Reiner Calmund über Bayer 04 Leverkusen, FC Bayern, Wirtz, Musiala & Co.

Reiner Calmund war zwischen 1976 und 2004 bei Bayer 04 Leverkusen tätig und hatte dabei zuletzt die Position des Geschäftsführers inne. Im exklusiven Sky Interview blickt der 75-Jährige auf das anstehende Topspiel zwischen Leverkusen und dem FC Bayern (Samstag, ab 17:30 Uhr, LIVE bei Sky).

skysport.de: Herr Calmund, am Samstag steht das Bundesliga-Topspiel zwischen Leverkusen und Bayern an, worauf freuen Sie sich dabei am meisten?

Reiner Calmund: "Ich freue mich immer, wenn die beiden besten Mannschaften der Bundesliga gegeneinander spielen, es ist Spannung und Unterhaltung angesagt. Bei mir gibt es entweder große Freude bei einem Leverkusen-Sieg bzw. einem Unentschieden oder eben Enttäuschung bei einem Bayern-Sieg. Das Spiel ist in jedem Fall aber ein absolutes Highlight in der Bundesliga und ich freue mich am meisten auf erstklassigen Spitzenfußball."

skysport.de: Xabi Alonso ist in dieser Saison bislang die strahlende Figur bei Bayer Leverkusen, wie bewerten Sie seine Leistung?

Calmund: "Xabi Alonso ist wie ein Sterne-Menü, absolute Spitzenklasse. Wenn du als Spieler Weltmeister und Europameister wirst und die Champions League mit Liverpool und Real Madrid gewinnst, geht nicht mehr. Diesen Mann als jungen Trainer zu verpflichten, war ein kluger Schachzug. Er macht keinen Heckmeck und hat eine ruhige Art. Auch bei Bayer sind einige Spieler verletzt oder beim Afrika-Cup, aber ich habe von ihm noch nie eine Klage oder eine Entschuldigung gehört. Er trainiert die Leute, die er hat und macht das herausragend."

skysport.de: Bleibt Alonso auch über den Sommer hinaus in Leverkusen?

Calmund: "Ich hoffe sehr, dass er bleibt. Aber es ist immer schwierig, wenn man einen namhaften Trainer hat, der auch noch erfolgreich ist, weil dann auch absolute Topklubs wie Liverpool oder Real Madrid anklopfen. Das Schwierige ist aber auch das Schöne: Man hat einen Top-Mann. Wenn du eine Flasche als Trainer hast, musst du eine Abfindung bezahlen und eine Briefmarke auf seinen Arsch kleben. Das ist wesentlich unangenehmer, als wenn du einen hast, der Erfolg hat. Wenn man den dann abgeben muss, kassiert man immerhin eine Ablösesumme."

skysport.de: Spielt der Titelgewinn eine Rolle bei seiner Zukunfts-Entscheidung?

Calmund: "Ob der mögliche Meistertitel seine Entscheidung beeinflusst, kann ich nicht beurteilen. Aber ich bin sicher, dass auch Alonso von Leverkusen profitiert. Bayer hat ein geniales Führungstrio: Neben dem Trainer ist da Simon Rolfes, der von Rudi Völler als Sportdirektor überragend eingearbeitet wurde und tolle Transfers getätigt hat und auch Geschäftsführer Fernando Carro ist nicht zu unterschätzen. Er ist ein erstklassiger Fachmann, der bei Bertelsmann davor im Konzern-Vorstand saß und für Milliarden-Umsätze zuständig war und außerdem fußballbekloppt ist. Der hat über die Muttermilch schon Fußball aufgesaugt bekommen und ist ein Segen für Leverkusen. Alonso hat mit Rolfes und dem spanischen Fußballverrückten ein Top-Umfeld um sich, wird gut bezahlt und ich glaube, dass er das alles zu schätzen weiß und sich sehr wohlfühlt, weshalb ich hoffe, dass er bleibt."

skysport.de: Einer der Stars in Alonsos Mannschaft ist Florian Wirtz, der beim Topspiel auf seinen Freund Jamal Musiala trifft. Wen würden Sie als größeres Talent bezeichnen?

Calmund: "Ich würde beide nehmen und will und kann da keinen hervorheben, es sind beide absolut überragend. Ich würde eine Mannschaft aufstellen mit einer Spitze im Sturm, den beiden dahinter und Tempo über außen, dann brennt es im gegnerischen Strafraum und dann kann man nur noch "Hipp-hipp-hurra" rufen. Auch beim DFB könnten beide zusammenspielen, aber das muss Nagelsmann entscheiden. Bayern und Leverkusen können sich glücklich schätzen, solche Spieler zu haben, die werden uns noch viel Freude bereiten."

skysport.de: In der Vergangenheit wurde Wirtz schon mit den Bayern in Verbindung gebracht, dann könnte er auch im Verein mit Musiala zusammenspielen...

