Sascha Roos' Saisonbilanz: "Dieses Team vegetiert ein bisschen vor sich hin"
29.11.2023 | 14:55 Uhr
Vor dem Saisonauftakt der Formel 1 hatte Sky zehn Thesen mit Sky Kommentator Sascha Roos besprochen. Nach dem F1-Jahr wertet Roos die Thesen aus und blickt auch bereits auf die kommende Saison 2024 voraus.
Der WM-Kampf wird dabei genauso thematisiert wie die Enttäuschungen der Saison. Außerdem blickt Roos auf das Comeback von Nico Hülkenberg als Stammpilot, die Situation von Mick Schumacher, Vettel-Nachfolger Fernando Alonso sowie die Performance der drei 2023er-Rookies Oscar Piastri, Nyck de Vries und Logan Sargeant. Ein Team kritisiert Roos zudem mit deutlichen Worten.
These 1: Max Verstappen wird nach seiner Rekordsaison 2022 und dem Selbstbewusstsein eines amtierenden Doppelweltmeisters in diesem Jahr erneut nicht zu schlagen sein, seinen Teamkollegen Sergio Perez deutlich dominieren und den dritten WM-Titel in Folge einfahren.
Sascha Roos: "Von diesem großen Vorsprung war nicht auszugehen. Dass das Auto in so einem unfassbar guten Zustand ist, war nicht zu erwarten. Es war aber auch nicht zu erwarten, dass die Konkurrenz im Verhältnis so schlecht sein würde. Dadurch, dass es keine klare Nummer zwei gab über die gesamte Saison hinweg und einige Teams nicht performt haben, wurde es Max Verstappen auch nicht sonderlich schwer gemacht. Das soll Verstappens Leistung auf keinen Fall schmälern. Aber hätte er einen ernst zu nehmenden Gegner in einem anderen Team gehabt, dann wäre es mit Sicherheit anders gelaufen."
These 2: Mercedes kann nach der durchwachsenen Vorsaison wieder dauerhaft um Siege mitfahren. Ferrari hingegen bleibt mit dem neuen Teamchef Frederic Vasseur hinter den Erwartungen zurück und wird von Alpine aus den Top-3 in der Konstrukteurs-WM geworfen, auch weil Charles Leclerc und Carlos Sainz zu viele Fehler machen.
Roos: "Mercedes und Ferrari haben beide in dieser Saison nicht um Siege fighten können. Mit der Ausnahme des Sieges von Carlos Sainz in Singapur. Das lag natürlich auch daran, dass die Leistung von Red Bull so überragend war. Fred Vasseur hat sein Team sehr gut geführt, besser als sein Vorgänger. Die nackten Ergebnisse waren zwar schlechter als 2022, aber sie haben ihr Konzept sehr stark entwickelt im Verlauf des Jahres. Zudem haben sie ihre Boxenstopps extrem verbessert, bei der Randstrategie gab es deutlich weniger Fehler als noch zuvor und Vasseur hat das Team insgesamt stabilisiert. Außerdem steht Ferrari in der Außendarstellung deutlich besser da, es wirkt alles insgesamt fröhlicher bei der Scuderia, als es noch unter Mattia Binotto war. Mercedes hat zwar keinen Sieg eingefahren, aber sich enorm verbessert im Laufe der Saison. Am Anfang waren sie richtig schlecht. Dann haben sie das Konzept des Autos verändert und gut aufgeholt. Klar waren sie zwischendurch auch wieder in einer kleinen Sackgasse, aber so ganz falsch lief es bei ihnen nicht."
These 3: An der Spitze rücken die Teams insgesamt wieder enger zusammen. Die Saison entscheidet sich frühestens im vorletzten Rennen in Las Vegas.
Roos: "Das ist natürlich eine Nummer, wo du sagen musst: 'Knapp daneben'. Selbst Red Bull hat nicht daran gedacht, dass die Gegner so unterperformen würden. Und auch teamintern gab es leider keinen Zweikampf. Wäre Sergio Perez ein besserer Konterpart zu Verstappen gewesen, hätte dieser auch nicht so viele Punkte holen können. Selbst wenn man an die Zeiten der Überlegenheit von Mercedes zurückdenkt, dann gab es das in dieser Form ja auch nie. Selbst Valtteri Bottas, der auf der Strecke nicht der allerschärfste Gegner von Lewis Hamilton war, hat Rennen gewonnen und hat dafür gesorgt, dass es knapp wurde. Dass es dem Perez so dermaßen in die Hose geht wie in 2023, damit war auch nicht zu rechnen."
