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Fußball: Gisdol über Süle, Nagelsmann, FC Bayern & HSV

Gisdol exklusiv: "Süle braucht mehr Zuwendung"

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Image: Markus Gisdol machte Niklas Süle bei der TSG Hoffenheim zum Profi.  © DPA pa

Der Krieg in der Ukraine beendete Markus Gisdols Engagement bei Lokomotive Moskau abrupt! Rücktritt am 1. März. Seither hat der 53-Jährige die Zeit genutzt, um die Akkus aufzuladen und ist jetzt bereit für neue Aufgaben.

Sky Reporter Sven Töllner hat Gisdol in Hamburg getroffen - an einem Ort also, an den der Ex-HSV-Coach immer wieder gerne zurückkehrt.

Sky: Außergewöhnliche Umstände haben zu Ihrem Abgang aus Moskau geführt. Wie ist das abgelaufen?

Markus Gisdol: Ich möchte zunächst betonen, dass es sportlich eine sehr interessante Aufgabe war, dort zu arbeiten. Als der Krieg ausgebrochen ist, habe ich schnell gemerkt, dass ich mit der Situation große Schwierigkeiten habe und damit nicht klarkomme. Ich habe es nicht geschafft, mich auf Fußball zu konzentrieren. Es gab für mich keine andere Lösung als den Verein zu verlassen. Mir war klar, dass ich eine konsequente Entscheidung treffen und Moskau verlassen muss.

Sky: Es war Ihre erste Station im Ausland. Haben Sie trotz der Umstände Erfahrungen gemacht, die Sie als Trainer und als Mensch weitergebracht haben?

Gisdol: Ja - und ich wäre wirklich gern länger dort geblieben, denn wir hatten in der Vorbereitung gut gearbeitet und waren voller Vorfreude auf die Rückrunde. Es war schon deshalb eine wichtige Erfahrung, weil ich in einer anderen Sprache arbeiten musste. Wenn man die Ansprachen auf Deutsch hält, findet man letztlich immer ein passendes Wort - auf Englisch kann das schon zur Herausforderung werden. Mir hat das gut getan und mich bereichert.

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Sky: Sie sind also bereit für weitere Auslandsstationen?

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Gisdol: Mit dem Schritt ins Ausland wollte ich natürlich auch testen, ob mir das liegt - und ob ich in der Lage bin, in anderen Kulturen mit anderen Mentalitäten zurechtzukommen. Ich bin froh, dass das positiv verlaufen ist. Ich habe gemerkt, dass das Interesse ausländischer Klubs durch das Engagement in Moskau größer geworden ist. Das macht mich auf jeden Fall flexibler in meinen Entscheidungen.

"Habe jetzt wieder richtig Lust, Trainer zu sein"

Sky: Wie planen Sie die nähere Zukunft?

Gisdol: Nach der Zeit in Moskau habe ich schon ein paar Wochen gebraucht, um die Dinge zu verarbeiten. Im April saßen wir mit der Familie zusammen und mein Sohn, der ist jetzt 11, hat zu mir gesagt: Papa, es wäre doch schön, wenn wir mal die Sommerferien zusammen verbringen könnten. Die Idee fand ich gut und hab mich entschieden, erstmal eine Auszeit zu nehmen, keine Gespräche zu führen und alle Angebote abzublocken. Ich bin froh, dass ich das gemacht habe, denn das hat mir sehr viel Kraft gegeben. Jetzt habe ich wieder richtig Lust darauf, Trainer zu sein und bin bereit, eine Aufgabe zu übernehmen, die sich richtig anfühlt. Und für die Familie war es auch eine sehr wertvolle Zeit.

Sky: Heißt das, Sie haben diese Auszeit auch unabhängig vom Ende in Moskau einfach mal gebraucht?

Gisdol: Ja. Man merkt, dass man diese Schutzschilder, die entstehen, wenn man in diesem Hamsterrad drinsteckt, nicht mehr aufbaut und wieder mit offenen, freien Gedanken an die Dinge des Lebens rangeht. Natürlich hinterfragt man sich auch selbst und sieht Vieles gelassener. Irgendwann merkt man, dass man wieder bereit ist, dass es sich wieder gut anfühlt, als Trainer arbeiten zu können. Das ist ein ganz neues Gefühl, die Energie ist wieder da und ich freue mich auf die Zukunft.

