Matthäus-Kolumne: Kovac handelt richtig, aber Müller ist nicht irgendwer
Matthäus-Kolumne: "So sehe ich das"
09.10.2019 | 16:58 Uhr
Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt auf skysport.de. In der Länderspielpause blickt er auf die enge Tabellenspitze und die schwierigen Situationen von Thomas Müller und Lucien Favre.
Zwischen dem Tabellenführer Borussia Mönchengladbach und dem achtplatzierten BVB liegen nach sieben Spieltagen nur vier Punkte. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann das obere Drittel der Bundesliga das letzte Mal so ausgeglichen und spannend war.
Vorzeigevereine zeigen Schwächen
Auf der einen Seite ist das zunächst erfreulich, denn wir alle wünschen uns eine spannende Meisterschaft. Auf der anderen frage ich mich allerdings, wie es um die aktuelle Qualität der Spitzenteams bestellt ist? Spricht das alles für die Stärke der Liga oder für die Schwäche der Vorzeigevereine? Ich bin da eher bei Letzterem. Vor allem die Titelkandidaten Bayern, Dortmund und RB Leipzig müssten eigentlich vorneweg gehen. Doch sie schaffen es einfach nicht, konstant Woche für Woche in allen Wettbewerben ihre Topleistung abzurufen.
Die Bayern müssen mit diesem Kader eigentlich permanent Erster sein, verlieren aber nach der magischen Champions-League-Gala und einem 7:2 bei Tottenham gegen eine durchschnittliche Mannschaft aus Hoffenheim mit 1:2 vor heimischem Publikum.
Bei Dortmund wird es langsam zur Gewohnheit, Führungen kurz vor Schluss gegen kleinere Teams zu verspielen. Und Leipzig trifft plötzlich das Tor nicht mehr und verliert auch noch zuhause überraschend gegen Lyon oder Schalke.
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Spitzenklubs haben ein Kopf-Problem
Stattdessen erleben wir, wie Gladbach, Wolfsburg oder gar Freiburg oben mitmischen. Natürlich ist die Tabelle nach sieben Spielen noch nicht so aussagekräftig, aber es ist trotzdem sehr auffällig und überraschend.
Gladbach hat sich kürzlich erst gegen Wolfsberg in der Europa League blamiert und auch beim türkischen Tabellen-Sechsten Basaksehir nur 1:1 gespielt, führt aber unsere Liga an.
Das ist ein deutliches Signal dafür, dass unsere Spitzenklubs in Deutschland schwächeln, nicht ihre Leistung abrufen und um einiges besser spielen müssen.
Die Bayern glänzen in Europa und gewinnen weder gegen Hertha noch gegen Hoffenheim. Leverkusen steht in der Champions League mit null Punkten da, Dortmund spielt gegen Barcelona Weltklasse und verschenkt durch zwei Eigentore vier Punkte. Bei keiner Mannschaft, von der man es erwarten muss, sehe ich die Konzentration und Konstanz, die bei den wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Klubs wie Bayern, Dortmund, Leipzig oder Leverkusen verlangt werden darf. Das ist ein Kopf-Problem!
Kovac hat es gegen Hoffenheim richtig gemacht
Natürlich kann man jetzt sagen: Wieso rotiert Niko Kovac nicht und bringt gegen die TSG frische Spieler? Ich finde aber, Niko hat es richtig gemacht. Letztes Jahr wurde er für zu viel Rotation zurecht kritisiert. Jetzt hat er seine Stammmannschaft mehr oder weniger gefunden und die soll auch weiter eingespielt bleiben. Und außerdem waren die Spiele am Dienstag und am Samstag. Von Müdigkeit kann also keine Rede sein.
Im Übrigen müsste ein 7:2-Sieg einer Mannschaft Flügel verleihen. Das Gegenteil war gegen Hoffenheim der Fall. Nach dem Spiel war speziell die Personalien Thomas Müller ein großes Thema. Thomas ist natürlich nicht irgendein Spieler, sondern verkörpert wie kaum ein anderer den FC Bayern. Aber er wird da wieder rauskommen, wichtige Tore in wichtigen Spielen schießen und uns danach auch wieder herrliche Interviews schenken. Dass er nach so einem Spiel frustriert ist, nichts sagen will und rundum enttäuscht ist, ist ganz normal. Aber bei den besten Teams der Welt ist das nun mal so.
Müller leidet am meisten unter Coutinho-Verpflichtung
Weltklasse Spieler sitzen auf der Bank und müssen das akzeptieren und respektieren. Sie werden fürstlich entlohnt und wenn sich ihnen die Chance bietet, müssen sie sie eben nutzen. Am Wochenende saßen Antoine Griezmann bei Barcelona, Gonzalo Higuain bei Juventus Turin und Luka Modric bei Real Madrid auf der Bank. Aber dort werden diese Dinge weniger aufgebauscht als bei uns. Jeder Spieler darf und muss sauer sein, wenn er draußen ist. Aber die Regel ist: der Trainer entscheidet und fertig.
Die Bayern haben mit Coutinho ihren Wunsch-Zehner ausgeliehen und Thomas ist aktuell derjenige, der am meisten darunter leidet. Beide zusammen sind meistens nicht vorgesehen. Das muss und wird Müller annehmen und wie jedes Jahr trotzdem für Furore sorgen, auch wenn er im Moment eine schwere Phase durchmacht.
Favre beim BVB: Keine Vergleiche mit Klopp angebracht
Auch Lucien Favre hat schon bessere Tage als BVB-Trainer erlebt. Aber man wusste, wie er ist, was er kann und wie er arbeitet. Er ist ein Fußball-Fachmann und ein höchst angesehener Trainer. Dass er nicht wie Jürgen Klopp permanent an der Außenlinie wirbelt und die Zähne fletscht, war jedem klar. Wenn man einen zweiten Klopp gewollt hätte, dann hätte man sich eben einen solchen Trainer suchen müssen. Aber man muss in Dortmund aufhören, alles und jeden mit Jürgen Klopp zu vergleichen.
Was kann Favre dafür, wenn Akanji und Delaney zweimal den Fuß zur falschen Zeit am falschen Ort platzieren und jedes Mal mit einem Eigentor der Sieg dahin ist? Wieso fletschen nicht mal die Spieler die Zähne? Wieso gehen in den letzten Wochen weder Reus, Witsel, Schmelzer oder alle anderen Führungsspieler nicht vorne weg und schaffen es Angriffe ordentlich zu Ende zu spielen und am Schluss kein Tor zu kassieren?
Beim BVB ist die Mannschaft in die Pflicht zu nehmen
Außer Mats Hummels, haben die tollen Neuverpflichtungen bisher nicht ihre Topform gezeigt in Dortmund. Und wenn sie in zwei Wochen gegen Gladbach verlieren sollten, sind sie sieben Punkte hinter Platz eins. Das kann bei dieser Qualität eigentlich nicht wahr sein.
Ich finde auch nicht, dass die BVB-Bosse ihren Trainer im Stich lassen. Sie lassen ihn aktuell einfach in Ruhe. Aber die Diskussionen in und um Dortmund werden nur durch Siege verstummen. Und da ist vor allem die Mannschaft in die Pflicht zu nehmen. Favre muss allerdings dafür sorgen, dass er die Spieler hinter sich hat. Denn wenn ein Trainer die Kabine verliert, wird es schwer für ihn.