Barca im Jahr 2021: Historisch schlecht & Identität verloren, aber...
22.12.2021 | 22:24 Uhr
Der FC Barcelona kommt nicht auf die Beine. In der Champions League sind die Katalanen raus und auch in der Liga läuft es nicht. Barca ist so schlecht wie seit fast 20 Jahren nicht und Xavi bemängelt, dass der Verein seine Identität verloren hat. Doch es gibt Grund zur Hoffnung.
Beim FC Barcelona werden aktuell kleinere Brötchen gebacken. Dies wurde gerade erst wieder nach dem Remis beim FC Sevilla deutlich, da das 1:1 beim Tabellenzweiten für die kriselnden Katalanen um Trainer Xavi trotz Überzahl durchaus als Erfolg zu werten ist. Es war ein erster Schritt auf der Suche nach einer besseren Zukunft.
Als der Spieler Xavi Barcelona verließ, um seine Karriere in Katar ausklingen zu lassen, war eine solche Erwartungshaltung unvorstellbar, denn damals waren die Katalanen das Nonplusultra im Weltfußball. Sein letztes Spiel bestritt Xavi im Champions-League-Finale in Berlin gegen Juventus im Juni 2015. Barca gewann verdient mit 3:1 und bejubelte sein zweites Triple nach 2009.
Von solchen Erfolgen ist der stolze Traditionsklub aktuell wohl weiter entfernt als John Cena von einem Oscar als bester Hauptdarsteller. Barca ist finanziell nah am Abgrund, denn den Klub plagen Schulden von weit über einer Milliarde Euro. Auch sportlich läuft es - trotz des ordentlichen Ergebnisses in Sevilla - überhaupt nicht bei den Katalanen.
Xavi, der im Anfang November 2021 als Trainer zu seinem Klub zurückkehrte, hat bereits nach wenigen Wochen ausgemacht, warum dies so ist: "Wir haben unser Spiel-Modell verloren und das müssen wir wiederfinden. Ich weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist, denn ich war sechs Jahre lang nicht hier. Es gibt in taktischer Hinsicht Dinge, die mich überraschen. Es gibt eine Mehrheit, die das Positionsspiel nicht versteht", übte der Barca-Coach nach dem wenig überzeugenden Heimsieg am vergangenen Wochenende gegen Elche deutliche Kritik.
Und weiter: "Seit ich 11 Jahre alt bin, gibt es Automatismen bezüglich des Positionsspiels. Aber es gibt viele Spieler, die das nicht verstehen. Es fällt schwer, das zu verstehen. Das kostet uns. Deswegen tun wir uns schwerer als gewohnt."
Tatsächlich rückte der Klub, der einst unter unter Pep Guardiola das Tiki-Taka perfektionierte und damit den Weltfußball dominierte, immer mehr von seinen Idealen und seiner Ideologie ab. Nach Guardiola installierte man zwar noch Tito Vilanova, der die Philosophie des aktuellen City-Trainers fortführte, aber der ehemalige Assistent musste wegen seiner Krebserkrankung 2013 zurücktreten. Es folgte Gerardo Martino, der sich aber kein Jahr hielt und durch Luis Enrique ersetzt wurde.
Der aktuelle spanische Nationaltrainer kombinierte Elemente, die Barca unter Guardiola erfolgreich machten, mit seinen eigenen Ideen. Das Spiel wurde somit variabler und man holte in drei Jahren neun Titel. Doch bereits unter Enrique schafften immer weniger Spieler aus der berühmten Nachwuchsakademie La Masia den Sprung zu den Profis und stattdessen wurden mehr und mehr teure Stars verpflichtet.
Als der 51-Jährige 2017 dann zurücktrat, entwickelte man sich von Ernesto Valverde, Quique Setien und Ronald Koeman in sämtlichen Belangen kontinuierlich zurück. Zwar konnten die Katalanen dank Superstars wie Lionel Messi oder Luis Suarez unter Valverde noch zwei Meistertitel feiern, die Dominanz war dem stolzen Klub aus Katalonien jedoch schon damals nach und nach abhanden gekommen.
