Tuchel gibt Rätsel auf!
18.04.2024 | 15:39 Uhr
So hat man Thomas Tuchel noch nie gesehen: Mit weit ausgestreckten Armen, hockend und laut schreiend vor Freude über den verdienten Einzug ins Halbfinale. Mit seinen Spielern im Hintergrund, der Noch-Trainer in der ersten Reihe, in der Kabine seines Noch-Arbeitgebers, der vor knapp zwei Monaten die Entscheidung getroffen hatte, sich von Tuchel am Saisonende zu trennen.
Seitdem hat der 50-Jährige viele Gesichter gezeigt: Das Lachende, Beleidigte, Frustrierte, Erschütterte, Teilnahmslose, das in Ekstase. Am Mittwochabend zeigte er sich zunächst von seiner kontrollierten, später dann vor allem von seiner entfesselten Seite. Jener, die mitreißt und sich auf die Mannschaft und die Ränge überträgt. Getragen von einer funktionierenden Idee (Raphael Guerreiro für Serge Gnabry links vorne und Manndeckung über den ganzen Platz). Im Anschluss an den Erfolg dann das Foto, was Fragen aufwirft:
Ist es richtig, sich von Tuchel vorzeitig getrennt zu haben?
Warum bewegt sich Tuchel emotional in diesen Extremen?
Kann man einen Trainer entlassen, der im Halbfinale der Königsklasse steht, obwohl er seit zwei Monaten auf Abschiedstournee ist und längst hätte resignieren können?
Wäre Max Eberl in der Lage, mit Tuchel einen Kader zu formen, der allen Ansprüchen genügt?
Müssen die Bayern die Tuchel-Trennung revidieren, wenn Julian Nagelsmann absagt?
Klar ist, dass die Bayern-Bosse nicht mit dem Halbfinale gerechnet haben. Darauf gehofft? Ja! Es tatsächlich einkalkuliert? Nein! Das hatte sogar Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen am Mittwochabend am Sky Mikro zugegeben. Dass Tuchel dermaßen befreit jubelt, zuvor noch die Ränge einheizt und später ein Bild freigibt, in welchem er im Mittelpunkt steht und über das Harry Kane sagt, dass es ihn nicht verwundere, weil er täglich sehe, mit welcher Akribie Tuchel arbeite. Auch damit dürften die wenigsten gerechnet haben. Dabei zeigt es jenen Tuchel, den man bekommt, wenn man ihm vertraut. Wegbegleiter sagen, dass das Kabinen-Foto von Tuchel authentisch sei. Nicht gestellt. Es zeige den echten Tuchel.
Denn Tuchel brennt, er will die Champions League gewinnen. Mit diesem Ehrgeiz, so ist es zu hören, steckt er im Verein derzeit fast alle an. Und fast alle ziehen mit. Zumindest unter der Woche, denn die Darbietungen am Wochenende in der Bundesliga waren in dieser Saison eines FC Bayern zu oft unwürdig. Tuchel weiß das. Ebenso, dass er Fehler gemacht hat. Dass er vor allem im Sommer zu viele Spieler gefordert hat, deren Transfer unrealistisch war. Dass er mit seiner Holding-Six-Debatte Führungsspieler gegen sich aufgebracht hatte und die Bosse somit erste Alarmsignale empfingen.
Tuchel wandelt zwischen den Extremen. Zwischen Genie und Wahnsinn. Tuchel gibt Rätsel auf.
Alle Fragen, die man sich jetzt stellt, lassen sich nicht beantworten. Klar ist nur: Die Trennung zwischen den Bayern und Tuchel ist bislang nur mündlich erfolgt. Sie ist lediglich abgesprochen, noch nicht schriftlich besiegelt. Was wäre also, sollte Nagelsmann absagen, die Bayern sich auf keinen Plan C einigen können und Tuchel am 1. Juni den Henkelpott in die Höhe stemmen? Wäre es denkbar, dass die Bayern die Tuchel-Trennung revidieren? Einige Bosse schließen das kategorisch aus. Für sie ist die Tuchel-Trennung beschlossene Sache. Und wie denkt Tuchel? Er schließt derzeit gar nichts aus.
Mehr zum Autor Florian Plettenberg
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