Hamann-Kolumne: Darum ist Chelsea kein Titelkandidat
17.09.2020 | 11:38 Uhr
Die Premier League startet in die neue Saison. Meister FC Liverpool mit Trainer Jürgen Klopp geht als Top-Favorit ins Rennen. Der FC Chelsea will mit den deutschen Zugängen Kai Havertz und Timo Werner an erfolgreiche Zeiten anknüpfen.
Sky Experte Didi Hamann erklärt, was für Klopps Liverpool und was gegen Pep Guardiolas Manchester City spricht, wo er Thiago sieht, warum es für Chelsea noch nicht für ganz oben reicht und auf welchen Aufsteiger er sich besonders freut.
Was Liverpool vor allem vor der Corona-Pause geleistet hat, war herausragend. Sieben oder acht Spieltage vor Saisonende Meister zu werden mit fast 20 Punkten Vorsprung, wird schwer zu wiederholen sein. Das müssen die Reds aber auch gar nicht, normalerweise reichen hohe 80 bis niedrige 90 Punkte zum Titelgewinn, und ich bin mir sicher, dass Liverpool die holen kann und das zu schlagende Team ist.
Die Mannschaft ist eingespielt, die großen Stars sind alle geblieben. Lallana und Lovren sind weggegangen. Sie waren zwar keine Stammspieler, aber wichtige Teile der Gruppe. Klopp hat es angesprochen, wie wichtig Lallana für die Mannschaft gerade außerhalb des Platzes war.
Die größte Gefahr sehe ich darin, dass durch die wenigen Zugänge der Konkurrenzkampf innerhalb der Mannschaft leiden könnte. Klopp hätte sich vielleicht auch gewünscht, noch zwei oder drei Neue zu bekommen, aber dennoch glaube ich, dass Liverpool vom Kader her - zusammen mit Manchester City - weit vor den anderen Teams liegt.
Sollte Wijnaldum nach Barcelona wechseln, gehe ich davon aus, dass Thiago von den Bayern kommt. So wie er in den letzten Monaten gespielt hat, würde er zu Liverpool und auch zu Manchester United passen. Er ist ein sehr filigraner Spieler, so einen hat Liverpool im Mittelfeld nicht in seinen Reihen. Die Sache zieht sich, was nicht gut ist, aber ich gehe doch davon aus, dass Thiago nach Liverpool wechselt.
Bei Manchester City bin ich skeptisch. Ich glaube nicht, dass sie Liverpool in der neuen Saison gefährlich werden. Pep Guardiola ist eigentlich nie länger als drei, vier Jahre bei einem Verein geblieben. Es besteht die Gefahr, dass er sich mit der Zeit abnutzt.
Die Spieler haben zwar (in München und Barcelona) in den höchsten Tönen von ihm gesprochen. Sie waren aber auch froh, wenn ein Trainer die Zügel etwas lockerer lässt. City hat in der Champions League eine gute Chance verpasst, ein Ausrufezeichen zu setzen. Sie haben wieder einen Weg gefunden, sich vorzeitig zu verabschieden.
Sie haben jetzt mit Nathan Ake den gefühlt zwölften Innenverteidiger unter Guardiolas Regie geholt. Die Abwehr bleibt ihre Achillesferse. Fernandinho ist ins Alter gekommen, Rodrigo hat es zwar ganz gut gemacht, aber sie haben es nicht geschafft, in entscheidenden Momenten die Null zu halten.
Mit Laporte und Ake haben sie zwei Linksfüße in der Innenverteidigung, das birgt zusätzliches Risikopotenzial. Agüero ist auch schon 32. Ich glaube, dass sie als Mannschaft ihren Zenit schon überschritten haben.
Manchester United hatte sich nach dem Re-Start verbessert und sind am Ende noch Dritter geworden. Ich hätte nicht gedacht, dass sie Leicester noch überholen. Fernandes hat wichtige Tore gemacht, hat gut mit Pogba harmoniert. Sie haben in den letzten Monaten einige Feuerproben bestanden und sind auf einem guten Weg. Ich glaube, dass bei United etwas gewachsen ist, aber das müssen sie jetzt bestätigen.
Ein Havertz oder Sancho hätte ihnen natürlich gutgetan, gerade die Konstanz in den Leistungen eines Sancho hat Manchester gefehlt. Ich glaube aber nicht, dass sie Sancho in diesem Sommer noch bekommen werden. Dennoch denke ich, dass sie sich stabilisieren und den Abstand zu Liverpool verringern können. Ich gehe davon aus, dass United (vergangene Saison 59 Punkte) die 70 Punkte knacken muss - und auch wird.
