CR7 hat es in der Hand: Letzter Auftritt im Abseits oder im Rampenlicht?
07.12.2022 | 23:05 Uhr
Superstar Cristiano Ronaldo wollte in Katar einen letzten großen Auftritt bei einer WM hinlegen. Aktuell spielt er auf dem Platz aber nur eine Nebenrolle. Diese kann ihn am Ende nochmal ins Rampenlicht, aber auch ins Abseits stellen. Die Wahl liegt bei ihm.
Es ist eine dieser Geschichten, die sich mit einem "ausgerechnet" wohl am besten beschreiben lassen. Ausgerechnet Cristiano Ronaldo sitzt beim WM-Achtelfinale gegen die Schweiz zu Beginn auf der Bank. Ausgerechnet Goncalo Ramos, der vor der WM erst ein Länderspiel für Portugal bestritt, soll den Helden Portugals in diesem wichtigen Spiel vertreten.
Ausgerechnet dieser Goncalo Ramos schnürt bei der 6:1-Gala einen Dreierpack. Ausgerechnet in dieser Situation, in der sich der aktuell vereinslose Ronaldo nach seinen Eskapaden bei Manchester United in den vergangenen Wochen befindet, läuft es nun anscheinend auch im Nationalteam nicht mehr für den Rekord- und Titelsammler. Wird ausgerechnet Ronaldo bei einem portugiesischen WM-Erfolg nur noch eine Nebenrolle spielen?
Portugals Trainer Fernando Santos muss schon etwas wahnsinnig sein, wenn er im WM-Achtelfinale gegen zuvor gut aufgelegte Schweizer nicht auf seinen Top-Star und Nationalhelden Cristiano Ronaldo setzt. Wäre das Spiel zugunsten der Nati ausgegangen, Santos' Tage auf der portugiesischen Bank wären wohl gezählt gewesen. Doch im Nachhinein lässt sich sagen, er hat alles richtig gemacht - zum Nachteil von CR7.
Dem 37-Jährigen droht eine K.o.-Phase als Zuschauer beziehungsweise Statist. Doch auch dort kann er eine preisverdächtige Rolle spielen.
Fast zwei Jahrzehnte spielte Ronaldo überall die Hauptrolle und glänzte mit famosen Leistungen. Ob bei Manchester United, Real Madrid oder auch Juventus. Dort, wo CR7 auflief, fielen Tore. Er selbst steuerte in 949 Pflichtspielen auf Klubebene stolze 701 Treffer bei. Für Portugal traf er knapp drei Mal so oft (118) wie Pauleta (47), der Zweitplatzierte in der ewigen portugiesischen Torschützenliste.
Doch diese Statistiken halten immer nur so lange, bis man auf die großen Titel zu sprechen kommt. Ob Messi bis zur Copa America 2021 oder Cristiano Ronaldo bis zur EM 2016, beide mussten lange auf einen Titel mit ihren Nationalteams warten. Ohne diese Titel wären sie trotz ihrer krassen Erfolgsbilanzen mit ihren Klubs ein Stück weit die Unvollendeten gewesen. In Katar kann einer der beiden, die den Fußball in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten dominiert haben, nun auch den größten aller Pokale gewinnen. Vielleicht gelingt es am Ende auch keinem von beiden. Es wäre dieser eine Platz im Trophäenschrank, der für immer leer bliebe.
Aktuell sind beide aber noch voll im Rennen. Während sich bei der Albiceleste alles um Messi dreht und der kleine Floh mit seinen argentinischen Kollegen auf der Erfolgswelle surft, musste Ronaldo am Dienstag seinen Teamkollegen dabei zusehen, wie Ramos, Pepe oder Raphael Guerreiro diese Welle ritten, auch wenn die Zuschauer in der zweiten Halbzeit immerhin lautstark seine Einwechslung forderten und schließlich nach rund einer Stunde auch erhört wurden.
Ob und inwiefern Ronaldo seinem Team nun bei seiner letzten Aufführung helfen kann, liegt ganz beim fünfmaligen Ballon-d'Or-Gewinner. In seiner Nebenrolle könnte er sich wie gegen Ende des EM-Finals 2016 in den Dienst seiner Mannschaft stellen und wie damals als Spielercoach von außen versuchen, auf sie einzuwirken. Dafür müsste er aber die schlechte Laune überspielen, die er bei seiner Auswechslung gegen Südkorea an den Tag legte.
Immerhin: Sollte er nach dem Sieg gegen die Schweiz Groll gehegt haben, man merkte es ihm nicht an. Auf Instagram schrieb er seinen 510 Millionen Followern: "Toller Tag für Portugal, mit einem historischen Ergebnis im größten Wettbewerb im Weltfußball. Luxuriöse Vorstellung von einem Team voller Talent und Jugend. Glückwunsch an unsere Nationalmannschaft. Der Traum lebt! Bis zum Ende! Komm schon, Portugal!"
Der Ronaldo dieser Worte könnte der erste Ansprechpartner und Vorbild der jungen, aufstrebenden Generation in der Selecao sein und ihnen den Zugang zu den letzten Prozentpunkten ihrer Leistung ermöglichen.
Was die Mannschaft nicht gebrauchen kann, sind die Attitüden, mit denen er in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen bestimmte. Das würde das Bild des Egoisten weiter erhärten. Dass er am Tag nach dem Viertelfinaleinzug mit den Startspielern trainierte statt in der Gruppe der Einwechsel- und Reservespieler erhärten diesen Eindruck.
Trainer und Kollegen versuchen diesen Eindruck nicht aufkommen zu lassen. "Ronaldo und ich verwechseln nie den menschlichen und persönlichen Aspekt mit der Beziehung zwischen Trainer und Spieler", betonte Nationalcoach Santos mit Blick auf den "normalen Wechsel", Ronaldo sei trotz der ungewohnten Reservistenrolle "ein sehr wichtiger Spieler in der Mannschaft". Laut Bernardo Silva habe CR7 trotz der Nicht-Berücksichtigung zu Beginn "großen Charakter" in der Kabine gezeigt.
Es wäre möglicherweise sogar das letzte Bild, was die breite Öffentlichkeit von ihm als aktiven Fußballer sehen würde. Ob er jemals wieder vor derartigem Publikum auf dem Rasen stehen würde, darf bezweifelt werden. Ein Wechsel nach Saudi-Arabien wäre für den Modellathleten wohl gleichbedeutend mit einem Rücktritt aus der Nationalmannschaft und einem Abschied aus dem Spitzenfußball. Schwer vorstellbar, dass Ronaldo noch einmal unverzichtbar für die portugiesische Mannschaft wird, falls sie weiterhin das gegen die Schweiz gezeigtes Potenzial auch in Zukunft abruft.
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Cristiano Ronaldo hat über Jahre hinweg die Fußball-Fans weltweit ins Staunen versetzt. Über die Person, sein Auftreten oder sein Verhalten abseits des Platzes lässt sich streiten, nicht aber über die Leistungen, die er jahrelang ablieferte.
Fünf Champions-League-Titel, zahlreiche Meisterschaften und Hunderte Tore sprechen eine deutliche Sprache. Fügt er seiner unnahbaren Art im Alter auch noch die Fähigkeit hinzu, einmal zurückstehen zu können, dann würde er seinem Team wohl mehr helfen, als in seiner derzeitigen Form auf dem Platz. Gelingt ihm das vielleicht schon am Samstag im Viertelfinale gegen Marokko (ab 16 Uhr), ist ihm der Applaus beim Fallen des Vorhangs gewiss.