These 4: Fernando Alonso schafft das, was Sebastian Vettel in zwei Jahren bei Aston Martin nicht geschafft hat, und holt den ersten Sieg für Aston Martin.
Roos: "Das war ein Volltreffer. Denn ich hatte vorher gesagt, dass Aston Martin zwar um Podien mitfahren wird, aber nicht um Siege. Das war fast absehbar, dass das so gut passen wird mit Fernando Alonso und Aston Martin. Alonso war am Anfang des Jahres oftmals der erste Widersacher von Verstappen, der ohne Ausfall oder technischen Defekt davongekommen ist. Sonst hätte Alonso auch mal zuschnappen und seinen ersten Sieg seit 2012 einfahren können. Aber es gab bei Red Bull an der Spritze einfach keine Schwächen. Auch wenn es dann im Laufe der Saison eher etwas weiter nach hinten ging, kann man nur für die Formel 1 und alle Fans hoffen, dass der Vertrag mit Alonso über 2024 hinaus verlängert wird. Da gibt es aber wohl schon Gespräche."
These 5: McLaren wird die Verpflichtung von Oscar Piastri am Jahresende bereuen. Der Australier kann nicht mit Lando Norris mithalten. Der Abschied von Daniel Ricciardo entpuppt sich als Fehler.
Roos: "Oscar Piastri hat einen super Job als Rookie gemacht. Von der Rennpace konnte er zwar mit Lando Norris noch nicht mithalten, dafür hat sich Piastri im Laufe der Saison aber extrem gesteigert und war vor allem im Qualifying auch schon häufig auf Augenhöhe. Die Fehler, die Norris am Saisonende gemacht hat, darf im 2024 nicht mehr machen, denn dann wird es mit Piastri im Rücken ungemütlich für ihn werden. Insgesamt hat McLaren mit dieser Fahrerpaarung aber eine der talentiertesten und die jüngste im gesamten Feld. Daniel Ricciardo hatte zwei weniger gute Jahre bei McLaren. Daher haben sie alles richtig gemacht mit Piastri."
These 6: Nico Hülkenberg ist die dreijährige Abstinenz als Stammpilot in der Formel 1 nicht anzumerken. Der Emmericher fährt Haas-Teamkollege Kevin Magnussen um die Ohren. Im Laufe der Saison wird es zwischen den beiden einstigen Streithähnen teamintern daher krachen.
Roos: "Zu Beginn war Kevin Magnussen im Rennen häufig besser unterwegs als Nico Hülkenberg. Mit Ausnahme von Melbourne. Aber Hülkenberg hat seine Stärken im Qualifying gezeigt und war ab Mitte der Saison dann auch der Teamleader bei Haas. Obwohl Magnussen häufiger als Hülkenberg in den Punkten war, hat Hülkenberg insgesamt mehr Zähler gesammelt. Leider war das Auto viel zu schwach und im Rennen das schlechteste Auto von allen. Vor allem den Reifenabbau haben sie nicht in den Griff bekommen und das Update war sogar eher ein Schritt nach hinten. Daher war auch nicht viel zu holen. Krach gab es zwischen den beiden erfahrenen Piloten nicht. Es bleibt beiden nur zu wünschen, dass sie im kommenden Jahr ein konkurrenzfähigeres Auto haben werden."
These 7: Mick Schumacher macht für Mercedes und McLaren einen guten Job am Simulator und darf für beide Teams in Freien Trainingssessions ans Steuer. Für 2024 erhält der Deutsche wieder ein Stammcockpit.
Roos: "Leider haben wir noch nicht Weihnachten und der Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Mick Schumacher hat für 2024 kein Cockpit bekommen. Er bleibt weiterhin Ersatzfahrer bei Mercedes und für McLaren, zudem wird er für Alpine bei der Langstrecken-Meisterschaft im Auto sitzen. Er hat sicher viel Erfahrung 2023 gesammelt und es ist auch gut für ihn, dass er jetzt weiter Rennen fährt. Allerdings hätte ich ihn lieber wieder in der Formel 1 gesehen. Aber es gab keinen Platz für ihn. Da steckt natürlich auch viel Politik hinter. Hoffentlich sehen wir ihn bald wieder als Stammpiloten in der F1."
