Führung, Kader & Trainer: Bayerns Scheitern wirft Fragen auf
13.04.2022 | 15:57 Uhr
Das frühe Aus der Bayern in der Champions League gegen Villarreal kommt in Summe nicht so überraschend, wie zuerst gedacht. Die aktuelle Situation der Münchner wirft Fragen auf.
Am Dienstagabend hatte sich die Allianz Arena für einen denkwürdigen Abend herausgeputzt. Angefangen mit einer beeindruckenden Choreo der Südkurve und einem glänzend aufgelegten Publikum war eigentlich alles angerichtet für eine Aufholjagd des FC Bayern, wie man sie zuletzt wohl 2015 beim 6:1 gegen Porto oder 2016 beim 4:2 (n.V.) gegen Juventus in der Königsklasse gesehen hatte. Denkwürdig wurde der Abend. Jedoch nicht so, wie die Bayern ihn sich vorgestellt hatten.
Das Halbfinale findet nun zum zweiten Mal in Folge und zum dritten Mal in den vergangenen vier Jahren ohne den FC Bayern statt. Während man 2018 und 2021 gegen die Titelfavoriten aus Liverpool und Paris die Segel streichen musste, hieß die Endstation dieses Jahr Villarreal CF - ein krasser Außenseiter.
Der FC Bayern München hat am Dienstagabend versucht zu retten, was zu retten ist. Was den Einsatz, die Dominanz, die defensive Stabilität und das Spiel bis zum Sechzehner des Gegners anbelangt, konnte man dem Bundesliga-Spitzenreiter nicht viel vorwerfen. Was jedoch danach kam, war gegen ein kompakt stehendes und cleveres Gelbes U-Boot bestenfalls dürftig. Im Endeffekt ließen es die Münchner an Durchschlagskraft vermissen. Die letzten Zuspiele, die Flanken in die Box - zu viele Ungenauigkeiten bestimmten am Ende das Offensivspiel der Münchner. Daraus resultierte, dass die Bayern keine adäquaten Lösungen parat hatten und von den 23 gezählten Torschüssen am Ende nur drei richtig gefährlich waren.
Dass zum Schluss der frisch eingewechselte Alphonso Davies das Abseits kurz vor dem 1:1-Ausgleich aufhebt und damit zum Pechvogel der Bayern wird, ist unglücklich, ihm aber nur bedingt vorzuwerfen. "Eine Chance in so einem Spiel zuzulassen, das muss erlaubt sein", meint Sky Reporter Uli Köhler in der Nachbetrachtung des Ausscheidens. "Ein Schuss, ein Tor - das ist Fußball. Das gibt es."
Dieses Credo traf nur eben nicht auf die Bayern zu und ist eines von mehreren Problemen, welche die Münchner schon länger beschäftigen. Für die Säbener Straße wird der Abend auch im Nachgang für Kopfzerbrechen sorgen. Die Münchner haben auf das verhältnismäßig frühe Ausscheiden gegen den Tabellen-Siebten der La Liga nämlich schon länger "hingearbeitet". Wie sie solche Situationen künftig vermeiden, ist nur eine von vielen Fragen, die Nagelsmann, Salihamidzic und Kahn in den kommenden Wochen und Monaten beantworten müssen.
"Wir sind im Viertelfinale ausgeschieden. Deswegen werden wir nicht in Tränen ausbrechen. Wir haben nächstes Jahr wieder die Möglichkeit und werden wieder angreifen", sagte Kahn nach dem Spiel. Deshalb richte man jetzt volle Konzentration auf das Erreichen der zehnten deutschen Meisterschaft in Serie. "Das ist eine großartige Möglichkeit. Das hat noch keine Mannschaft in Europa geschafft." Ob das wirklich der Gefühlslage des ehemaligen Torwart-Titans entspricht, darf bezweifelt werden. "Man muss sich hinterfragen, ob es richtig ist, dass vieles beschönigt wird", analysiert Sky Reporter Florian Plettenberg. "Es fehlt mir zu oft der Klartext, die klare Kante, die es zu Zeiten von Hoeneß und Rummenigge gab, als die Mannschaft wusste: Jetzt sind hier keine Ausreden mehr gültig."
Klubintern dürfte die Enttäuschung allemal riesig sein, dass es am Ende "nur" zur Meisterschale reicht und nicht, wie von Kahn zuvor angekündigt, zu den Top-Vier der europäischen Spitzenteams.
Nicht nur mit fehlendem Klartext der Bayern-Bosse hat man sich auch auf anderen Ebenen in der nahen Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert. Abgesehen von der schwachen Kommunikation beispielsweise bei der Freiburg-Thematik und der vergangenen Jahreshauptversammlung, hat man es versäumt, erst Hansi Flick und nun Nagelsmann einen zufriedenstellenden Kader zu bauen. "Führungslos in der Krise", nennt Sky Reporter Köhler die aktuelle Situation. "Der FC Bayern verliert im Moment seine ureigene DNA, die Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge über zig Jahre aufgebaut haben", so die Einschätzung Köhlers, der sich zudem auf Bayern-Insider beruft.
Kahn, so höre man, denke an "FC Bayern Ahead" (ein klubeigenes Strategieprojekt) und kapsele sich ab, auch Salihamidzic, der in der Gunst der Fans verloren habe, ginge auf Tauchstation, erklärt Köhler auf Sky Sport News. Die Münchner lassen es an Führung derzeit vermissen, was sich auch zu den Spielern durchschlage.
Die Schonfrist für die Bayern-Führung um Kahn, Präsident Herbert Hainer und Salihamidzic ist vorbei. Die Chef-Etage muss beweisen, dass sie ähnlich gut im Krisenmanagement ist, wie es die Bayern-Bosse noch 2012 waren, als die Münchner in drei Wettbewerben als Zweite in Ziel kamen und auf tragische Art und Weise das "Finale dahoam" verloren. Bisher bleiben sie den Beweis noch schuldig.
