Matthäus: Große Klopp-Krise ist eine Chance für Leipzig
10.03.2021 | 20:37 Uhr
Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt. Dieses Mal spricht der Rekord-Nationalspieler über die anstehenden beiden CL-Spiele von Leipzig und Dortmund und blickt dabei besonders auf die Klopp-Krise. Zudem zieht er eine persönliche Parallele zu Marco Rose.
Ist die große Klopp-Krise, eine Chance für RB? Ich sage, ja. Liverpool hat am Wochenende die sechste Heimniederlage in Folge erlitten und Jürgen hat selbst zugegeben, dass das gerade einer der schwierigsten Momente seiner Trainer-Karriere ist.
Kaum zu glauben, aber für die Reds ist es ausnahmsweise mal ein Vorteil, nicht an der legendären Anfield Road zu spielen, denn die ist gerade mit einem Fluch für die Mannschaft belegt. Sogar gegen den Abstiegs-Kandidaten Fulham ging der englische Meister als Verlierer vom Platz.
Die Klopp-Krise hat viele Gründe. Sie waren in den letzten Jahren unfassbar erfolgreich. Die Meisterschaft wurde nach einer Durststrecke von 30 Jahren gewonnen. Davor dominierte das Team in Europa und gewann die Champions League. Es ist normal, dass Spieler, die solche Dinge erreicht haben, ein kleines bisschen nachlassen. Allein Torwart Alisson Becker hat in dieser Saison öfter gepatzt, als in den letzten Jahren zusammen.
Hinzu kommt das extreme Verletzungspech in dieser Saison. Vor allem die Defensive hat sehr gelitten. Die Corona-Krise macht das Ganze leider auch nicht leichter. Und wenn man dann noch einen Trainer hat, der Vollgas-Fußball spielen lässt und Vollgas-Training verlangt, dann kommt irgendwann einmal der Punkt, an dem man in ein Leistungs-Loch fällt. Und das erlebt Liverpool gerade. Für Leipzig läuft es hingegeben optimal. Die Mannschaft spielt gut und erfolgreich. Sie sind die einzigen, die den Bayern Paroli bieten und wenn sie ihr Top-Niveau abrufen können, haben sie trotz des 0:2 aus dem Hinspiel eine Chance.
Natürlich werden die Diskussionen um Klopp in Liverpool nicht verstummen, wenn es weiter Niederlagen in der Premier League hagelt. Die Champions-League-Plätze sind bereits in weiter Ferne und nur noch ein positives Abschneiden in Europa kann die Saison retten. Aber das traue ich Jürgen und dieser Mannschaft zu. Ich denke da oft an Real Madrid. Wie oft haben die in der Liga total enttäuscht, am Ende die Champions League gewonnen und alles war gut. Aus deutscher Sicht, drücke ich aber RB die Daumen.
Bei den Fans hat Klopp glaube ich noch sehr viel Kredit. Dafür hat er diesem Klub einfach viel zu viel Freude geschenkt in den letzten Jahren und ich wünsche ihm auch, dass die Klubführung nach einer vielleicht nicht so erfolgreichen Saison weiter zu ihm steht wie in der Vergangenheit.
Diesen Bonus hat er sich verdient.
Und auch wenn die Situation eine andere ist, so hat auch Marco Rose den aktuellen Bonus von Max Eberl verdient.
Bis auf die letzten Wochen, hat Rose super Arbeit in Gladbach geleistet. Und für diejenigen, die mir nicht richtig zugehört haben: Ich habe nie gesagt, dass Rose die ganze Kabine und damit alle Spieler verloren hat. Die Rede war immer von einigen Spielern. Und das ist ein Fakt. Ich weiß, dass in Gladbach einige Spieler enttäuscht sind, weil ihr Chef den Verein verlässt und sie auch wegen ihm zur Borussia gewechselt sind oder verlängert haben und das gemeinsame Projekt nun beendet wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass manche Angestellten in der Firma nicht mehr so performen, nachdem klar ist, dass der Vorgesetzte nicht mehr lange da ist.
Mir ging es 2000 ähnlich. Ich hatte mich vor allem für New York entschieden, weil die Trainer-Legende Bora Milutinovic und sein Klub-Manager mich persönlich für das Projekt begeistert hatten. Nur ein paar Wochen nach meiner Unterschrift wurden beide entlassen und Leute verpflichtet, zu denen ich überhaupt keinen Draht hatte. Das hat mich total demotiviert und deshalb kann ich auch die Enttäuschung von ein paar Gladbach-Spielern verstehen.
Ich mache Marco Rose keinen Vorwurf. Er hat sich korrekt verhalten und von seiner Klausel Gebrauch gemacht. Das machen viele Spieler und dann ist es auch bei Trainern legitim. Man kann es selten allen Recht machen. Das gilt besonders in der Welt des Fußballs.
Ich mache mir aber heute noch Vorwürfe, dass ich meine Jungs in Brasilien damals habe hängen lassen. Das ist das Einzige, was ich in meiner Karriere gerne ändern würde, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte. Ich würde alles nochmal genauso machen. Aber den Vertrag bei Atletico Paranaense würde ich nicht nach zwei Monaten wieder auflösen lassen. Die Spieler haben damals zu mir aufgeschaut, hingen mir an den Lippen und ich habe den Klub 2006 nach zwei Monaten aus persönlichen Gründen verlassen. Das schlechte Gewissen begleitet mich bis heute. Und ich bin sicher, dass es Rose auch leid tut, dass er ein paar seiner Spieler durch die persönliche Entscheidung enttäuscht hat.
Auch die Enttäuschung von Marco Reus direkt nach der Niederlage in München ist für mich völlig in Ordnung. Solche Aussagen können viele nicht verstehen, weil sie sich nach Ausreden anhören. Aber wir alle die auf diesem Niveau Fußball gespielt haben, wissen wie das ist. Dortmund und Marco stehen unter wahnsinnigem Druck. Sie waren enttäuscht, dass sie nach einem 2:0 noch 2:4 verlieren und nach so einer Partie ist man als Profi so geladen und frustriert, dass der Ärger sich seinen Weg sucht. Völlig in Ordnung und von meiner Seite aus, gibt es für Marco dafür nicht einmal die verbale Gelbe Karte.
Die gibt es höchstens, wenn sie die gute Ausgangsposition gegen Sevilla noch verspielen. Aber wenn Leipzig noch eine Chance gegen Liverpool hat, dann sind auch die Südspanier gegen den BVB nicht schon verloren. Dortmund braucht nochmal eine Top-Leistung und sollte sich nicht zu früh in Sicherheit wiegen. Ein schnelles Gegentor und alles ist möglich. Zudem fehlen Sancho und andere Leistungsträger. Sevilla bleibt ein gefährlicher Gegner. Aber eigentlich sollte das 3:2 aus dem Hinspiel reichen.