Das Wunder von Bernd
23.11.2022 | 11:24 Uhr
Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "OHA, KATAR" auf die WM im Wüstenstaat - und schildert seine ganz persönlichen Eindrücke.
Muhammad Ali war wohl der größte Boxer aller Zeiten - zur Ikone wurde er, weil er für seine Überzeugung in den Knast gegangen ist, statt nach Vietnam. Bei Olympia in Mexiko haben die Zuschauer 1968 fantastische sportliche Leistungen genießen dürfen. Nach mehr als 50 Jahren sind allerdings vor allem die gereckten Fäuste der US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos in Erinnerung - und deren schwarze Handschuhe.
Jesse Owens war der herausragende Athlet seiner Zeit - kein politischer Mensch, aber einer, der sich nicht beirren ließ und Hitler 1936 von der Aschenbahn aus freudestrahlend vorgeführt hat. Zusammengefasst: Wer Haltung zeigt, agiert auch für die Geschichtsbücher!
Bernd Neuendorf hat sich bislang nicht für einen Platz in den Annalen der Aufrechten qualifizieren können. Erst klare Kante, dann Eiertanz, dann eingeknickt. Der dienstjunge DFB-Boss hat keine gute Figur abgegeben in den letzten Tagen. Die Vehemenz - das sei ausdrücklich angemerkt -, mit der der DFB seither vor allem sozialmedial an die Wand genagelt wird, erscheint mir gleichwohl zu oft zu unreflektiert, eindimensional und unangenehm populistisch.
In einigen Fällen riecht es gar ein wenig nach "Reputations-washing" in eigener Sache. Drastische Konsequenzen zu fordern, ist für diejenigen ein wenig leichter, die NICHT die Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass 26 Fußballspieler (!) ihren Lebenstraum unverschuldet ad acta legen müssen.
Es ist überdies noch nicht zu spät. Ich wünsche dem DFB in der derzeitigen Lage den Mut zur Kreativität. Ein Auftrag an den Boss. Herr Neuendorf, bitte übernehmen Sie! Was soll passieren, wenn Sie die One-Love- oder besser noch die Regenbogen-Binde auf der Ehrentribüne über die Anzug-Jacke streifen? Kommt Pierluigi Collina mit der Gelben Karte aus dem VIP-Raum gesprungen? Nimmt Gianni Infantino Sie persönlich in Gewahrsam? Oder drückt Ihnen und ihrem Verband irgendein Statutenhuber eine Geldstrafe rein? Wären allesamt erträgliche Konsequenzen.
Die wahrscheinlichste Auswirkung wäre aber wohl ein Jubelschrei aus großen Teilen der Welt - Respekt vor einem aufrechten Unbeugsamen, der nicht nur über Werte redet, sondern mutig für sie einsteht. Schon gut - sonderlich realistisch ist diese Vision natürlich nicht. Es wäre so etwas wie das Wunder von Bernd! Aber - Katja Ebstein kann es bestätigen: Wunder gibt es immer wieder!
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