Kolumne "So sehe ich das"
08.05.2018 | 17:26 Uhr
Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen aus der Bundesliga und der Fußballwelt auf skysport.de. Dieses Mal analysiert Matthäus die Lage bei Borussia Dortmund und erklärt, warum Lucien Favre eine gute Entscheidung für den BVB ist.
Für Borussia Dortmund ist es nach der 1:2-Pleite am Samstag gegen Mainz kein bisschen ruhiger geworden. Dabei hatten sie es vor heimischem Publikum in der eigenen Hand. Doch anstatt mit mindestens einem Unentschieden den Champions-League-Matchball zu verwandeln, halten die Mainzer mit einem Sieg im Signal-Iduna Park die Klasse.
Damit konnte keiner rechnen und doch passt es in diese BVB-Saison. Fußballerische Schwankungen, Spieler, die den Klub erpressen, Trainerwechsel und Sanktionen nach Interviews zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Aber der Reihe nach.
Ich war selbst ein Spieler, der seine Meinung gesagt hat und bin ein großer Fan von mündigen Profis, die nicht nur 0815-Aussagen von sich geben. Sebastian Rodes Auftritt beim Wontorra-Talk auf Sky war überraschend offen und ehrlich - das ist im Grunde auch gut so.
Allerdings kann ich in diesem Fall natürlich den Verein verstehen. Es ist eine extrem sensible Phase mit sportlich frustrierenden Ergebnissen und einem unheimlichen Erfolgsdruck vor dem letzten Spieltag. Der Verein hat das Recht, so zu reagieren wie er es getan hat.
Auch wenn alle wissen, dass Peter Stöger am Samstag in Hoffenheim sein letztes Spiel als Dortmund-Trainer absolviert, darf ein Spieler so etwas nicht preisgeben. Dies bleibt Aufgabe des Klubs. Ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl hätte ich von Rode verlangt. Er muss wissen, dass in Dortmund nach der Niederlage am Wochenende die Nerven blank liegen und solche Aussagen aktuell nichts Gutes nach sich ziehen.
Mit der Sanktion sollte das Thema aber auch erledigt sein, denn Borussia Dortmund hat ehrlich gesagt ganz andere Sorgen. Sie müssen am letzten Spieltag nach Hoffenheim und ein Punkt reicht den Borussen, um in der nächsten Saison in der Champions League antreten zu dürfen.
Sollten sie jedoch mit ein paar Toren Unterscheid verlieren und gleichzeitig Leverkusen hoch gegen Hannover siegen, würde Dortmund nur die Europa League bleiben. Das wäre eine sportliche Katastrophe für diesen ambitionierten Verein. Und es ist in meinen Augen alles andere als ausgeschlossen, dass diese Ergebnisse zustande kommen.
Vor allem am letzten Spieltag. Denn gerade an diesem passieren Dinge, die sonst nie vorkommen. Meisterschaften in letzter Sekunde oder Abstiege, mit denen niemand mehr gerechnet hat. Alles schon erlebt, alles schon dagewesen. Am 34. Spieltag gibt es eine Dynamik, die mit Worten nicht zu erklären ist.
Hoffenheim kann an einem guten Tag gegen jede Mannschaft drei oder vier Tore schießen, und wenn die Angriffsmaschinerie von Bayern Leverkusen ins Rollen kommt, ist ein hohes Ergebnis auch keine Überraschung. Stand heute hat der BVB die besten Voraussetzungen. Allerdings ist der Druck beim Revier-Klub auch am größten.
Und damit zum Trainer Peter Stöger. Rein punktemäßig kann man dem sympathischen Österreicher keinen Vorwurf machen. Stöger hat ordentliche Arbeit geliefert, aber keinen attraktiven Fußball gespielt, und das erwartet man zurecht in Dortmund.
Für die Probleme, die diese Mannschaft in dieser Saison mit sich rumschleppt, kann Stöger natürlich nichts. Dass die Mannschaft so zusammengestellt wurde, dass in den kritischen und schwierigen Phasen kaum einer da ist, der voran geht, auf und neben dem Platz Tacheles spricht und eine geborene Führungsfigur ist, dafür kann Peter Stöger am allerwenigsten.
Die jungen, hochtalentierten Spieler wie Philipp, Sancho, Pulisic machen ihre Sache teilweise großartig. Aber keiner kann von diesen Jungstars verlangen, in Krisen-Zeiten das Schiff in die richtige Richtung zu lenken. Es wurde zu viel auf Jugend und zu wenig auf Persönlichkeit und Führungsstärke gesetzt.
Ganz nebenbei hat man sich noch von Aubameyang und Dembele erpressen lassen müssen. Auch da hat der Verein nicht die allerbeste Figur abgegeben und war nicht optimal vorbereitet. Jetzt kann man natürlich sagen, dass man sich auf solche Dinge nicht vorbereiten kann.
Den Charakter von Dembele hätte man aber leicht erahnen können. Schließlich ist er auf ähnlich egoistischem Wege von Stade Rennes zur Borussia gewechselt. Die Mängelliste beim BVB ist lang und man kann ihnen für die Zukunft nur wünschen, dass sie einen guten Saisonabschluss schaffen und in der Königsklasse landen.
Nach meinen Informationen ist sich der BVB mit Favre einig. Das wäre eine gute Entscheidung. Auch Favre wird wahrscheinlich wie Tuchel nicht stundenlang Skat spielen und gesellig mit den Bossen zusammensitzen. Aber das wäre für mich auch keine Priorität. Favre kennt die Bundesliga, hat in Berlin und Gladbach hervorragende Arbeit geleistet und in Nizza bewiesen, dass er mit Stars wie Mario Balotelli umgehen kann.
Favre hat im Übrigen auch ein fantastisches Verhältnis zum besten BVB-Spieler Marco Reus. Er hat ihn in Gladbach erst richtig groß gemacht. Beide schätzen und respektieren sich total. Reus war ohnehin bereits mit der einzige Spieler, der in dieser Saison den Unterschied ausgemacht hat, wenn er fit war und gespielt hat.
Götze, Schürrle, Kagawa, Sahin, Castro, Schmelzer und viele andere konnten nie über sich hinauswachsen, geschweige denn für das gewisse Etwas im Dortmunder Spiel sorgen oder das Team anführen, wenn es wirklich nötig war.
Mit Favre, einem fitten Reus und einigen Neuzugängen, die fußballerisch und charakterlich vorangehen und Verantwortung übernehmen, könnte der BVB in der neuen Saison wieder den Fußball spielen, den die Fans sehen möchten und der Schwarzgelb lange ausgezeichnet hat. Im Moment ist es eine tote Mannschaft. Am Samstag wird sich zeigen, ob sie wieder lebt.