Zudem häuften sich die Transferflops, weil der Klub nicht mehr Spieler holte, die ins System passten, sondern eher durch einen großen Namen auffielen. Philippe Coutinho und Antoine Griezmann sind Paradebeispiele für diese Transferpolitik.
Das Gehaltsgefüge geriet aus den Fugen, die Schulden stiegen immer weiter an und die Quittung war, dass Lionel Messi im Sommer 2021 nicht gehalten werden konnte. Die aktuelle Saison zeigt, dass der siebenfache Ballon-dOr-Sieger viele Probleme noch übertüncht hatte, die nun aber klar zum Vorschein kommen. Mit Messi dominierte Barca den spanischen Fußball in den vergangenen 15 Jahren wie kaum ein anderer Klub. In der Blütezeit von 2008 bis 2019 holte Barca acht von elf Meisterschaften. In der gesamten Messi-Ära waren es immerhin noch 10 von 18 Titeln.
Ein weiterer wird diese Spielzeit ziemlich nicht dazukommen, denn aktuell liegt Barca nach 18 Spieltagen mit 28 Punkten nur auf Platz sieben in der Tabelle. Vor allem die Offensive ist mit 29 Treffern so lahm wie selten. Der Rückstand auf Tabellenführer Real Madrid beträgt schon beträchtliche 15 Zähler. So schlecht war Barca zuletzt in der Saison 2002/03.
Damals hatte man zum gleichen Zeitpunkt 23 Punkte bei einem Torverhältnis von 27:23 und war Zehnter. Real war damals 14 Punkte voraus, der Tabellenführer seinerzeit hieß Real Sociedad und hatte sogar 17 Zähler mehr auf dem Konto. Am Ende der damaligen Saison qualifizierte sich Barca am letzten Spieltag noch mit Ach und Krach als Sechster für den UEFA-Pokal, der heutigen Europa League.
Ein ähnliches Abschneiden wäre dieses Mal eine Katastrophe, denn die Blaugrana sind auf die Einnahmen in der Königsklasse angewiesen, wenn der Schuldenberg nicht noch weiter ansteigen soll. Vor allem nachdem Barca erstmals seit 2000/01 die Gruppenphase der Champions League nicht überstand, ist jeder Euro fast schon überlebenswichtig.
Doch ist ein Platz unter den ersten Vier in Spanien für dieses Barca überhaupt realistisch? Beim Tabellenzweiten FC Sevilla war Barca zumindest das klar bessere Team und hätte einen Überraschungssieg definitiv verdient gehabt. Am Ende mussten sich die Gäste aber mit dem 1:1 begnügen, da die Offensive erneut einfach zu wenig lieferte. Die beste Chance auf den Siegtreffer hatte Ousmane Dembele mit einem Pfostenknaller in der 84. Minute. Zu diesem Zeitpunkt agierte Barca bereits rund 20 Minuten in Überzahl, nachdem Sevillas Jules Kounde nach einer Tätlichkeit gegen Jordi Alba vom Platz flog.
"Ich reise unzufrieden von hier ab. Doch morgen werde ich das Spiel sicherlich noch mal schauen und denken, dass wir gut gespielt haben. Der Eindruck von der Bank ist ein sehr guter. Wir kommen dem Barca nahe, das ich und die Mehrheit haben will. Es war eine sehr gute Partie", lobte Xavi auf der Pressekonferenz nach dem Spiel sein Team dennoch.
Es ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, denn bereits in den Spielen zuvor zeigten die Katalanen phasenweise wieder guten Fußball, machten sich das Leben aber durch eigene - teils haarsträubende - Fehler schwer. "Schon die erste Halbzeit gegen Elche war es sehr gut, in Villarreal gab es sehr gute Momente, in Pamplona ebenfalls. Es geht darum, all das über 90 Minuten abzurufen. Die Mannschaft hat gegen Sevilla, das sich auf einem hohen Niveau befindet, ihr Gesicht gezeigt und sehr gut mitgehalten. Wirklich. Schade ist nur das Unentschieden", so Xavi zur Entwicklung seines Teams.
