Anfang im Interview: "Ehrgeiz darf nicht zur Verkrampfung führen"
19.11.2021 | 20:41 Uhr
Markus Anfang und Werder Bremen kommen in der 2. Bundesliga immer besser in Schwung. Am Samstag (ab 20:00 Uhr live bei Sky) kommt es zum Duell der Bundesligaabsteiger gegen den FC Schalke. Zuvor spricht der Coach im exklusiven Interview bei Sky über die Entwicklung seiner Mannschaft, seinen Ehrgeiz, Niclas Füllkrug, seine Beziehung zu Schiedsrichtern, Simon Terodde und natürlich die Partie selbst.
Sky Sport: Wenn in Bremen das Wort des Jahres gewählt werden würde, wäre 'Wiederaufbau' vielleicht einer der Favoriten - die definierte Leitlinie der Werder-Saison. Sind Sie bei dem Projekt im Plan?
Markus Anfang: Für uns war es wichtig, die Situation zu akzeptieren. Wir mussten erst Transfers abwickeln, um einen gewissen finanziellen Rahmen herzustellen. Es konnte nur um den Wiederaufbau gehen, weil wir ja gar nicht wussten, wer uns dafür zur Verfügung steht. Wir mussten eine Summe erzielen - dadurch war unklar, wie viele Spieler wir verkaufen mussten
Sky Sport: Ging Ihnen das schnell genug?
Anfang: Ein Trainer will natürlich vom ersten Tag an seinen Kader zusammen haben. Aber das war schon im Vorfeld so besprochen. Der Markt ist recht spät angesprungen, dementsprechend spät konnten wir die nötigen Transfererlöse erzielen. Wenn man sieht, wie wir gegen Hannover und Düsseldorf gespielt haben und wie sich der Kader danach verändert hat - da ist schon einiges passiert.
Sky Sport: Wechselhaft gestartet - jetzt vor der Länderspielpause zwei richtig gute Auftritte. Haben sich die Spiele gegen St. Pauli und in Nürnberg auf Ihr Wohlbefinden ausgewirkt?
Anfang: Jeder, der sich im Leistungssport bewegt, fühlt sich natürlich wohler, wenn er Erfolge feiert. Für uns war es einfach wichtig, eine gewisse Stabilität herzustellen. Und man muss die 2.Liga auch kennenlernen. Auch in Sandhausen muss man erstmal punkten - vor allem nach einem Rückstand. Danach der gute Auftritt gegen St. Pauli und der Sieg in Nürnberg - die Mannschaft ist jetzt gefestigter und ich hoffe, dass wir darauf aufbauen können.
Sky Sport: Sie gelten als außerordentlich ehrgeizig.
Anfang: Ja, das stimmt schon. Ich bin schon ein wahnsinnig ehrgeiziger Mensch. Das war schon in meiner Kindheit so. Ich hatte immer eine hohe intrinsische Motivation, das Perfekte rauszuholen. Das ist so geblieben. Im Laufe der Jahre muss man aber lernen, mit diesem Ehrgeiz umzugehen. Das darf nicht zur Verkrampfung führen.
Sky Sport: Als Kind ist Ihnen das vermutlich nicht immer leicht gefallen.
Anfang: Wenn ich hinten gelegen habe, ist auch mal das Spielbrett geflogen - sagen meine Eltern (lacht). Ich konnte nur schwer verlieren. Man muss halt lernen zu respektieren, dass der Gegner auch Qualität hat. Aber wenn man von sich selbst viel erwartet, will man das nicht immer wahrhaben. Das treibt mich aber auch immer wieder an. Aus Niederlagen was Gutes zu nehmen und weiter ehrgeizig zu bleiben - das kann helfen.
Sky Sport: Sie erwarten nicht nur sehr viel von sich selbst, sondern stellen auch sehr hohe Anforderungen an Ihre Mannschaft. Bemerken Sie es, wenn Sie die Spieler überfordern?
Anfang: Man muss sich schon sehr genau Gedanken darüber machen, was der Mannschaft hilft. Meine grundsätzliche Haltung ist: Meine Jungs sind einfach richtig gut. Jeder Fußballer steht und fällt mit seinem Selbstvertrauen. Und es ergibt wenig Sinn, dem Spieler immer zu erklären, was er eigentlich nicht kann. Ich rede lieber darüber, was er kann und versuche das gemeinsam mit ihm auf den Platz zu bringen - dann kommt das Selbstvertrauen zwangsläufig.
Sky Sport: Lassen Sie ein Regulativ in Ihrem Trainerteam zu? Einen, der ehrlich sagt, wenn Sie einen Spieler nicht optimal anpacken?
