Balance-Akt für HSV Hoffnungs-Trainer Merlin Polzin
Beendet ausgerechnet Ex-Fan Polzin das dunkelste Kapitel der Vereins-Geschichte?
18.01.2025 | 10:34 Uhr
Merlin Polzin kennt sie ganz sicher alle - die Lieder, die den HSV-Rhythmus geprägt, den Sound im Volkspark definiert haben.
Die Perle, die Liebe - immer erste Liga. In den vergangenen sechs Jahren hat der Typ, der früher auf der Nord-Tribüne gesungen, gefeiert und vielleicht auch mal gepöbelt hat, beobachten müssen, dass der Klub seinen Hamburger Mors einfach nicht mehr hochbekommt. Was muss das für ein brodelnder Antrieb sein, SEINEN geplagten Klub aus dem Tal der Demütigung zurück ans Licht zu führen.
Aufstieg?
In die Bundesliga - dort, wo sie sich im Volkspark ja weiterhin zugehörig fühlen, obwohl der HSV in der Zwischenzeit statt der Erstliga-Uhr sogar das unerwünschte Emblem "Zweitliga-Dino" mit sich herumschleppt. Im siebenten Anlauf soll es endlich klappen - mit einem Hauptverantwortlichen, der nach den Versuchs-Reihen mit Trainer-Charakteren jeglichen erdenklichen Zuschnitts die Raute tatsächlich nachweislich im Herzen trägt.
Gegen Köln geht die Serie "Die unendliche Geschichte einer misslungenen Rückkehr" also in die nächste Staffel. 17 Folgen hat das Epos, das am Ende dieser Saison endgültig auserzählt sein soll. Polzin, 34 Jahre jung, hat sich nach der vielleicht unglücklichsten Episode der Unterhaus-Ära einem quälenden Auslese-Prozess stellen müssen.
Steffen Baumgart hat den Laden nicht in den Griff bekommen, obwohl er als Kind in HSV-Bettwäsche geschlafen hat. Dessen Vorgesetzter Stefan Kuntz war als Saarländer Bub zwar Uwe-Seeler-Fan, hat in seinem neuen Job als HSV-Boss aber dennoch einige Start-Turbulenzen zu meistern gehabt. Auch die Baumgart-Nachfolger-Suche lief alles andere als reibungsfrei.
Später Einstieg in die konkrete Recherche, eine dem Vernehmen nach mehr als unglückliche Kurz-Liaison mit seinem alten Lauterer Kumpel Bruno Labbadia, lauwarme Gespräche mit Raphael Wicky und der brachiale Last-Minute-Versuch, Lukas Kwasniok in Paderborn loszueisen. Ein strukturierter Ablauf sieht ohne Zweifel anders aus.
Kuntz dürfte vor Erleichterung durch die Geschäftsstelle geschwebt sein, als sich zusehends herauskristallisieren sollte, dass Polzin seine Bewährungsauflagen erfüllen und die entsprechenden Belege dafür liefern konnte, dass ihm die Hamburger-Herkules-Aufgabe zuzutrauen sein könnte. Die erste Wahl war der junge Mann, der bereits drei Trainer als Co begleitet und freundlich verabschiedet hat, aber für jedermann ersichtlich nicht!
Die Chance seines Lebens
Nun ist es aber so, dass Polzin die Chance seines Lebens ergreifen darf. Der Aufstieg würde ihn natürlich nicht nur bei seinen früheren Fan-Block-Mitstreitern in den Klub-Legenden-Status emporhieven. Störgeräusche sind bei dem Vorhaben unerwünscht. Die kann auch der Gesamtverantwortliche bei seinem Überraschungs-Comeback als Funktionär nicht gebrauchen.
Dass manche Aufsichtsratsmitglieder mittlerweile bereits beide Augenbrauen hochziehen, wenn sie danach gefragt werden, warum sie Stefan Kuntz mit dem Mandat für die Leitlinien-Kompetenz des stolzen Hamburger Ex-Vorzeige-Vereins ausgestattet haben, ist ein unbestätigtes Gerücht. Breitgestreute Verwunderung über die eine oder andere Entscheidung ist derweil glaubhaft überliefert.
Das aktuelle Kuntz-Dilemma hat in dieser Saison bereits zehn Tore erzielt und den schmerzhaften Ausfall von Top-Torjäger Robert Glatzel nicht nur auf dem Rasen stabil kompensiert. Davie Selke hat sich im Express-Tempo zum Anführer entwickelt, die Skepsis der Fans in Windeseile vom Tisch gefegt und fühlt sich in Hamburg so wohl, dass er am liebsten lange bleiben würde. Der beinahe 30-jährige Angreifer steht aber mit einiger Wahrscheinlichkeit im Sommer ohne Vertrag da.
Ein Zustand, der gewiss nicht zur vollumfänglichen Zufriedenheit des Stürmers beiträgt. Selke will Klarheit für sich und seine Familie. Kuntz könnte dafür sorgen, indem er das Arbeitspapier des erfahrenen Profis (verlängert sich nur bei Aufstieg UND einer festgelegten Einsatz-Anzahl) anpasst und eventuelle Winterabgangs-Gedanken erstickt, bevor sie aufkommen können.
Für seinen Klub hätte der Vorstand im selben Arbeitsschritt sichergestellt, dass Selke im Sommer nicht ablösefrei vom Hof reitet, im besten HSV-Fall sogar als verlässliche Größe in die erste Erstliga-Saison nach sieben dunklen Jahren einsteigt. Ein Akt der Sorgfaltspflicht, finden manche.
Zieht der HSV an Köln vorbei?
Denkbar, dass Tore gegen Köln, einer von Selkes ehemaligen Arbeitgebern, den Prozess beschleunigen würden. Ein Sieg hätte jedenfalls definitiv zur Folge, dass der HSV den Effzeh als Tabellenführer ablöst - zumindest für eine Nacht.
Ein guter Start macht bekanntermaßen immer alles leichter und würde in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Verantwortlichen über den kommenden Sommer hinaus die fußballerische und vereinspolitische Richtung im Volkspark vorgeben. Voraussetzung dafür ist der Aufstieg - die einzige Währung, in der an der Uwe-Seeler-Alle 9 abgerechnet wird.
Sollte die Mission misslingen, wird - wie immer - jemand die Zeche zahlen müssen. Die Verantwortungsträger hoffen alle miteinander, dass die einzige Rechnung, die am Abend des 18. Mai (letzter Zweitliga-Spieltag) beglichen werden muss, die für das Freibier bei der Aufstiegsfeier sein wird. Diese Hoffnungen balanciert Merlin Polzin auf seinen jungen Schultern!
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