Erneut aus der Spur geraten - Hintergründe zur VfB-Krise

Stuttgart mit großem Druck gegen Düsseldorf

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Markus Weinzierl, Trainer vom VfB Stuttgart, äußert sich zum bevorstehenden Spiel gegen Fortuna Düsseldorf (Videolänge: 39 Sekunden).

Vor dem Spiel des VfB Stuttgart gegen Fortuna Düsseldorf erklärt Sky Reporter Alexander Bonengel die Hintergründe zur Krise des VfB Stuttgart und blickt auch auf ruhmreichere Zeiten zurück.

Das waren noch Zeiten: 7:0 gewann der VfB Stuttgart im März 1986 im Rheinstadion gegen die Düsseldorfer Fortuna. Michael Spies machte mit dem 1:0 den Anfang, Karl Allgöwer vollendete. Dazwischen schoss Jürgen Klinsmann die Fortuna mit fünf Toren quasi im Alleingang ab. Fünf Tore - so viele hat Mario Gomez bisher in der gesamten Saison geschossen.

Der fünffache Torschütze Jürgen Klinsmann verlässt den Platz nach einem 7:0-Sieg gegen Fortuna Düsseldorf (1986).
Image: Der fünffache Torschütze Jürgen Klinsmann verlässt den Platz nach einem 7:0-Sieg gegen Fortuna Düsseldorf (1986).  © Imago

Die Sehnsucht ist in Stuttgart aktuell gewaltig, nach diesen Zeiten, nach diesen Typen: Neben den Besagten waren unter anderem Karlheinz Förster, Bernd Förster, Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinnson und Guido Buchwald nicht nur die VfB-Helden dieser Zeit, sondern auch weit darüber hinaus.

Buchwald kehrt VfB im Streit den Rücken

Mit Guido Buchwald hat jüngst einer der letzten verbliebenen Verknüpfungspunkte zu besseren Zeiten der VfB-Familie den Rücken gekehrt. Grund war ein Streit mit seinem damaligen Aufsichtsratskollegen Wilfried Porth am Rande des letzten Heimspiels gegen den SC Freiburg im VIP-Bereich. Im Hintergrund lief gerade Sky90, Thomas Berthold kritisierte die "Alibi-Funktion" als Aufsichtsrat des VfB und nannte Guido Buchwald als Informanten. Daraufhin sei Daimler-Vorstandsmitglied Porth der Kragen geplatzt, er habe Buchwald übel beschimpft und als Schuldigen für die Misere bezeichnet, so berichten Augenzeugen. Buchwald trat wenig später von allen Ämtern zurück. Sein Entsetzen und seine Fassungslosigkeit waren selbst in den wenigen Zeilen seiner Presseerklärung nicht zu übersehen.

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Ex-VfB-Profi Thomas Berthold bewertet die aktuelle Situation des VfB Stuttgart. Die Führungsriege kommt dabei gar nicht gut weg (Video-Länge: 54 Sekunden).

Nun mag das nur einer von vielen selbstgelegten Brandherden beim VfB sein, für manch einen bestenfalls eine Randnotiz. Doch der Umgang mit dem Weltmeister von 1990 ist Sinnbild für Probleme, die noch viel tiefer liegen als missglückte Transfers oder verlorene Spiele.

Verhaltenskodex für eine bessere Außendarstellung

VfB-Präsident Wolfgang Dietrich ist schlau, erfahren und tüchtig. Als erfolgreicher Unternehmer weiß er genau, dass die Unternehmenskultur Basis für langfristigen Erfolg ist. Nur wenige Wochen nach seiner Wahl zum Präsidenten im Oktober 2016 erließ er einen fünfseitigen Verhaltenskodex für VfB-Mitarbeiter. Dabei ging es unter anderem darum, "Mauscheleien" zu verhindern, für klare Kommunikationsregeln zu sorgen, die Diskussionskultur, das gesamte Miteinander und damit auch die Außendarstellung zu verbessern.