Sky: Wann planen Sie den Wiedereinstieg - und wo?

Gisdol: Ich würde mir wünschen, einen Verein zu trainieren, der klare und realistische Vorstellungen hat und gemeinsam in dieselbe Richtung marschiert. Ich möchte mir diesmal auch die Freiheit herausnehmen, abzuwarten bis der richtige Moment und die passende Situation kommt. Natürlich fehlt es mir auch, mit einer Mannschaft zu arbeiten und mit einem Trainerteam Dinge zu entwickeln. Ich will ein gutes Gefühl bei den Leuten haben, mit denen ich arbeite - vom Land oder von der Spielklasse hängt das nicht ab.

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Sky: Die Nationalmannschaft hat die letzten beiden Härtetests vor der WM in der Nations League absolviert - mit mäßigem Erfolg. Ist Deutschland dennoch ein Titelkandidat?

Gisdol: Es wird jetzt alles ein wenig kritischer gesehen. Das ist normal im Fußball - und das ist auch legitim. Ich finde, dass wir einen sehr guten Kader beisammen haben und bin sicher, dass Hansi Flick die richtigen Spieler nominieren wird. Wichtig wird sein, in der unmittelbaren Turnier-Vorbereitung Abläufe zu erarbeiten und Details zu besprechen. Wenn sich die Mannschaft dann findet, bin ich überzeugt, dass wir eine gute WM spielen werden und Weltmeister werden können. Natürlich ist es außergewöhnlich, dass das Turnier im Winter stattfindet - eine neue Erfahrung. Aber wir haben in der Mannschaft und im Trainerteam das Potenzial für den Titel.

Sky: Hansi Flick hat eine ganze Menge Turniererfahrung, geht aber erstmals als Bundestrainer in eine WM.

Gisdol: Was das anbelangt, bin ich völlig ohne Sorge. Hansi hat bei den Bayern eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er ein gutes Gefühl für die Gruppe hat und tollen Fußball entwickeln kann. Bei der Nationalmannschaft wird es vielleicht sogar noch ein bisschen leichter für ihn.

Sky: Apropos Bayern - sehen Sie einen Zusammenhang zwischen deren derzeitiger Schwächephase und den dürftigen Auftritten des DFB-Teams?

Gisdol: Das kann man sicher nicht komplett wegdiskutieren - aber ich finde, mit der Analyse macht man es sich zu einfach. Da werden wir den anderen Spielern auch nicht gerecht. Es gibt genug gute Leute in Dortmund, Leipzig oder den anderen Spitzenklubs. Jeder muss halt seinen Mann stehen und Verantwortung übernehmen - egal von welchem Verein er kommt.

"Niemand sollte den Fehler machen, ihn zu unterschätzen"

Sky: Julian Nagelsmann, ihr ehemaliger Co-Trainer in Hoffenheim, ist bei den Bayern zuletzt unter Druck geraten. Wir beurteilen Sie seine Entwicklung?

Gisdol: Er war für ein paar Spiele mein Co und wollte dann lieber wieder eigenverantwortlich arbeiten. Das war in Ordnung und sinnvoll, weil damals schon klar war, dass er ein außergewöhnliches Trainer-Talent ist. Er hat immer erfolgreich gearbeitet und jede Situation gemeistert - in der Jugend, in Hoffenheim, in Leipzig oder jetzt bei den Bayern. Niemand sollte den Fehler machen, ihn zu unterschätzen. Gerade wenn er besondere Herausforderungen zu meistern hat, zeigt sich, wie viel Ehrgeiz und Kompetenz er in sich hat. Entscheidend ist natürlich, dass er die hundertprozentige Rückendeckung vom Verein erfährt - das ist ja offenbar der Fall. Ich bin sicher, dass Julian und die Bayern schnell aus der Ergebnis-Krise herausfinden.

Sky: Der BVB steht derzeit vor den Bayern - mit Niklas Süle in der Abwehr. Sie haben ihn in Hoffenheim zum Profi gemacht - gab es damals schon Diskussionen um Gewicht und Ernährung?