Doch das Spiel in Sevilla ist nicht der einzige Hoffnungsschimmer für den angeschlagenen Fußball-Riesen: Im Januar wird mit Ferran Torres ein neuer Angreifer von Manchester City kommen. Laut Sky Informationen ist man sich mit dem Spieler längst einig und konnte sich nun endlich auch mit den Sky Blues auf einen Deal einigen.
Zudem kehren mit Pedri, Ansu Fati und Memphis zu Jahresbeginn drei Stars zurück, die Barcas Spiel auf ein neues Level heben können. Vor allem Pedri und Fati fehlen Barcelona fast schon die gesamte Saison und sind kaum zu ersetzen. Ein weiterer Grund, etwas positiver in die Zukunft zu schauen, ist die Entwicklung einiger Youngster unter Xavi. Der 19-Jährige Nico erzielte gegen Elche den wichtigen Siegtreffer und deutete schon mehrfach an, dass er Barca helfen kann. Auch der 20-jährige Flügelspieler Ez Abde zeigte unter dem neuen Coach vielversprechende Leistungen und dann ist da noch Gavi, der mit seine 17 Jahren schon für die spanische Seleccion auflief.
Der Mittelfeldspieler gilt als eins der größten Talente der Welt und angeblich stehen sämtliche Topklubs Schlange, um sich seine Dienste zu sichern. Doch Xavi denkt gar nicht daran, den Youngster abzugeben - im Gegenteil: "Darum müssen wir uns jetzt kümmern, wir müssen jetzt mit ihm verlängern. Wenn es nötig ist, legen wir das Geld unter uns allen zusammen. Wir dürfen Spieler wie Ansu, Pedri, Araujo oder Abde nicht verlieren. Soweit ich weiß, arbeitet der Verein an einer Lösung. Wir dürfen diese Spieler nicht verlieren", so der Barca-Coach über sein Juwel, dessen Arbeitspapier nur noch bis 2023 läuft.
Ein Gerüst aus Fati, Pedri, Ferran Torres und Gavi klingt vielversprechend. Dazu noch weitere hoch veranlagte und vergleichsweise junge Spieler wie Frenkie De Jong, Ronald Araujo oder Dembele, den Barca gerne behalten möchte. Und mit Xavi ein Trainer, der dem Klub endlich seine DNA zurückgeben will. Dennoch braucht Barca dringend noch einen richtigen Torjäger, um die Offensive wieder auf ein ernstzunehmendes Level zu hieven.
Laut übereinstimmenden spanischen Medienberichten sind die Barca-Bosse "zuversichtlich", dass man einen Transfer von BVB-Knipser Erling Haaland stemmen kann. Der Norweger würde von der Altersstruktur optimal zum neuen Barca-Stamm passen und wäre selbstredend die Verstärkung, um Barca wieder konkurrenzfähig zu machen. Haaland könnte sozusagen Ronaldinho 2.0 werden, denn als Barca 2002/03 letztmals so schwach war wie aktuell, reagierte der Verein und verpflichtete den Brasilianer von Paris St. Germain als neuen Star.
Ronaldinho brachte dem Klub den Erfolg zurück und übergab an Messi, der mit Iniesta und Xavi eine unglaubliche Ära prägte. Haaland könnte nun ab 2022 mit dem Coach Xavi ein eigenes Kapitel in der langen Geschichte des FC Barcelona schreiben, wenn er sich für die Spanier entscheidet und Barca diesen Coup tatsächlich realisieren kann.
Doch die aktuelle Mannschaft muss schon vorher noch die Kurve kratzen, denn ohne Königsklasse ist ein Haaland-Wechsel kaum vorstellbar. Platz vier ist also das Minimalziel. Dazu hat Xavi noch 20 Spiele in der Liga Zeit. In Sevilla wurde jetzt ein erster Schritt gemacht. Nicht mehr und nicht weniger.