Anfang: Genau deshalb habe ich ja ein Trainerteam, mit dem ich schon seit Jahren zusammenarbeite. Ganz wichtig, dass nicht nur Ja und Amen kommt, sondern dass sie ihr Gefühl auch transportieren. Und unsere Tür ist immer offen - da kann jeder reinkommen. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Außerdem glaube ich, dass ich mich immer noch ganz gut selbst in die Spieler hineinversetzen kann. Ich war selbst Profi, weiß, was auf dem Platz los ist und was es mit einem macht, wenn du gegen Abstieg spielst, um den Aufstieg oder um Titel.
Sky Sport: Sie haben das niedrige Durchschnittsalter Ihrer Mannschaft angesprochen. Wie wichtig ist es, dass mit Pascal Groß, Leonardo Bittencourt und Ömer Toprak erfahrene Spieler wieder zur Verfügung stehen?
Anfang: Die jungen Spieler sind gut - aber Titel holen die Mannschaften mit einer Altersstruktur von 25 bis 29. Das hat Gründe. Die haben Erfahrungen gemacht, sind stabil und wissen mit Stresssituationen besser umzugehen. Wenn du Spieler auf dem Platz hast, die Ruhe ausstrahlen, kann auch ein 20-Jähriger daran wachsen und Verantwortung übernehmen. Man braucht eine Achse - aber auch diese Spieler müssen erstmal auf hundert Prozent kommen. Wir haben keine Vorbereitungsphase, in der man sie langsam heranführen kann.
Sky Sport: Auch Niclas Füllkrug ist einer dieser erfahrenen Spieler. Seit dem Eklat mit Clemens Fritz scheint er in Topform zu sein. Hat dieser Ausbruch vielleicht sogar etwas freigesetzt bei ihm?
Anfang: Ich finde, er hat auch vorher nicht schlecht gespielt. Aber man erwartet Tore von ihm, wenn er reinkommt. Die hat er nicht gemacht - dadurch ist Unzufriedenheit aufgekommen und er ist im Umfeld sehr, sehr kritisch betrachtet worden. Aber irgendwann platzt der Knoten. Das wäre auch so passiert, dafür brauchte es kein Ereignis. Es ist für uns wichtig, dass wir solche Spieler auf ihr Niveau bringen und dass sie die Qualität auch in den Dienst der Mannschaft stellen. Hart gearbeitet hat er aber immer.
Sky Sport: Gute Ergebnisse, stabileres Gefüge. Bedeutet das, dass Werder das Ziel 'Wiederaufbau' in der Winterpause nach oben korrigieren kann?
Anfang: In der Winterpause wird es wichtig sein, mit diesem Kader eine konzentrierte Vorbereitung zu absolvieren. Wie gesagt: der besteht so ja erst seit dem Ende der Transferperiode - dann kamen noch viele Verletzte dazu. Wir müssen Woche für Woche unsere Leistung abrufen - da bleibt kaum Zeit, individuell zu arbeiten und die Spieler dadurch aufs gleiche Level zu bringen. Die gemeinsame Vorbereitung kann nochmal etwas freisetzen - nämlich einen Teamspirit, wie man ihn Nürnberg gesehen hat. Nach dem Siegtreffer sind alle gemeinsam zur Bank gelaufen. Da wächst eine Kraft in der Mannschaft, die wir uns über Wochen erarbeitet haben.
Sky Sport: Während der Spiele sitzen Sie eigentlich nie. Wollen Sie diesen Spirit von außen befeuern?
Anfang: Wenn ich sitze, sehe ich gar nichts mehr (lacht). Nein, ich bin ein Trainer, der lieber steht und mit auf und abgeht. Ich habe es mal probiert bei meiner ersten Station beim SC Kapellen-Erft - das war nicht meins.
Sky Sport: Die Energie muss raus?
Anfang: Jeder hat so seine Eigenart. Ich brauche das, um einfach auch Teil des Spiels zu sein, um mich auch in viele Situationen mit reinzudenken. Ich gehe schon mal zu meinem Co-Trainer, um ein paar Dinge zu besprechen. Aber dann hast du halt im Vorfeld schon alles wahrgenommen und weißt, worüber du reden musst.
Sky Sport: Florian Kohfeldt hat in der Reflexion festgestellt, dass sein Verhalten an der Linie von den Spielern zwar als energetisch, aber nicht immer als produktiv wahrgenommen wurde. Wie finden Sie die richtige Balance?