Dass der Trainer bei Misserfolgen als erster im Fokus steht, ist eine alte Leier. Davon kann sich auch der zwar junge, aber hochgehandelte Nagelsmann nicht freimachen. Er wird sich vorwerfen lassen müssen, warum die spielerischen Leistungen der Bayern in dieser Saison solch großen Schwankungen ausgesetzt waren und unter anderem in einem 0:5-Pokal-Debakel und nun dem Viertelfinal-Aus gegen Villarreal endeten. In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, dass die Bayern die Bundesliga sowie die CL-Saison bis einschließlich zum Achtelfinale größtenteils zumindest numerisch erfolgreich gestalten konnten und wieder einmal einige Rekorde brachen.
Dennoch bleibt die Frage, warum sich für den Zuschauer der Münchner unter Nagelsmann kein Gefühl der Stabilität und Souveränität einstellt. Der Trainer-Neuzugang des FC Bayern hat es bisher versäumt, seine Stammformation zu finden. Seine Änderungen in den vergangenen Wochen sollen teamintern nicht jedem gefallen haben. Es muss die Frage erlaubt sein, wie viel Lust Spieler wie Müller, Neuer oder Lewandowski nach Heynckes, Guardiola, Ancelotti und Flick noch haben, ihre Spielweisen anpassen zu lassen.
Dass was Nagelsmann gegen Villarreal am Dienstag aufbot, war bis auf Niklas Süle das beste Spielermaterial, was die Bayern zur Verfügung haben. Der Ausfall Tolissos ist für die Tiefe des Kaders relevant, jedoch wären seine Startelf-Chancen gering gewesen. Die Mannschaft, die sich um das Weiterkommen mühte, ist eine starke Mannschaft - jedoch nur bis zur 14. Position.
"Der Kader muss überprüft werden", sagt Sky Reporter Plettenberg. "Es gibt ein Gefälle im Kader, das nicht den Ansprüchen des FC Bayern genügt - nicht erst seit gestern und nicht erst seit vorgestern." Das zeige vor allem der Blick auf die Bank, so Plettenberg. "Wenn nur die Hälfte derer, die auf der Bank sitzen, das Potenzial haben, eingewechselt zu werden, dann ist das zu wenig."
Der aktuelle Kader mag auch zu internationalen Titeln fähig sein. Doch dazu müssen die Spieler auch ihre Leistung abrufen. Aktuell hat Nagelsmann nicht genug Material, um mehrere spielerische Ausfälle adäquat zu ersetzen. Um im Konzert der Größten mitspielen zu können, müssen die Münchner daher schleunigst aktiv werden.
"Lewandowski, Neuer und Müller merken auch, dass sich etwas verändert, dass die Qualität abgeht", sagt Plettenberg. Sowohl von Thomas Müller als auch von Manuel Neuer und Robert Lewandowski laufen die Verträge im Sommer 2023 aus. Alle drei sind unumstrittene Leistungsträger, denen es nicht gefallen würde, wenn das Champions-League-Ziel in der kommenden Saison etwas defensiver formuliert wird und nicht mehr Halbfinale heißt.
Während man bei Neuer und Müller aber nicht mit einem Abgang rechnet, sieht die Sache beim polnischen Goalgetter etwas anders aus. Das "Lewandowski-Thema" hat in dieser Woche an Lautstärke gewonnen. Der Stürmer-Star soll sich mit Barca bereits geeinigt haben. "Nonsens", kommentierte Kahn die Meldung am Dienstag bei Amazon Prime. Trotzdem soll der Pole einem Wechsel sehr offen gegenüberstehen, wie die Sky Transfer Experten Marc Behrenbeck und Florian Plettenberg am Montag in Transfer Update - Die Show herausstellten.
Lewandowski könnte nach einer neuen Herausforderung suchen, wollte schon immer nach Spanien wechseln und dürfte sich dort auch größere Chancen auf den Gewinn des Ballon d'Or ausrechnen. Das Thema wird die Bayern also noch beschäftigen.
Die gestandenen Bayern-Spieler sind durchaus selbstkritisch und streben immer nach dem Höchsten. Dass sie nun gegen Villarreal ausschieden machte wohl nicht nur Thomas Müller "sprachlos". Für die Münchner wird es nun darauf ankommen, die Spannung weiter hochzuhalten. Auch wenn das nicht so leicht werden dürfte, da laut Lothar Matthäus die Stimmung im Team verbesserungswürdig sei. Schon vor dem Rückspiel gegen den spanischen Klub hatte der Sky Experte seine Bedenken geäußert: "Die Stimmung bei den Bayern ist nicht gut. Nicht nur sportlich, sondern es gibt viele, viele Baustellen und Diskussionen. Auch das Transferthema um Lewandowski ist wieder ein heißes geworden." Er habe "in den letzten Jahren selten so viel Unruhe bei den Bayern gesehen."
Darum ginge es nun auch, sagte Nagelsmann im Anschluss des Spiels auf der Pressekonferenz. Die Münchner haben noch fünf Spiele vor der Brust und einen Vorsprung von neun Punkten auf den BVB. Dass da etwas anbrennt, glaubt wohl niemand mehr. In München ist die Meisterschaft mittlerweile nur noch Beiwerk, weswegen die aktuelle Spielzeit mit dem Aus in Pokal und Champions League in Summe keine gute ist. Am kommenden Ostersonntag müssen sie trotzdem nach Bielefeld. In diesen Partien geht es um den Stil, wie man die Saison abschließt. Zumal die Saison für die Mitstreiter noch nicht gelaufen ist.