WM 2022: Hamann über WM-Finale, Messi, DFB, Flick, Bayern, Nübel
Zukunft im Bayern-Tor? "Man könnte auch an Martinez denken"
15.12.2022 | 15:38 Uhr
In seiner Kolumne blickt Dietmar Hamann auf das WM-Finale, nennt seinen Favoriten und huldigt Lionel Messi. Zudem beschäftigt sich der Sky Experte mit der Torwartfrage beim FC Bayern und erklärt, warum Manuel Neuer seinen Nummer-Eins-Status nach seiner Rückkehr nicht automatisch sicher haben darf.
Top 1: Argentinien wird Weltmeister
Die zwei besten Mannschaften des Turniers stehen im WM-Finale. Sie haben in ihren Spielen kaum etwas falsch gemacht. Frankreich hat nur das Spiel verloren, bei dem es um nichts ging. Ansonsten waren sie einigermaßen souverän, auch wenn sie nach ihren Führungen gegen England und Marokko den Fuß vom Gas genommen und mit dem Feuer gespielt haben.
Wenn die großartigen Marokkaner etwas mehr Glück und Qualität gehabt hätten, wäre ihnen der Ausgleich gelungen und dann hätte es eng für den Weltmeister werden können. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass sie so viele prominente Ausfälle zu verkraften haben, die allesamt Stammspieler sind und das großartig kompensieren.
Diese Top-Elf fehlt Frankreich bei der WM
Trotzdem sehe ich im Finale Argentinien als Sieger vom Platz gehen. Nach der Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien ging es für sie gegen Mexiko um alles. Und wenn man sieht, wie sie die niedergerungen haben, mit welch unbändigem Willen sie als eingeschworener Haufen das Spiel entschieden haben, hat sie das so zusammengeschweißt, dass daraus ein Teamgeist entstanden ist, den keine andere Mannschaft zeigt. Die Einheit mit den Fans kommt noch dazu.
Auch wenn vielen die Art und Weise nicht gefällt, wie sie Fußball spielen, schaue ich ihnen sehr gerne zu. Sie machen dich mürbe, jeder Zweikampf wird geführt, als wäre es der letzte. Auch da könnten sich unsere Spieler einiges abschauen. Die Argentinier würden ihre Großmutter tackeln, wenn es nötig wäre, um Weltmeister zu werden. Ich glaube, die Mannschaft von Scaloni ist zu hart für Frankreich.
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Hinzu kommt, dass sie mit Leo Messi auch noch den Spieler haben, der in den letzten 20 Jahren bewiesen hat, dass er der beste von allen ist. Mit 35 Jahren als Offensiv-Mann noch solche genialen Akzente zu setzen, hat es wahrscheinlich noch nie gegeben. Es sind von zehn Aktionen nicht mehr acht, die außergewöhnlich sind, sondern nur noch zwei oder drei, aber die genügen, um jeden Gegner zu schlagen. Er hat beim 3:0 gegen die Kroaten den vielleicht besten Abwehrspieler des Turniers schwindlig gespielt, der gut zehn Jahre jünger ist. Hinzu kommt, dass ihn alle unterstützen und er nicht permanent alles allein regeln muss. Sie spielen für das Trikot, das Land und für Messi.
Messi ist die Nummer eins in den letzten zwei Dekaden
Ich vergleiche ungern Spieler verschiedener Generationen, aber was die letzten beiden Dekaden angeht, gibt es in meinen Augen nur einen, der die Nummer eins ist. Natürlich kann man sagen, dass Ronaldo in mehreren Ländern erfolgreich war, öfter die Champions League gewonnen hat und auch eine Ausnahmeerscheinung war. Aber sein Verhalten vor und während dieses Turniers sind Beleg genug, um festzustellen, dass Messi der größere Sportler ist. Es war unwürdig, nach dem Ausscheiden seines Landes direkt in die Kabine zu gehen und die Kollegen allein zu lassen. Er steht sich selbst im Weg und ist nur durch egoistische und negative Schlagzeilen aufgefallen. Das hat er nicht nötig.
Mir hat auch das Verhalten zwischen den Holländern und den Argentiniern nicht gefallen. Das muss aufhören. Natürlich kann in der Hitze des Gefechtes mal die Fassung verloren werden. Aber es schauen Millionen Fans und Kinder zu und da kann man nicht bei jedem Elfmeter provozieren sowie nach dem Spiel den Gegner beleidigen. Das muss von der FIFA bestraft werden. Nach der Partie hat man sich die Hand zu geben, um zu gratulieren. Das wird hoffentlich nach einem tollen WM-Finale der Fall sein und ich denke, dass am Ende die Franzosen den Argentiniern gratulieren werden und sich Messi mit dem größten Triumph aus der Nationalmannschaft verabschiedet.