Anfang: Er hat sich ja auch nach und nach verändert. So ist das bei mir auch. In Köln habe ich damit angefangen, vermehrt die Hände in die Jacke zu stecken. In manchen Situationen ist man halt emotional - und das muss dann auch so sein. Früher habe ich vielleicht ein paar Momente zu sehr mitgelebt. Das hat sich relativiert - auch durch die Erfahrungen, die man macht. Ich versuche abzuwägen: Wie strahle ich Ruhe aus? Wie und wann versuche ich die Mannschaft aufzuwecken? Und wie komme ich selbst am besten klar?
Sky Sport: Haben Sie den Eindruck, dass Sie bei den Schiedsrichtern einen unerwünschten Ruf genießen?
Anfang: Nein, überhaupt nicht. Ich habe da einen ganz guten Draht - auch zu Lutz Wagner (ehemaliger Top-Schiedsrichter, jetzt Schiedsrichter-Beobachter, Anm. d. Red.), mit dem ich immer mal telefoniere und gemeinsam überlege, wie man Situationen besser lösen kann. In Nürnberg habe ich zum Beispiel eine Gelbe Karte bekommen, weil es ein Missverständnis bezüglich der Wechselperioden gab. Aber wichtig ist, dass man sich danach die Hand gibt und in Ruhe darüber redet.
Sky Sport: Wie laufen die Gespräche mit Wagner ab?
Anfang: Manche Spielsituationen nimmt man einfach unterschiedlich wahr. Durch Kommunikation schafft man es, auch die andere Perspektive zu sehen. Wir haben keine Standleitung, aber wenn ich Fragen habe, kann ich ihn anrufen. Ich finde es wichtig, solche Angebote zu nutzen, um auch die Sichtweise der Schiedsrichter besser zu verstehen.
Sky Sport: Letztes Wochenende kam 'Wetten, dass…' Am kommenden Wochenende läuft die große Samstagabend-Show in Bremen. Ausverkauft, Flutlicht, Schalke ist der Gegner. Fühlen Sie angesichts der Konstellation die Verpflichtung, ein Spektakel zu bieten?
Anfang: Natürlich ist das wie ein Bundesliga-Duell - aber die Realität ist 2. Liga. Dafür gibt es auch Gründe. Selbstverständlich werden wir versuchen, ein gutes Spiel abzuliefern. Wir haben mit St. Pauli den Tabellenführer gehabt - ordentlich gelöst. Wir haben zu Hause Heidenheim gehabt, die waren Dritter - auch ordentlich gelöst. Und jetzt kommt Schalke 04. Und nachdem, was wir in Nürnberg abgeliefert haben, wäre es natürlich schön, wenn wir da weitermachen können. Wie die Atmosphäre dann wird, haben wir gegen Heidenheim und St. Pauli gemerkt und genossen. Da ging die Welle durchs Stadion. So etwas wollen wir mit einem richtig guten Spiel gegen Schalke natürlich sehr gerne nochmal erleben.
Sky Sport: Begeisterung und Lautstärke nach dem Führungstor von Ducksch gegen St. Pauli waren beeindruckend. Hatten Sie Gänsehaut?
Anfang: Absolut. Das war enorm - und ja auch richtig gut gespielt. Leider kann man sich in solchen Situationen ja nicht mehr direkt freuen - weil man nicht weiß: Greift da vielleicht noch einer ein? Natürlich sorgt das für Fairness und gerechte Abläufe - aber bevor ich mich freue, drehe ich mich um und Frage: War irgendwas faul, gab es irgendwo eine Abseitsstellung?
Sky Sport: Schalke kommt mit Simon Terodde, mit dem Sie in Köln zusammengearbeitet haben.
Anfang: Und zwar sehr gerne! Ein außergewöhnlicher Stürmer für diese Liga. Wenn er in der 1. Liga spielen würde bei einer Mannschaft mit viel Ballbesitz, würde er dieselbe Torgefahr ausstrahlen und auch seine Tore machen.
Sky Sport: Ein bisschen zugespitzt: Wäre er bei einem Team wie Bayern München für 15 Saisontore gut?
Anfang: Das will ich nicht behaupten - aber als Strafraumspieler mit seiner Qualität würde er auch in der Bundesliga treffen.
Sky Sport: Er wartet nun schon seit einiger Zeit auf sein 154. Tor - den alleinigen Zweitliga-Rekord. Muss er sich weiter gedulden?
Anfang: Ich gönne ihm das alles von Herzen, weil er ein toller Kerl ist. Aber ich hoffe, dass er am Samstag leer ausgeht und trotzdem glücklich nach Hause fährt, weil er ein gutes Spiel gemacht hat. Die drei Punkte sollen aber hierbleiben. Er hat ja auch wirklich schon genug Tore geschossen in seiner Karriere - nach dem Spiel in Bremen kann er von mir aus gerne damit weitermachen.
Das Interview führte Sven Töllner