Aufstieg der Herzen? Schalkes verrückte "sieben Minuten im April"
29.04.2022 | 23:05 Uhr
Das Aufstiegsrennen in der 2. Bundesliga ist so spannend wie seit Jahren nicht mehr. Am Freitagabend des 32. Spieltags fand dieses seinen bisherigen Höhepunkt - in Schalkes sieben verrückten Minuten, die womöglich ausschlaggebend für den Aufstieg der Knappen sein könnten.
Mit Schalke 04, Werder Bremen, St. Pauli und Nürnberg - die beiden Letztgenannten im direkten Duell - mussten gleich vier der sechs verbliebenen Aufstiegskandidaten parallel den drittletzten Spieltag eröffnen. Für alle galt das Gleiche: drei Punkte müssen her, um im engen Aufstiegsrennen weiterhin eine gute Rolle spielen zu können.
Über eine gewisse Zeitspanne sieht vieles nach einem doch "normalen" Abend aus, an dem sowohl Werder (gegen Holstein Kiel), Schalke (beim SV Sandhausen) und der etwas besser als sein Gegner positionierte FC St. Pauli (gegen Nürnberg) ihre Aufgaben erledigen und sich in die bestmögliche Stellung für die letzten beiden Spieltage bringen. Es folgen aber die vielleicht bislang verrücktesten sieben Minuten, die speziell dem FC Schalke 04 bereits jetzt zum großen Gewinner des Spieltags machen. Doch der Reihe nach:
Bis zur 85. Minute in Bremen: Werder hat nach Toren seiner beiden Goalgetter Niklas Füllkrug und Marvin Ducksch einen Zwei-Tore-Vorsprung hergegeben - und das auch noch durch zwei Eigentore. Es steht aktuell 2:2 gegen Holstein Kiel. Der FC St. Pauli führt nach einem Elfmetertreffer von Daniel-Kofi Kyereh mit 1:0 gegen den 1. FC Nürnberg und Schalke hat seinen 1:0-Vorsprung beim SV Sandhausen verspielt. Zwischenstand: 1:1.
85. Minute in Bremen: Es passiert das schier Unfassbare. Tabellenführer Bremen - nach dem zuletzt eingefahrenen 4:1-Erfolg gegen Schalke mit breiter Brust angetreten - kassiert gegen Kiel das dritte Gegentor - 2:3! Keeper Jiri Pavlenka kann einen Schuss nur abblocken, gegen den nachfolgenden Abstauber von Julian Korb ist der Tscheche machtlos. Aufgrund des schlechteren Torverhältnisses rutscht Werder hinter Schalke zurück. Zwischen Platz eins und drei liegt aktuell nur ein Punkt.
90.+1 Minute in Sandhausen: Im Stadion am Hardtwald in Sandhausen kommt es zur völligen Eskalation. Die mitgereisten Schalke-Fans werden von ihrem mit ganz viel Herz spielenden Team mit dem 2:1-Siegtreffer erlöst. Drückend überlegen rannte S04 immer wieder gegen die hartnäckigen Sandhäuser an, die sich in der jüngsten Vergangenheit immer wieder als Favoritenschreck erwiesen haben. Auch für S04 scheint es nicht für einen Sieg gegen den SVS zu reichen - bis mal wieder Simon Terodde kommt! Mit seinem 27. Saisontor schießt bzw. stochert er Schalke zu den drei Punkten.
Nach der Partie fehlen ihm erst die Worte und dann versagt auch noch seine Stimme - ein Zeichen, wie sehr er sein Team zum letzten entscheidenden Schlag gepusht hat. Mit quietschenden Tönen erklärt der Doppeltorschütze: "Das muss man erstmal realisieren, was heute hier abgegangen ist, schon vor dem Spiel. Ich hab keine Stimme mehr. Die ist noch in der Kurve und in der Kabine. Die Fans sollen ruhig feiern. Die haben uns am Ende auch zum Sieg gepusht. Wenn du ein 1:1 bekommst, dann brichst du normalerweise zusammen. Aber wenn du siehst, was hier los ist ... mit der Unterstützung schaffst du es dann."
Insgesamt waren es 10.000 Anhänger, die Schalke 04 in die Kurpfalz begleiteten und das Team bis zur allerletzten Sekunde mit ganz viel Herz nach vorne peitschten - mit Erfolg. Dieser Umstand lässt auch S04-Sportvorstand Rouven Schröder nach Worten ringen: "Unbeschreiblich! Es ist unbeschreiblich, was die Schalke-Fans hier abreißen. Diese Ekstase. Es ist einfach schön, weil die Jungs haben es so gnadenlos verdient, dass wir genau dieses Tor so spät schießen. Das geht runter wie Öl."
Doch am Ende gab es für die Schalker und deren Fans nicht nur den eigenen Sieg und die Bremer Niederlage zu bejubeln. Es folgte nämlich noch die 92. Minute am Millerntor auf St. Pauli.
90.+2 Minute in Hamburg: Spielstand - 1:0 für den Gastgeber. Nürnberg braucht im direkten Duell gegen St. Pauli aber zumindest einen Punkt, um noch eine Minimalchance auf den Aufstieg zu haben. Mittlerweile haben die Franken alle Offensivakteure, die der Kader hergibt, auf dem Platz. Es rollt einer der letzten Angriffe auf das St. Pauli-Tor. Nikola Dovedan flankt den Ball von rechts in den Strafraum, Manuel Schäffler lässt abtropfen, Taylan Duman schiebt das Leder aus gut elf Metern ins rechte untere Eck und schockt so den FC St. Pauli - lässt aber gleichzeitig auch den FC Schalke 04 mit Blick auf die Tabelle jubeln.
Durch den Gegentreffer hat Schalke zwei Spieltage vor Schluss fünf Punkte Vorsprung auf den FC St. Pauli und kann am kommenden Wochenende im direkten Duell endgültig vor den Hamburgern bleiben. Je nachdem wie der SV Darmstadt 98 am Samstag gegen Erzgebirge Aue spielt (20:30 Uhr LIVE auf Sky Sport Bundesliga 1), kann S04 am kommenden Spieltag bereits aus eigener Kraft den direkten Wiederaufstieg ins deutsche Oberhaus schaffen.
Sollte dieser am Ende der Saison unter dem Strich stehen - ganz egal, ob am kommenden oder am letzten Spieltag -, dürften im Speziellen auch die verrückten sieben Minuten am Freitagabend des 32. Spieltags den Ausschlag dafür gegeben haben: Als die Schalke-Fans das Hardtwaldstadion mit 10.000 Anhängern zur eigenen Festung machten, die direkten Konkurrenten innerhalb weniger Minuten für S04 spielten und die Königsblauen gleichzeitig mit ganz viel Wille und Herz einen Last-Minute-Sieg einfuhren.
So könnten 21 Jahre nach den legendären, aber genauso bitteren "vier Minuten im Mai" und der "Meisterschaft der Herzen" womöglich bald die deutlich positiveren "sieben Minuten im April" und der "Aufstieg der Herzen" in die Geschichtsbücher eingehen.
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