Matthäus-Kolumne: "So sehe ich das"
04.09.2018 | 11:48 Uhr
Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner neuen Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen aus der Bundesliga und der Fußballwelt auf skysport.de. Dieses Mal blickt er auf den Umbruch im DFB-Team.
Jogi Löw hat bei seiner Analyse nicht den ganz großen Umbruch im Kader erkennen lassen. Ich hätte mir gewünscht, dass es das eine oder andere Zeichen mehr gegeben hätte.
Julian Draxler hätte mit Sicherheit eine Pause verdient. Er ist zwar im Confed Cup vorne weg marschiert und hat mit guter Leistung beeindruckt, bei der WM ist aber auch er untergegangen. Hinzukommt aber, dass er auch in seinem Verein, bei Paris, überhaupt keine tragende Rolle spielt. Unter Tuchel wird er zwar gegen Ende der Spiele eingewechselt. In der letzten Saison kam er so gut wie gar nicht zum Zug. Jonas Hector hat gerade mit dem Bundestrainer vereinbart, dass er auf diese Länderspiele verzichtet.
Dies hätte Jogi schon von sich aus tun können. Ich schätze Jonas Hector ungemein und er ist auch ein guter Spieler. Aber trotzdem muss es unser Anspruch sein, einen linken Verteidiger für die Nationalmannschaft in der ersten Liga zu finden. Mit Philipp Max aus Augsburg und Nico Schulz aus Hoffenheim hätte man auf dieser Position zwei Neue einladen können.
Die andere Position, auf der wir Probleme haben, ist die des Mittelstürmers. Ich bin sicher, dass Sandro Wagner gerne wieder zurückkommen würde, wenn Jogi Löw das Gespräch mit ihm sucht.
Allerdings ist auch Sandro schon 30 Jahre alt und mit Blick auf die Zukunft nicht im allerbesten Alter. Aber Mark Uth wäre eine schöne Alternative gewesen. Er war in der letzten Saison mit 14 Treffern und neun Vorlagen der zweitbeste deutsche Scorer nach Thomas Müller. So einen kann man mal mitnehmen.
Auch Davie Selke von Hertha BSC ist in meinen Augen ein Kandidat für die Sturmspitze der Nationalmannschaft. Oder aber Jogi zieht die Lehren aus dem Ballbesitz-Desaster und versucht schon gegen Frankreich eine neue Taktik und eine neue Spielidee, auf die das vorhandene Spielermaterial optimal passt und gegen Frankreich von großem Vorteil sein kann.
Und die sieht so aus: wir spielen mit einer Dreierkette bestehend aus drei Innenverteidigern. Diese kann von den drei Bayern Hummels, Boateng und Süle gestellt werden. Dazu zwei offensive Außen. Kimmich rechts und Schulz links. Bei eigenem Ballbesitz werden aus diesen zweien Offensivkräfte neben den beiden Achtern Goretzka und Kroos. Vorne könnten Reus und Müller auf den Halb-Positionen wirbeln und Timo Werner wäre an vorderster Front.
Damit hätten wir in der Theorie Tempo, Erfahrung, Führungsspieler und Jugend auf dem Feld. Taktisch hieße eine solche Aufstellung auch weniger Ballbesitz, hätte dafür aber alle Waffen um Frankreich oder Peru mit schnellem und vertikalem Spiel zu schlagen. Vor allem würde man die Räume, die es gegen Frankreich geben wird, optimal nutzen können und würde selbst gegen Mbappé, Griezmann, Giroud nicht so oft ins offene Messer laufen.
Die Spieler müssen jetzt nicht für Jogi Löw spielen, sie spielen für Deutschland und nicht für den Trainer. Aber auch er hätte es verdient, wenn sich die Mannschaft etwas mehr zerreißen würde als bei der WM. Viel weniger geht auch nicht. Löw hat auf seiner Pressekonferenz fast alle Schuld auf sich genommen. Das zeigt seinen feinen Charakter, aber intern sollte und wird er einen anderen Ton anschlagen.
Und was ich außerdem von Jogi Löw in der Zukunft erwarte, sind klare Ansagen. Das können und werden auch unangenehme Wahrheiten für manche Spieler sein. Aber so wie es Niko Kovac aktuell bei den Bayern moderiert, so muss es auch Jogi Löw tun. Keine Belohnungen mehr für vergangene Leistungen. Schluss mit der Nibelungentreue.
Die Führungsspieler wie Kroos, Boateng, Hummels, Müller, Neuer müssen jetzt wieder vorangehen und die anderen mit klaren Ansagen und guter Leistung anführen. Natürlich sind das meist Spieler vom FC Bayern, die offensichtlich jetzt schon wieder in sehr guter Form sind. Wenn es beim Bayern-Block nicht gut läuft, funktioniert natürlich auch die Nationalmannschaft nicht.
Die zwei bitteren Erlebnisse gegen Real Madrid und Eintracht Frankfurt am Ende der letzten Saison haben auch das Abschneiden der Nationalmannschaft bedingt. Aber Müller & Co. sprühen schon wieder vor Spielfreude. Wenn sie jetzt in den Länderspielen Leidenschaft, Einsatz, Geschlossenheit und Wille auf den Platz bringen, dann werden sie die enttäuschten Fans auch schnell wieder hinter sich bringen.
Es kommt nicht nur darauf an, die Spiele zu gewinnen. Wichtig ist jetzt die Art und Weise wie unsere Mannschaft auftritt. Die Spieler sollten nicht vergessen, was sie da für ein Trikot anhaben, auch wenn sie es schon oft getragen haben. Es gibt nichts Größeres, als für Deutschland zu spielen. Das muss jeder Spieler fühlen, der auf dem Platz steht und jeder Fan merken, der auf der Tribüne sitzt.