Mehr als ein Systemproblem: Die Gründe fürs nächste BVB-Debakel
Dortmunds Baustellen in der Analyse
02.11.2017 | 20:44 Uhr
Wieder kein Sieg in der Champions League, hängende Köpfe, Pfiffe der Fans: Was ist los mit Borussia Dortmund? Das zweite 1:1 gegen Nikosia binnen zwei Wochen zeigt: Der BVB hat nicht nur ein System-Problem, es hakt an allen Ecken und Enden. Die Baustellen im Überblick.
1. Fehlendes Selbstvertrauen
Der Auftritt gegen Nikosia machte vor allem eines deutlich: Die Dortmunder haben inzwischen ein Kopfproblem. Nach nur einem Sieg aus sechs Pflichtspielen wirkte Schwarz-Gelb stark verunsichert. Heißt: Keine Risikopässe, keine Dribblings mit Tempo, wenig Direktspiel. Dazu gab's hängende Köpfe statt Aufreibung - eine besorgniserregende Körpersprache.
Es scheint, als hätte der BVB nach der verlorenen Tabellenführung in der Liga und der wohl vermasselten Qualifikation fürs Champions League-Achtelfinale sein komplettes Selbstvertrauen verloren.
2. Fortuna spielt nicht mit
So blöd es klingt. Der BVB hat streckenweise einfach Pech. In der 77. Minute donnerte Pierre-Emerick Aubameyang seinen Kopfball nur an die Latte, Schiri Matej Jog übersah in der 70. das Handspiel von Roland Sallai.
Was viele vergessen: Auch beim furiosen Dortmunder Saisonstart lief nicht immer alles rund. Gladbach, das man am Ende mit 6:1 vom Platz fegte, kam zu mehreren hundertprozentigen Chancen, doch der Ball wollte nicht über die Dortmunder Torlinie. Inzwischen läuft das Momentum gegen den BVB: Die Borussen schossen 30 Mal auf das Tor von APOEL Nikosia - nur ein Ball landete im Tor. Beim Gegner saß dagegen die erste und einzige Chance. Das nennt man dann wohl Pech.
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3. Abhängigkeit von Aubameyang
Dass der BVB nicht genug Tore schießt, um als Sieger vom Platz zu gehen, hängt vor allem am Formtief von Superstar Aubameyang. Der Gabuner ist seit vier Pflichtspielen ohne Treffer. Im Detail sah das zuletzt so aus: keine einzige Torchance und nur 25 Ballkontakte in 90 Minuten gegen Hannover. Ausgewechselt wurde er nicht.
Und da liegt gleich das nächste Problem: Der BVB hat keine stechende Alternative fürs Sturmzentrum. Bis auf den 18-jährigen Alexander Isak, der talentiert, aber zu unerfahren und unrobust ist, hat Trainer Peter Bosz niemanden in der Hinterhand. Dortmund ist schlichtweg abhängig von Aubameyang. Das zeigt sich auch in der Statistik: In der laufenden Saison gewann man nur eine einzige Partie, wenn der Gabuner nicht traf. In der gesamten letzten Saison waren es nur drei.
4. Verteidigung zu leicht zu überspielen
Bosz blieb trotz anhaltender Kritik seinem 4-3-3-System mit einer hoch verteidigenden Defensive treu. Julian Weigl nahm die Position des einzigen Sechsers ein.
Die Defensivreihen hatten gegen das extrem tiefstehende Nikosia zwar wenig zu tun. Als die Zyprioten sich aber doch mal vors Dortmunder Tor trauten, wurde es gleich gefährlich. Der gelernte Innenverteidiger Marc Barta lieferte als rechter Außenverteidiger keine Glanzvorstellung ab, Sokratis und Toprak wirkten zentral zu behäbig. Rückkehrer Raphael Guerreiro machte zwar das Tor, pennte aber beim 1:1, als er gegen Pote einen Schritt zu spät dran war.
5. Keine Ideen nach vorne
Es kling nach Wahnsinn: Doch trotz 30:4 Torschüssen sorgte auch die Offensiv-Abteilung für fragende Gesichter. Dem Dortmunder Spiel mangelte es an Tempo und Kreativität. Keine Ideen nach vorne, keine Überraschungsmomente: Der BVB hatte mit 78 Prozent zwar extrem viel Ballbesitz, spielte aber viel zu oft quer oder gar zurück. Die Fans quittierten dies während der 90 Minuten immer wieder mit Pfiffen.
Als Dortmund das Tempo einmal anzog, wurde dies gleich mit dem Tor belohnt. Nach schönem Direktpass von Shinji Kagawa traf Guerreiro bei seinem Startelf-Debüt in der Saison zum 1:0.
6. Keine Reaktion aus der Mannschaft
Nach Abpfiff nahm Kapitän Marcel Schmelzer als erster BVB-Profi das Wort "Krise" in den Mund - und korrigierte sich gleich hektisch zu "etwas schlechtere Phase". In den vergangenen Wochen bekam die Öffentlichkeit viele wohlwollende Interviews, auf den Tisch gehauen hat außer Sportdirektor Michael Zorc niemand.
Auch auf dem Platz blieben Reaktionen am Mittwochabend aus. Ein Problem, das Sky Experte Lothar Matthäus in seiner Kolumne "So sehe ich das" auf den Punkt bringt: "Dem BVB fehlt es an Leader-Qualität."
"Sahin hatte in den letzten Jahren viele Verletzungssorgen, Weigl ist dafür zu jung. Aubameyang ist ein überragender Spieler, aber keine Führungspersönlichkeit. Götze ist kein Anführer. Außer Sokratis sehe ich kaum einen, der für diese Rolle in Frage kommt", begründet Matthäus seine These. Seiner Meinung nach braucht Dortmund jemanden mit starker Körpersprache wie Javi Martinez oder Joshua Kimmich.
Auf die beiden treffen die Dortmunder wohl schneller als ihnen lieb ist. Denn schon am Samstagabend steht der Kracher gegen Bayern München in der Liga an (Sky überträgt ab 17:30 Uhr live auf Sky Sport 1HD). Nächstes Debakel oder ein wichtiger Sieg für die Wende? Im Top-Spiel wird sich zeigen, wie gut Schwarz-Gelb seine Baustellen in der kurzen Zeit in den Griff bekommt.