30 Jahre mussten Fans des FC Liverpool auf den Gewinn der 19. englischen Meisterschaft warten. Bis zum nächsten Titel dürfte wahrscheinlich deutlich weniger Zeit vergehen, denn die Zukunft sieht rosig aus. Kann Jürgen Klopp gar eine Ära prägen?
Jürgen Klopp ist am Ziel seiner Träume. Rund ein Jahr nach dem Gewinn der Champions League gewinnt der Erfolgscoach mit dem FC Liverpool auch die langersehnte englische Meisterschaft. Es ist der erste Liverpooler Liga-Triumph seit 30 Jahren, als Kenny Dalglish den Traditionsklub im Jahr 1990 zum Titel führte. Dank der 1:2-Niederlage von Verfolger Manchester City beim FC Chelsea sind die Reds rechnerisch nicht mehr von Platz eins der Premier League zu verdrängen und lösen damit das Team von Pep Guardiola als Meister ab.
Fans feierten das Ende der Durststrecke bis tief in die Nacht und Klopp selbst war derart überwältigt, dass er das Interview mit Sky abbrechen musste. Es war ohne Frage ein besonderer Titel für den ehemaligen Rekordmeister, aber wie stehen die Vorzeichen, dass in den kommenden Jahren weitere hinzukommen? Könnte Liverpool sogar eine eigene Ära prägen und zur Dynastie werden? Einiges deutet darauf hin, aber es gibt auch Punkte, die gegen Liverpool sprechen.
PRO: KLOPP UND LEISTUNGSTRÄGER MIT LANGFRISTIGEN VERTRÄGEN
Klopp ist ohne Wenn und Aber der Architekt der aktuellen Erfolge des LFC. Als der gebürtige Stuttgarter 2015 als Nachfolger von Brandan Rodgers vorgestellt wurde, rechnete wohl niemand mit einem derartigen Höhenflug. Doch der 53-Jährige implementierte sein Pressingsystem, baute das Team nach und nach nach seinen Vorstellungen um und erntet nun die Früchte. Und Klopp hat noch nicht genug, schließlich verlängerte er erst im vergangenen Dezember sein Arbeitspapier vorzeitig bis 2024.
Und nicht nur Klopp ist mit einem langfristigen Vertrag ausgestattet. Abgesehen von Georginio Wijnaldum, dessen Vertrag im kommenden Sommer ausläuft, sind alle Leistungsträger bis mindestens 2022 gebunden, wenn der Vertrag von James Milner erneuert werden müsste. Mo Salah, Sadio Mane, Virgil van Dijk Fabinho, Naby Keita, Jordan Henderson und Alex Oxlade-Chamberlain haben bis 2023 unterschrieben und sogar bis 2024 gilt der Kontrakt von Trent Alexander-Arnold, Andy Robertson, Joe Gomez und Alisson. Auch Positiv: Fast alle genannten Spieler haben ihre beste Zeit noch vor sich.
CONTRA: KONKURRENZ SCHLÄFT NICHT
Kaum eine Liga ist derart umkämpft wie die Premier League. Meistens spielen mehrere Mannschaften um den Titel, vor einem Jahr waren es mit Liverpool und City zumindest zwei. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Reds in der kommenden Spielzeit wieder derart durch die Liga marschieren werden. ManCity hatte in der aktuellen Runde vor allem in der Defensive enormes Verletzungspech, wird aber 2020/21 wieder neu angreifen. Und damit stehen sie nicht alleine da.
Der FC Chelsea hat sich mit Timo Werner und Hakim Ziyech bereits enorm verstärkt und ist noch längst nicht fertig und auch Manchester United plant der Großangriff auf dem Transfermarkt. Nach Sky Informationen stehen sowohl Jadon Sancho als auch Kai Havertz auf dem Wunschzettel der Red Devils. Auch Jose Mourinho wird sich bei Tottenham Hotspur nicht damit zufrieden geben, die Tabellenspitze nur mit dem Fernglas zu sehen.
PRO: REDS MIT ENORMEN FINANZIELLEN MITTELN
Die Corona-Pandemie setzt allen Profiklubs zu - auch dem FC Liverpool. Ein Vorteil der Reds ist jedoch, dass sie zum einen in den letzten Jahren in Europa stets viel Geld einspielen konnten und sich zudem im vergangenen Sommer auf dem Transfermarkt komplett zurückgehalten haben.
