Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt auf skysport.de. In dieser Woche beleuchtet er das Titelrennen in der Bundesliga.
Ich kann die Verärgerung von Julian Nagelsmann nach der 0:2-Niederlage in Frankfurt sehr gut verstehen. Seine Aussagen waren aber keinesfalls zu hart oder überzogen. Er hat lediglich klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, was ihm nicht passt und dafür ein sehr gutes Beispiel benutzt. Wer auf dem Weg zum Gipfel auf halber Strecke lieber den schönen Ausblick genießt, als sich ganz nach oben zu quälen, der bleibt eben auf der Strecke.
Die Leipziger haben in den beiden Rückrunden-Spielen bisher den Eindruck erweckt, als dass sie sich auf der tollen Vorrunde ein kleines bisschen ausruhen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie diesen Schwung mitnehmen und noch besser werden. Aber das ist bisher nicht zu sehen. So wie sie jetzt spielen, wird man nicht Deutscher Meister. Aktuell sehe ich das Momentum aufgrund der dominanten Spielweise eher noch bei Borussia Dortmund aber erst recht bei Bayern München.
Nagelsmanns Kritik genau richtig
Die Mannschaft von Nagelsmann scheint vor allem unter der Woche im Training nicht das zu zeigen was nötig ist, um auch am Wochenende im Stadion die angebrachte Leistung zu abzurufen. Da man nur mit Streicheln und Kuscheln im Profisport nicht das Maximum erreichen wird, war es genau richtig, mal ein paar deutliche Worte an die Profis zu richten.
Julian hat ziemlich deutlich gemacht, dass er Deutscher Meister werden will, seine Mannschaft dafür aber aktuell nicht alles gibt. Die Diskussion um den Friseur im Team-Hotel sehe ich allerdings nicht kritisch. Man muss die jungen Menschen auch mal so sein lassen wie sie sind.
Und heutzutage gehört es hin und wieder dazu, sich stylen zu lassen, um eben gut auszusehen. Hier einen Zusammenhang zu fehlender Professionalität zu sehen, ist in meinen Augen übertrieben. Früher hat man im Hotel lange Karten gespielt oder ist noch ins Kino oder zum Essen. Heute hat man den Eindruck, die jungen Spieler dürfen sich gar nichts mehr erlauben.
Jedes Spiel ein Endspiel für Leipzig
Für Leipzig ist nun jedes Spiel ein Endspiel um den Titel und traditionell kommt jetzt die Zeit, in der die Bayern am besten sind. Unter Hansi Flick spielt der FC Bayern so dominant, aggressiv und zielstrebig wie ich es seit sehr vielen Jahren nicht mehr gesehen habe. Da ist ein Wille, aber auch eine klare Spiele-Idee, eine Leichtigkeit und eine Harmonie sowie ein Spiel-Verständnis und ein Zusammenhalt auf dem Feld zu sehen der absolut beeindruckend ist.
Allein wie Flick die Achse aus Neuer, Boateng und Müller behandelt, einbindet und anpackt ist ganz großer Sport. Boateng geht kein unnötiges Risiko mehr, Müller ist wieder ganz der alte und wie er Neuer öffentlich in den letzen Wochen gestärkt hat, zeigt, welche Verbundenheit Flick auch zu den Weltmeistern von 2014 hat.
...dann kann niemand Bayern das Wasser reichen
Flicks großes Plus ist der Umgang mit den Menschen. Ob Familie oder Profis. Bei ihm gibt es nie Streit, Hektik oder Missstimmungen. Er bleibt immer ruhig, respektvoll und hat alles unter Kontrolle.
Das in Kombination mit der Qualität des Kaders und dem Willen, den Bayern-Spieler naturgemäß haben, ist eine Mischung, die in der Liga sonst keiner hat. Das weiß auch Nagelsmann und deshalb legt er jetzt den Finger so in die Wunde.
Bei Bayern ist es mittlerweile sogar so, dass bei den wenigen Ballverlusten, die auch sie haben, selbst Robert Lewandowski alles tut, um hinter den Ball zu kommen und zu verteidigen. Solange das so bleibt, kann niemand in der Liga Bayern das Wasser reichen.
Wenn Leipzig Meister werden will und sie können das natürlich schaffen, müssen sie in jedem Spiel über ihre Grenzen hinaus gehen. Man hat ja gesehen, wie gierig die Bayern nach dem RB-Ausrutscher waren. Wenn ein Team geiler auf dem achten Titel in Folge ist, als die Konkurrenz auf die erste Meisterschaft, dann ist alles gesagt.