Hehre Ziele vor dem Hintergrund des schleichenden VfB-Niedergangs seit der Meisterschaft 2007: Vom größten Triumph der jüngeren Vereinsgeschichte geblendet, fehlte es fortan nicht nur an Demut und Strategie. Starke Führung zeigt sich nicht zuletzt im Umgang mit Krisen. Der VfB versagte immer wieder beim Stresstest. Auch Ex-Präsident Bernd Wahler hat das mittlerweile eingesehen. In der Stuttgarter Zeitung bezeichnete er kürzlich die Trennung von Trainer Thomas Schneider und Sportchef Fredi Bobic als seine größten Fehler: "Ich wäre lieber mit beiden abgestiegen, als alles über den Haufen zu werfen. Man muss seinen Weg durchziehen, wenn man davon überzeugt ist."

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Auch Sportvorstand Schindelmeiser schaffte die Wende nicht

Dietrich wollte die Hire-and Fire-Personalpolitik der Vergangenheit beenden. Doch es sollte nicht mehr viel Zeit vergehen, dann konnte auch er sich dem Sog der Stuttgarter Sprunghaftigkeit nicht mehr entziehen: Anfang August 2017 musste Sportvorstand Jan Schindelmeiser seinen Schreibtisch räumen, der Mann, der zuvor mit strategischem und rhetorischem Geschick Dietrich zur Präsidentschaft verhalf und mit denselben Mitteln den Mitgliedern die Ausgliederung schmackhaft machte. Vor allem aber war Schindelmeiser derjenige, der einen Paradigmenwechsel beim VfB einläutete, um den jungen Trainer Hannes Wolf eine junge Mannschaft mit dem späteren Weltmeister Benjamin Pavard aufbaute, die in der zweiten Liga die Massen im Schwabenland begeisterte: Über 50.000 im Schnitt bei Heimspielen.

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Damit war der Zweitligist VfB Stuttgart sogar größer als Inter Mailand, Juventus Turin oder der FC Chelsea. Den Menschen schien die Liga fast schon egal. Sie fuhren auch nach Sandhausen, Würzburg oder Aue. Weil sie endlich wieder eine Mannschaft und einen Weg hatten, mit denen sie sich identifizieren konnten. Der Abstieg schien wie ein Heilfasten für den über Jahre immer stärker vergifteten Patienten VfB, der fortan mit gestärktem Immunsystem auch die nächsten Temperaturschwankungen schadlos überstehen sollte. Es kam anders. Am Ende war Schindelmeiser 13 Monate im Amt.

Dietrichs Nachtreten lässt Stil und Anstand vermissen

Warum Schindelmeiser gehen musste, ist bis heute unklar. Der Verein sprach von "Alleingängen", darüber hinaus fielen abseits der Kameras und Mikrofone nebulöse Erklärungen wie "es ging halt nicht mehr". Andere Stimmen sagen hinter vorgehaltener Hand, dass Dietrichs Eitelkeit kein zweites Alphatier neben ihm zugelassen hat.

Zurück zum Verhaltenskodex: Kürzlich wurde Wolfgang Dietrich auf einer Fan-Veranstaltung in Biberach zu den Gründen für die Schindelmeiser-Entlassung befragt: "Er war vor seinem Engagement bei uns fünf Jahre ohne Job im Fußball und ist es jetzt seit zwei Jahren auch nicht mehr. Die Nachfrage nach ihm ist offenbar nicht sonderlich groß!", ließ der Präsident verlauten.

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Schon auf der Pressekonferenz zur Reschke-Vorstellung präsentierte sich Dietrich, angesprochen auf Schindelmeiser, äußerst dünnhäutig. Seine jüngstes Nachtreten jedoch ließ jegliche Form von Stil und Anstand vermissen.