Top 2: Die Task-Force ist gut besetzt, aber…
Die Zusammenstellung der DFB-Task-Force hätte schlechter sein können. Man hat große Fußball-Kompetenz durch die Teilnehmer gewährleistet. Das sind alles sehr erfahrene und erfolgreiche Fußball-Fachmänner, die beweisen haben, dass sie wissen, wie es geht. Die Frage ist nur: Was ist der Aufgabenbereich und wer entscheidet am Ende? Mir hätte gefallen, wenn ein Felix Magath dabei gewesen wäre. Er hat vor kurzem selbst noch trainiert, hat eine Menge Erfahrung und wäre ein großer Mehrwert gewesen.
Die Position des Sportdirektors steht aus und ich hoffe, dass es nicht allzu lange dauert, bis eine Entscheidung fällt. Sollte es Fredi Bobic werden, fände ich das eine gute Lösung. Aber auch hier ist es wichtig, dass allen klar ist, was die Aufgabe ist und wie man diese angeht. Der Bundestrainer hat es sich nach der desaströsen WM nicht verdient, hier ein gewichtiges Wort mitsprechen zu dürfen. In den USA wurde trotz des Achtelfinal-Einzugs eine landesweite Petition gestartet, um den Trainer zu entlassen. Wir fliegen in der Vorrunde raus und Hansi Flick verkündet, dass ihm die Aufgabe weiter Spaß bereitet.
Mir fehlt der Glaube, wieso er in den nächsten 18 Monate das schaffen sollte, was er in den Vergangenen nicht annähernd erreicht hat. Wir haben im Trainerstab einen Standard-Fachmann, im ganzen Turnier dann 35 Ecken und bei keiner hatte ich das Gefühl, dass auch nur annähernd Gefahr entsteht. Von erfolgreichem Zweikampf-Verhalten ganz zu schweigen. Thomas Tuchel wäre möglicherweise zu haben oder wir hätten es einmal mit einem Trainer versuchen können, der aus dem Ausland kommt. Wir haben uns so weit von dem entfernt, was uns einmal ausgezeichnet hat, dass ich jeden neuen Impuls begrüßt hätte. In dieser Konstellation weiterzumachen, halte ich für einen Fehler.
Top 3: Ich traue es Nübel zu
Durch die schwere Verletzung von Manuel Neuer sind die Bayern in eine sehr schwierige Situation geraten, für die sie nichts können. Nun wollen sie Alexander Nübel zurückholen. Ich traue ihm zu, dass er in den kommenden sechs Monaten unter Beweis stellt, ein würdiger Neuer-Ersatz und auf Dauer die Nummer eins in München zu sein. Leicht wird das allerdings nicht und ich kann mir eigentlich auch nicht vorstellen, dass er darauf Lust hat nach alldem, was in der Vergangenheit passiert ist.
Die Bayern kaufen sich durch eine mögliche Nübel-Rückkehr Zeit. Ich finde, sie sollten einen Torwart verpflichten, dem dann garantiert wird, dass er eine wirkliche Chance hat, auch nach Neuers Rückkehr im Tor zu bleiben, wenn er es in den kommenden Monaten mit guter Leistung verdient. Die Fragen sind: Kommt Neuer zurück und wenn ja, wie? Die Leistungen waren schon in letzter Zeit nicht mehr so, wie sie einmal waren. Auch bei der WM hat er nicht gut gehalten.
Mit 36 und bald 37 Jahren ist es eine enorme Qual, sich monatelang durch die Reha zu schleppen. Wenn die Bayern-Bosse der Meinung sind, dass sie jetzt einen Keeper holen, der das Potenzial hat, auf Jahre das Bayern-Tor zu hüten, könnte man auch an den argentinischen Nationalspieler Emiliano Martinez von Aston Villa denken oder den Schlussmann der Kroaten prüfen.
Ich weiß nicht, ob Nübel in München das Standing hat, dass benötigt wird. In diesem Verein die Nummer eins zu sein, ist etwas ganz anderes als in den meisten Klubs der Welt. Und die Fußstapfen von Manuel Neuer sind vielleicht die größten, die es gibt. Egal wer kommt, er muss die Chance bekommen, nach Neuers Rückkehr auf Augenhöhe um die Position zu kämpfen. Und das sollte man auch Neuer sagen. Wenn das im Verein anders gesehen wird, kann man es auch gleich bei Ulreich belassen.
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