These 8: Mit dem neuen CEO Andreas Seidl blüht Alfa Romeo 2023 richtig auf. Nach Rang sechs in der Konstrukteurswertung im Vorjahr folgt nun ein ganz großer Schritt in Richtung der Spitzenteams. Diese Entwicklung ist mit Blick auf 2026 auch ganz wichtig für den Einstieg von Audi.
Roos: "Alfa Romeo, dieses Team vegetiert ein bisschen vor sich hin. Das war kein gutes Jahr und ich befürchte, dass es die nächsten Jahre auch nicht besser wird. Das Team konnte keine Lichtblicke setzen. Alles bereitet sich auf den Audi-Einstieg 2026 vor. Da wäre es dann vor allem wichtig, dass Audi bald mal ein klares Commitment für den F1-Einstieg abgeben würde. Das würde auch die Arbeit von Sauber-CEO Andreas Seidl einfacher machen, der ja im Hintergrund dabei ist, Personal zu rekrutieren und ein schlagkräftiges Team aufzubauen."
These 9: Nach seinem sehr starken Debüt in Monza 2022 fährt Nyck de Vries nun als Stammpilot für AlphaTauri. Der Rookie wird sofort zum Teamleader und kocht Yuki Tsunoda locker ab. Der Japaner kann auch in seiner dritten F1-Saison nicht überzeugen. Heißsporn Tsunoda erlaubt sich mal wieder einige Wutausbrüche, wird von Helmut Marko immer wieder zurechtgewiesen. Am Saisonende muss Tsunoda seinen Platz im Team räumen.
Roos: "Von Nyck de Vries habe ich mir viel mehr erwartet. Als erfahrener Pilot hätte er auch viel besser performen müssen. Wenn AlphaTauri nicht von ihm überzeugt gewesen wäre, dann hätten sie ihn ja auch nicht geholt. Dass er dann so versagt, das war nicht vorhersehbar. Er hat sich wohl selbst zu viel Druck gemacht, war überfordert mit der Gesamtsituation, ist in eine Abwärtsspirale geraten und konnte sich nicht mehr daraus befreien. Von Yuki Tsunoda bin ich allerdings auch nicht so überzeugt, auch wenn er in Abu Dhabi gut gefahren ist. Er ist nach wie vor zu aggressiv und macht zu viele Fehler. Tsunoda ist jetzt auch schon drei Jahre dabei. Liam Lawson und Daniel Ricciardo waren direkt auf Augenhöhe. Das zeigt auch, dass Tsunoda kein absoluter Überflieger ist. Ricciardo kommt quasi aus dem Urlaub und fährt in Mexiko die beste AlphaTauri-Platzierung ein. Und Lawson war auch auf Anhieb nah an Tsunoda dran. Er ist mit Sicherheit ein guter Fahrer, aber dann doch kein Ausnahmetalent."
These 10: Mit Logan Sargeant ist 2023 wieder ein US-Amerikaner im Fahrerfeld vertreten. Der Williams-Pilot holt als erster US-Amerikaner seit Michael Andretti 1993 wieder einen Punkt in der F1.
Roos: "Das Auto war besser als erwartet. Aber Logan Sargeant war schon da, wo ich ihn auch angesiedelt habe. In Austin hat er seinen einzigen Punkt bekommen, weil noch nachträglich zwei Fahrer wegen Track Limits Strafen erhalten haben. Erfahren hat er sich diesen Zähler eigentlich nicht. Das ist ja wie in Las Vegas: 'Du setzt auf irgendeine Zahl und zufälligerweise hüpft die Kugel dahin'. Ohne die glücklichen Umstände hätte ich recht gehabt, dass Sargeant ohne Punkt bleibt. Aber insgesamt hätte ich schon gedacht, dass er besser performt. Er war weit von Teamkollege Alex Albon weg, der Williams im Alleingang auf P7 in der Konstrukteurs-WM gefahren hat. Sargeant ist zwar noch nicht bestätigt, aber wird wohl weiterfahren dürfen. Das finde ich nach diesem schwachen Jahr erstaunlich, dass er noch eine Chance bekommt."
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