Generell steht während Klopps Amtszeit nur ein Transferminus von etwa 120 Millionen Euro zu Buche, da zwar durchaus investiert wurde, aber auch Spieler wie beispielsweise Philippe Coutinho zu ordentlichen Preisen verkauft wurden. Das bedeutet nicht, dass die Reds im kommenden Sommer die vermeintlichen Abgänge von Adam Lallana, Dejan Lovren oder Xherdan Shaqiri durch überteuerte Spieler ersetzen werden, aber Klopp dürfte sicherlich in der Lage sein, die Konkurrenz beim Kampf um einen Wunschspieler auszustechen.
CONTRA: FOKUSSIERUNG AUF LIGA UNWAHRSCHEINLICH
Vom ersten Spieltag an war das Ziel Liverpools in dieser Saison klar. Die Meisterschaft sollte es sein. In dieser Beziehung waren die Reds vielleicht das einzige Team, das den nationalen Titel in der Prioritätenliste sogar noch vor den Gewinn der Champions League gesetzt haben.
Aufgrund der langen Durststrecke durchaus verständlich, aber ab kommender Saison dürfte Klopp wahrscheinlich neben der Liga auch den nationalen Pokalwettbewerben und natürlich der Königsklasse wieder mehr Aufmerksamkeit widmen. Eine größere Rotation in der Premier League bringt aber zwangsläufig auch den ein oder anderen unerwarteten Punktverlust mit sich.
PRO: NEUES TRAININGSGELÄNDE UND STARKER NACHWUCHS
Aufgrund der hochkarätig besetzten Mannschaft fällt es Spielern aus der eigenen Akademie schwer, den Sprung zu den Profis zu schaffen. Doch wie oben erwähnt gab Klopp vor allem in Pokalwettbewerben einigen Youngstern eine Chance und diese konnten durchaus überzeugen.
Mittelfeldspieler Curtis Jones gelang in der 3. Runde des FA Cups gegen Everton ein Sensationstor zum Sieg und der 19-Jährige empfahl sich so für weitere Aufgaben. Auch der gleichaltrige Neco Jones konnte bei seinen Auftritten überzeugen, hat aber das Problem, dass ihm mit Alexander-Arnold vielleicht der aktuell beste Rechtsverteidiger im Weg steht. Dennoch könnte er sich zumindest zu einem mehr als adäquaten Backup entwickeln.
Und dann ist da noch Harvey Elliott, der als das größte Liverpooler Talent gilt. Der Flügelspieler ist erst 17 Jahre jung und ist der jüngste Debütant der Premier League, als er seinen ersten Einsatz für Fulham mit 16 Jahren und 30 Tagen hatte, ehe er vergangenen Sommer nach Liverpool wechselte.
Und dabei soll es nicht bleiben, denn der Klub baut derzeit ein neues, 50 Millionen Pfund teures und 9200 Quadratmeter großes Trainingsgelände für Profis und sämtliche Nachwuchsteams, um eine bessere Verzahnung zu ermöglichen. Bislang sind Akademie und erste Mannschaft geografisch getrennt.
CONTRA: SIND DIE SPIELER SATT?
2019 die Champions League, europäischen Supercup und den Weltpokal, 2020 die Meisterschaft. Das Team von Jürgen Klopp hat im Grunde in den vergangenen zwölf Monaten alles gewonnen, was man gewinnen kann. Da ist es nur menschlich, wenn bei dem ein oder anderen vielleicht ab der kommenden Saison mal ein paar Prozente fehlen.
Bestes Beispiel ist ManCity, dass die Liga 2017/18 mit 19 Punkten Vorsprung vor Stadtrivale United dominierte, nun aber 23 Zähler hinter Liverpool hinterherhinkt. Einiges ist durch die zahlreichen Verletzungen zu erklären, aber viele Leistungsträger konnten in der aktuellen Spielzeit schlicht nicht immer ihre besten Leistungen abrufen. Ein derartiger Absturz bei den Reds ist unwahrscheinlich, aber mit einem gewissen Negativtrend muss gerechnet werden.
Dennoch zeigt sich, dass es durchaus vorstellbar ist, dass Liverpool die englische Premier League auch in den kommenden Jahren dominiert. Aber dazu muss einiges zusammenpassen und auch ein wenig Glück schadet bekanntlich nicht. In dieser Saison holten die Reds einige Siege erst sehr spät und hatten im Vergleich auch wenig Verletzungspech.
Aber ob die 20. Meisterschaft bereits kommende Spielzeit dazukommt, oder noch ein paar Jahre ins Land ziehen, dürfte Klopp derzeit relativ egal sein. Schließlich ist er aktuell am Ziel seiner Träume...