finaleinzug bereits Großes vollbracht. Spätestens jetzt haben alle, die es mit The Toon halten, auch jeglichen Grund dazu, nach den ganz großen Sternen zu greifen und Ende Februar auf ein kleines Fußballwunder zu hoffen.
Doch neben all diesen Lobeshymnen und den großartigen Tagen für alle United-Fans darf keineswegs zu kurz kommen, woher der sportliche Erfolg Newcastles auf dem Platz überhaupt rührt. Coach Howe hat Newcastle seit seiner Amtsübernahme im November 2021 zu einer echten defensiven Festung geformt. In der Liga kassierte Newcastle in abgelaufenen 20 Spielen gerade einmal elf Gegentreffer. Damit stehen die Magpies in dieser Statistik klar auf Platz eins. Die zweibeste Defensive des FC Arsenal hat bereits fünf Tore mehr zugelassen. Auf der anderen Seite stellt man mit Flügelflitzer Miguel Amiron immerhin den sechst-treffsichersten Spieler der Liga.
Eddie Howe und sein Trainerteam haben in der Mannschaftsplanung offenbar die richtige Balance zwischen erfahrenen Säulen wie Torwart Nick Pope (30), Nationalspieler Kieran Trippier (32) oder Stürmer-Garant Callum Wilson (30) und angriffslustigen Youngsters wie Mittelfeld-Mann Joe Willock (23), Inneverteidiger-Hüne Sven Botman (23) oder Ex-Borusse Alexander Isak (23) in der Spitze gefunden. Zusammen stehen dem 45-jährigen Coach Erfahrung und kreative Verspieltheit gleichermaßen zur Verfügung.
Mit dem bereits erwähnten Ligapokal-Held Sean Longstaff steht zudem ein echter Unterschiedsspieler in den Reihen Uniteds. Mit stolzen 27 Einsätzen in wettbewerbsübergreifend allen 27 Spielen und einer durchschnittlichen Passquote von fast 84 Prozent ist der 25-jährige Mittelfeld-Maestro schlichtweg essenziell für Newcastles ruhiges und stabiles Spiel und für Coach Howe unverzichtbar.
Der Coach selbst sieht vor allem die Geschlossenheit innerhalb seiner Mannschaft als Schlüssel zum außerordentlichen Erfolg an: "Teamgeist und Zusammengehörigkeit bringen einen sehr weit, und das haben wir im Moment. Es ist meine Aufgabe, diese Attribute zu schützen, zu fördern und zu stärken. Ich habe einige hervorragende Profis in der Umkleidekabine, die den Verein in dieser Saison stolz gemacht haben", so der 45-Jährige nach dem Finaleinzug am Dienstagabend.
Bei all dem Aufwind und der immensen sportlichen Weiterentwicklung darf jedoch auch nicht vergessen werden, dass der Traditionsclub dank der Übernahme durch das saudische Konsortium vor knapp anderthalb Jahren eine extrem starke finanzielle Kraft im Rücken hat. Auch deshalb konnte sich die Howe-Mannschaft überhaupt erst so derartig schnell weiterentwickeln und in die sportliche Position bringen, in der sie jetzt steht. Transfers von Spielern wie den angesprochenen Isak (70 Mio. Euro Ablöse), Botman (37 Mio. Euro) oder jüngst im Winter auch Anthony Gordon (45,6 Mio.) wären ohne den Einstieg der Saudis schlichtweg undenkbar.
Am kommenden Samstag kehrt die Millionentruppe wieder ins Ligageschehen zurück. Im St. James' Park treffen die Magpies auf das in dieser Saison strauchelnde West Ham United (18:30 LIVE auf Sky Sport Premier League). Mit einem Dreier in der Tasche könnte man weiter in der Liga marschieren und den außerordentlichen dritten Tabellenplatz festigen.
Ganz nebenbei würde man mit einem Sieg einmal mehr das eigene Selbstvertrauen stärken und damit langsam, aber sicher mit großen und selbstbewussten Schritten auf das historische Pokalfinale gegen Manchester United am Ende des Monats zusteuern. Im Nordosten Englands darf man endlich wieder träumen. Denn die Sterne stehen für Newcastle United zum Greifen so nah wie schon lange nicht mehr…