VfB verliert immer mehr an Glaubwürdigkeit

Es passt aber ins Gesamtbild: Michael Reschke, Schindelmeisers Nachfolger, machte von Beginn an keinen Hehl daraus, gegebenenfalls von der "Wahrheitsbeugung" Gebrauch zu machen. Und er ließ mehrfach Taten folgen. So viele, dass der VfB dadurch schon längst ein gewaltiges Glaubwürdigkeitsproblem hat. Wenn elementare menschliche Tugenden wie Respekt und Ehrlichkeit vom Führungspersonal nicht vorgelebt werden, ist jeder Verhaltenskodex wertlos.

Trotzdem fehlt es dem Club nicht an Motivation, weiterhin fleißig schriftliche Regeln zu fixieren. Kürzlich "leakte" die aktuelle Hausordnung des VfB Stuttgart über Twitter. Darin ist unter anderem festgehalten, dass Jugendspieler nicht mehr beim Training der Lizenzspieler zum Zuschauen stehenbleiben dürfen. Auch die Fitnessgeräte der Lizenzspieler dürfen nicht benutzt werden. Kleinbusse und Mannschaftsbus dürfen nicht mehr dort ein- und ausgeladen werden, wo die Vorstände und Lizenzspieler ihre Autos parken. Insgesamt wird in dem Verein, der angeblich so besonders auf die Jugend setzt, vor allem darauf geachtet, dass Jugendspieler und Profis sich so wenig wie möglich begegnen. Streng genommen dürfte wahrscheinlich auch NLZ-Direktor Thomas Hitzlsperger nicht durch den Gang der Profis gehen, sondern müsste außen herum laufen.

50 Millionen Euro Transferausgaben - Mannschaft ohne Spielidee?

Stimmt die Atmosphäre, treten Eitelkeiten zum Wohle des Ganzen in den Hintergrund und verfolgt man eine durchdachte, übergeordnete Philosophie, kommt man auch durch schwere Zeiten. Der VfB Stuttgart allerdings hat den vielversprechenden Weg, auf dem er sich zwischenzeitlich befand, längst wieder verlassen. Mehr noch, man ist dabei, eine einmalige historische Chance leichtfertig zu verspielen: 41,5 Millionen Euro brachte die Ausgliederung mit dem Anteilsverkauf an Daimler, 35 Millionen werden die Bayern für Pavard überweisen, weitere ungefähr 50 Millionen Euro soll ein weiterer Anteilsverkauf der AG in naher Zukunft bringen.

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Mehr als genug Geld also, um perspektivisch wieder ganz oben anzugreifen. Stattdessen steckte man knapp 50 Millionen Euro in eine Mannschaft, die für keine Strategie und keine Spielidee steht, offenbar nicht zuletzt mit der Hoffnung versehen, verdiente Ex-Nationalspieler mögen beim VfB ihren zweiten Frühling erleben und die jungen Neuzugänge daran wachsen lassen. Dabei sind Transferausgaben lediglich ein großer Kostenpunkt. Längere Zeit werden die Schwaben noch an den laufenden Gehältern des, gemessen am Erfolg, völlig überteuerten Kaders haben. Auf größere Transfereinnahmen kann man dabei wohl eher nicht vertrauen, wenn viele Spieler über 30 sind oder nicht spielen. Oder beides.

Druck auf Stuttgart steigt

Nun Düsseldorf: Im Gegensatz zum März 1986 geht beim VfB Stuttgart nun vor allem die Angst um. Der Druck ist enorm, eine Niederlage und ihre Folgen will sich am Wasen keiner wirklich ausmalen. Weinzierl müsste sehr wahrscheinlich gehen, womöglich auch Reschke. Dietrich wäre das alleinig verbleibende Gesicht der Krise und müsste beim Vorhaben, das Schiff wieder auf Kurs zu bringen, mit orkanartigen Gegenwind rechnen.

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Gisdol und Magath sollen angeblich schon als potentielle Nachfolger für Weinzierl bereitstehen und nach wie vor intensiv mit ihrem Ex-Club VfB in Kontakt stehen. Wer auch immer beim VfB in den nächsten Wochen und Monaten an der Seitenlinie stehen wird: Die grundlegenden Probleme wird er nicht lösen können. Die liegen tiefer. Viel tiefer.

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