Calmund: "Ich hoffe, dass es nicht dazukommt und Wirtz in Leverkusen bleibt. Er ist wie gesagt ein unglaubliches Talent, das Leverkusen braucht."

skysport.de: Auch dank Musiala ist die Punkteausbeute der Bayern wieder einmal stark, Thomas Tuchel musste in der laufenden Saison dennoch schon einiges an Kritik einstecken. Zurecht?

Calmund: "Ich kenne Thomas Tuchel, seit er ein junger Kerl ist und über Nacht zum Mainzer Bundesligatrainer wurde. Ich habe damals eine Kolumne über ihn geschrieben und da war er stolz wie Bolle. Zu ihm kam dann auch mal Rolf Töpperwien [Ex-Sportreporter, Anm.d.Red.] und Tuchel sagte als junger Coach ganz aufgeregt zu mir: "Calli, der Töpperwien steht da". Der meinte, da ist der liebe Gott der Presse vor der Tür. Heute muss man sagen, er hat es mit einem kleinen Verein geschafft, erfolgreich zu sein, aber auch mit PSG und dem BVB. Mit Chelsea hat er ja sogar die Champions League gewonnen, das spricht für sich. Ob er sich jetzt wirklich immer rhetorisch perfekt ausdrückt, weiß ich nicht, das kann man sicher manchmal kritisch sehen. Aber man muss eben auch die positiven Dinge hervorheben. Von dieser ganzen Kritik will ich nichts hören. Er ist ein Top-Trainer."

skysport.de: Kommen wir zu den Bayern. Wie bewerten Sie die Entwicklung des Rekordmeisters in den vergangenen Jahren seit dem Ausscheiden von Uli Hoeneß als Präsident?

Calmund: "Ich habe sehr großen Respekt vor dem FC Bayern München. Der Verein hat so viele Legenden hervorgebracht. An erster Stelle natürlich Franz Beckenbauer. Noch kein Staatsmann ist so verehrt worden wie er und ich zähle zu den Traurigsten, nachdem ich ihn vor eineinhalb Jahren endlich mit einer Laudatio würdigen durfte und ihn besucht habe. Auch Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge haben Außergewöhnliches für den Verein geleistet, auf und neben dem Platz. Auch jetzt aktuell sind die Bayern erstklassig auf allen Ebenen besetzt. Herbert Hainer war lange Vorstand von Adidas, Jan-Christian Dreesen wird als Finanzfachmann von der ganzen Liga geschätzt. Dann gibt es noch mit Hoeneß und Rummenigge zwei Großfürsten als Berater. In der Entwicklung der Bayern gibt es kein Problem. Es ist ungerecht, jemanden mit Uli Hoeneß zu vergleichen, nur weil es zwischendurch nicht läuft."

skysport.de: Dennoch gab es in den vergangenen Jahren - Stichwort Manuel Neuer oder Oliver Kahn - auch einige Nebenkriegsschauplätze bei den Bayern. Wie bewerten Sie diese?

Calmund: "Klar, Neuer war Ski fahren, was er nicht hätte tun sollen und was unglückliche Folgen hatte, aber Fehler passieren. Kahn hat neben seinen absoluten Qualitäten als Torwart auch noch einiges mehr auf dem Kasten, ich habe einige Male mit ihm geredet. Er ist ein intelligenter Junge, der sich beim Bayern-Aufsichtsrat, in dem nur absolute Fachmänner sitzen, vorstellen und diese überzeugen musste. Er konnte nicht einfach sagen, dass die ein paar Bälle schießen und er die halten soll, sondern er hat die so von sich als Kaufmann überzeugt. Er hat einiges drauf, ob er in der Folge dann den richtigen Ton oder die richtige Mischung gefunden hat, weiß ich nicht, da bin ich zu weit weg. Wenn dann auch einfach die Chemie nicht stimmt, dann ist so eine Trennung auch notwendig, aber das alles würde ich nicht zu hoch hängen."

skysport.de: Zurück zum Topspiel. Was muss Leverkusen machen, um das Spiel gegen die Bayern zu gewinnen?

Calmund: "Die Mechanismen bei Bayer müssen laufen und sie müssen befreit in das Spiel gehen wie in jedes andere. Leverkusen hat Qualität, der Bayern-Kader ist aber natürlich auch nicht von Pappe. Sie haben einen Kaderwert, der fast doppelt so hoch wie der von Leverkusen ist. Es ist das absolute Topspiel, das komplett offen ist und das ist das schöne für ganz Deutschland."

skysport.de: Wird der Sieger des Spiels Deutscher Meister und was ist Ihr Ergebnistipp?

Calmund: "Meiner Meinung nach wird das Spiel - egal wie es ausgeht - keine Entscheidung im Meisterkampf bringen. Klar, wenn Leverkusen gewinnt, wäre ein Fünf-Punkte-Vorsprung natürlich ordentlich und die Brust von Bayer wäre noch breiter. Aber eine Entscheidung ist es nicht - da muss man nur mal in Dortmund nachfragen. Ich tippe auf ein 2:2."

Das Interview führte Florian Hartmann

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