Wer wird nun der Boss?
30.01.2023 | 11:06 Uhr
Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Fußball. Dieses Mal beschäftigt er sich mit der Entlassung von Fredi Bobic und der neuen Führungsriege bei Hertha BSC.
Der vermeintliche Schattenmann ist jetzt erstmal Privatier. Das kunterbunte Hertha-Karussell ist das spektakuläre Aushängeschild der irritierenden und gleichwohl unterhaltsamen Jahrmarkt-Kultur, die von Charlottenburg-Wilmersdorf bis in die Frankfurter Kennedyallee strahlt. Die DFB-Idee, Rudi Völler als erfahrene Übergangslösung zu installieren bis für Fredi Bobic keine Ablösesumme mehr fällig ist, kursiert ja zumindest in der Branchengeflüster-Variante.
Seit Samstag um 19.55 Uhr ist klar, dass eine Verpflichtung des populären Managers für den klammen Verband wohl keine wirtschaftliche Belastung mit sich bringen würde - aber wäre er nach seinem unglückseligen Hauptstadt-Abenteuer denn überhaupt eine Bereicherung als Sportdirektor der strauchelnden deutschen Fußball-Elite-Abteilung?
Natürlich hat sich Fredi Bobic mit Dienstbeginn in Berlin durch ein außerordentlich anspruchsvolles Labyrinth schlängeln müssen. Windhorst, Dardai, Bernstein - das sportliche Siechtum, ein teurer Kader mit schwer erkennbarer Grundidee. Rettung in der Relegation mit Magath und der Prinzip-Hoffnung-Strategie. Es wirkte in den letzten Jahren nicht immer alles präzise durchstrukturiert bei der Hertha.
Entscheidende Klarheit hat auch Bobic nicht in die Abläufe bringen können - dafür wurde er aber geholt. Ob sein in Frankfurt entstandener Transfer-Händchen-Nimbus irgendwo zwischen Main und Spree unter ungeklärten Umständen verloren gegangen ist, ist schwer zu beurteilen. Haller, Rebic, Jovic - derartige Kaliber hat der frühere Torjäger in Berlin jedenfalls nicht aus der Scouting-Kiste gezaubert.
Nicht auszuschließen zudem, dass einige Kandidaten mit Büffelherden-Potenzial der Ansicht waren, im Großstadt-Klub würde es ein bisschen zu sehr nach Kleingarten-Verein riechen und deshalb einen Bogen um Berlin gemacht haben. Denkbar auch, dass manche Spieler-Agenturen ihre Klienten gerne zur aufstrebenden Eintracht, aber nicht so gerne zur dauertaumelnden Hertha vermitteln wollten. Bobic ist ein anerkannter und fachkundiger Sympathieträger - die abrupt geendete Episode in der Hauptstadt hat seiner Reputation allerdings nicht genützt.
All das könnte jedenfalls möglicherweise doch nochmal als Denkanstoß für die Task-Force dienen. Die Amigos aus der Elefantenrunde haben bekanntermaßen nicht das formale Mandat, aber offenbar sehr wohl erheblichen Einfluss auf die Vergabe der wichtigsten Posten - hat mit Völler ja auch funktioniert. Um sich dann auch fachlich und strukturell an eine produktive Zukunftsvision heranzupirschen, lohnt sich vielleicht ja doch mal ein Sondierungsgespräch mit unvorbelasteten Fachkräften wie Per Mertesacker oder Thomas Hitzlsperger.
Während sich Fredi Bobic nun also unfreiwillig zwischen zwei Jobs befindet, hat sich Jörg Schmadtke bewusst in die Bundesliga-Frührente verabschiedet. Am Dienstag ist nicht nur Deadline-Day und Pokal-Achtelfinale, sondern auch der letzte Arbeitstag des kantigen Manager-Urgesteins im Fußballgeschäft. Das behauptet er zumindest!
Der 58-Jährige, der auch Journalisten gegenüber im Bedarfsfall den Imperativ nicht scheut, wird der Liga fehlen. Fast 40 Jahre sehr präsenter und nicht selten knorriger Protagonist einer schillernden Unterhaltungs-Maschinerie. So grell wie seine Torwart-Trikots in den 90ern ist Schmadtke selbst nie gewesen. Viele Begleiterscheinungen schienen ihm stets zuwider. Hobby-Influencer wird der Erfolgs-Manager vermutlich nicht. Eine Karriere als TV-Experte ist ebenfalls ziemlich sicher auszuschließen.
Nicht alle namhaften Fußball-Analytiker treffen bei Schmadtke geschmacklich ins Schwarze. Eine „Grunddistanz zu Teilen dieses Geschäfts" - so beschreibt er selbst seine Haltung. Widerspruch sinnlos. Grummelig, auch mal rauchend, Mütze tief ins Gesicht - dieses Bild wird den TV-Kameras auf den Tribünen der Bundesliga künftig nicht mehr zur Verfügung stehen.
Comeback-Pläne eiskalt, zumal ohne die ausdrückliche Zustimmung von Gattin Andrea ohnehin nichts geht in Schmadtkes künftigem Lebensabschnitt. Sie darf den speziellen Humor ihres Gatten ab Mittwoch exklusiv genießen. Anzunehmen, dass der weiche Kern dann endgültig die Oberhand gewinnt gegenüber der robusten Schale. Aber auch im Kabinett der Eitelkeiten war Schmadtke häufig ein Schaf im Wolfspelz.
Auseinandersetzungen mit ihm, die kernig beginnen können, enden in den allermeisten Fällen versöhnlich. Ein Typ, der eigene Überzeugungen engagiert durchsetzt, bei aller Verhandlungshärte aber nie bereit war, seine verständnisvolle Seite zu opfern.
Ob man diese Eigenschaften wohl auch beim DFB gebrauchen könnte? Klarheit und Kante könnten in der aktuellen Lage gewiss nicht schaden. Ein realistisches Szenario? Im Moment natürlich nicht. Rechtzeitig darüber zu beraten, wie es nach Völler weitergehen soll, ist aber sicher kein Fehler. Und dann? "Wir sind Helden" wussten schon 2003, worauf es in solchen Fällen ankommt: "Wir müssen nur wollen." Das gilt dann für den DFB - und für Andrea Schmadtke.
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