Gisdol: Ich habe ihm damals direkt Einsatzzeiten gegeben, weil er ein außergewöhnliches Talent war - das hat er im Training sofort unter Beweis gestellt. Es gibt kaum einen Spieler, der keine Schwächen hat. Der eine kann nicht köpfen, der andere ist zu langsam oder hat keinen linken Fuß. Niki wird halt immer wieder die Geschichte mit dem Gewicht zugeschrieben. Er braucht ein bisschen mehr Nähe, etwas mehr Zuwendung als andere - dann liefert er hervorragende Leistungen. Wenn man Dinge mit ihm klar bespricht, dann ist er bereit unglaublich hart und konsequent an sich zu arbeiten. Ich bin mir sicher, dass er ein sehr guter Spieler für Dortmund und die Nationalmannschaft ist.

Sky: Auch im 1. FC Köln steckt noch eine ganze Menge Gisdol. Wie bewerten Sie deren Entwicklung?

Gisdol: Es freut mich sehr, dass die Entwicklung so positiv ist. Wenn ich die Mannschaft aktuell spielen sehe, erinnert mich das an die Phase, als wir aus zehn Spielen acht Siege geholt haben - dann kam Corona und hat uns den Stecker gezogen. Ich habe weiterhin Kontakt zu vielen Leuten im Verein und wünsche dem FC natürlich weiterhin eine erfolgreiche Saison.

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Sky: Am Samstag kommt Anthony Modeste mit dem BVB zurück nach Köln. War sein Wechsel ein Fehler?

Gisdol: Das sehe ich nicht so. Anthony ist jederzeit in der Lage zu treffen - auch für Dortmund. In einem Spitzenklub ist die Erwartungshaltung natürlich anders. Ich habe ihn aber körperlich lange nicht so gut gesehen wie derzeit - er wird sich seine Chancen erarbeiten und auch wieder treffen.

Sky: Wir treffen uns hier in Hamburg - wie schätzen Sie die Lage bei Ihrem Ex-Klub ein. Gelingt der Aufstieg trotz der Querelen?

Gisdol: Sportlich sieht es sehr gut aus. Ich sehe attraktiven Fußball und habe den Eindruck, dass Jonas Boldt und Tim Walter einen Weg gefunden haben, mit den unruhigen Momenten im Verein klarzukommen. Das scheint an der Mannschaft abzuprallen. Fast jeder in Deutschland wünscht sich den HSV in der 1. Liga, und es wäre schön, wenn der Aufstieg gelingen würde.

"Trainerentlassungen sind eine Gefahr für unsere Talente"

Sky: Tim Walter tut immer so, als würden ihn die Streitereien in der Vereinsführung überhaupt nicht beschäftigen. Geht das überhaupt?

Gisdol: Das muss man als Trainer wegschieben können. Bei Traditionsklubs ist es nun mal meist ein bisschen unruhiger, weil sehr viele Leute mitreden und ihre Meinung öffentlich kundtun wollen. Das muss man von der Mannschaft weghalten, sonst infizieren die Querelen die Gruppe. Trainer müssen in der Kabine immer ihre Antennen aufstellen, schauen, wo es brodeln könnte und lodernde Feuer sofort wieder austreten, bevor dadurch sportliche Probleme entstehen können.

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Sky: In der Bundesliga sind in dieser Saison bereits zwei Trainer entlassen worden, mehrere Stühle scheinen zudem zu wackeln. Besorgniserregend?

Gisdol: Ich sehe dabei ein konkretes Problem - eine Gefahr. Ich habe die Sorge, dass wir die Entwicklung und Förderung von Talenten durch die immer kürzer werdende Verweildauer der Trainer hintenüber fallen lassen. Manche Kollegen denken möglicherweise so: Warum soll ich Zeit investieren, um einen Spieler auszubilden, der mir vielleicht in einem halben Jahr erst weiterhilft? Dann bin ich ja vielleicht gar nicht mehr da. Ich hoffe sehr, dass das nicht dazu führt, dass wir vergessen unsere Talente auszubilden!

Das Interview führte Sven Töllner

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