Nicht nur aus deutscher Sicht ist Chelsea im Moment der interessanteste Verein der Liga. Sie haben mit Havertz und Werner zwei unheimlich interessante Spieler geholt, dazu Ziyech und Chilwell, der neben Liverpools Robertson der beste Linksverteidiger der Premier League ist. Das Problem, das ich sehe ist, dass drei der vier Neuen noch nicht in England gespielt haben.
Sie werden Wochen oder sogar Monate brauchen, um sich an den englischen Fußball anzupassen. Offensivspieler haben zudem oft größere Schwankungen in ihren Leistungen. Dazu kommt die ungeklärte Torwartfrage. Kepa hat die Erwartungen bei weitem nicht erfüllt. Ich glaube, dass sie einen Torwart brauchen. Sie werden die Differenz zu Platz eins verringern können, aber als Titelkandidat sehe ich Chelsea nicht.
Ich traue es beiden zu, sich schnell zurechtzufinden und durchzusetzen. Es kommt weniger auf die Spielweise an als auf die Mentalität. Du musst bereit sein, dass Spiel anzunehmen. Je schneller du das kapierst, desto schneller wirst du dich anpassen und deine Leistung bringen. Es wird einige Tacklings geben, bei denen sie wahrscheinlich auf den Pfiff warten, der aber nicht kommt. Dann musst du aufstehen und dann geht es weiter.
Die Tatsache, dass beide den Schritt in relativ jungen Jahren wagen, zeigt mir, dass sie absolut die Herausforderung suchen. Es wäre für Havertz in Spanien vielleicht etwas weniger hart zur Sache gegangen. Vom Charakter her traue ich es beiden zu. Werner hat die Situation nach den Schwalbenvorwürfen sehr gut gemeistert. Damals hat er gezeigt, dass er erwachsen geworden ist. Ich habe keine Zweifel, dass beide einschlagen werden.
Mauricio Pochettino hatte bei Tottenham lange großartige Arbeit geleistet, aber Jose Mourinho hatte bei seiner Amtsübernahme einen großen Rückstand aufzuholen. Letztendlich haben es die Spurs besser gemacht als ich gedacht hätte. Ich war positiv von Mourinho überrascht.
Der ehemalige Bayer Emile Höjbjerg kam als Neuzugang aus Southampton. Ein Spieler wie er ist prädestiniert für den Fußball, den Mourinho spielen lassen will. Ich glaube, dass er ein hervorragender Einkauf ist. Er hat Präsenz und bringt taktisches Geschick mit.
Einen Spieler wie Harry Kane zu haben, ist für Tottenham ein Luxus. Entgegen aller Gerüchte über einen Wechsel zu Manchester United ist er immer noch da. Abgesehen von Kane und Son haben sie kaum Spieler, die für Entlastung sorgen. Kane und Son gehören zu den besten Stürmern der Premier League. Ob es für die Spurs für die Top 4 reicht, wage ich aber zu bezweifeln.
Ich glaube, dass Arsenal zusammen mit Chelsea die interessanteste Geschichte der Liga ist. Mikel Arteta hatte bei ManCity in Pep Guardiola einen guten Lehrmeister, und nach dem schlechten Start haben die Erfolge in FA Cup und Supercup am Ende der abgelaufenen Saison den Gunners riesen Selbstvertrauen gegeben. Es sieht so aus, dass Pierre-Emerick Aubameyang bleibt und ich traue Arsenal einiges zu.
Ich habe gehört, dass Mesut Özil von Arteta noch einmal eine Chance bekommt. Wenn er sie nutzt, kann ich mir für ihn eine Zukunft bei Arsenal vorstellen. Es liegt nur an ihm selbst.
Für Ancelotti lief es nach seiner schwierigen Zeit in München anschließen in Neapel ordentlich und in Everton hat er eine spannende Aufgabe. Wenn Ancelotti das Beste aus James herausholt, ist alles okay. Von James hatte ich zuletzt gelesen, dass er über seine Zeit in München und das Wetter dort geklagt hat. Ich hoffe, er hat sich über das Klima in Nordengland informiert.
In Liverpool ist es vielleicht im Winter nicht ganz so kalt, dafür regnet es mehr als in München. Everton hat mit Allan (Neapel) und Doucoure (Watford) zwei interessante Spieler geholt. Allan passt nach England wie die Faust aufs Auge. Everton ist ein Arbeiterverein und Allan hat keine Angst auch mal hinzulangen. Es ist ein toller Verein und eine tolle Stadt und ich würde den Fans wünschen, dass es nach oben geht.
Ralph Hasenhüttl hat beim FC Southampton fantastische Arbeit geleistet und die Mannschaft auf Platz elf geführt. Man muss aber sehen, wie sie den Weggang von Höjbjerg verkraftet. Ich glaube nicht, dass Aufsteiger Leeds United (mit dem deutschen Nationalspieler Robin Koch) gleich wieder absteigt, Fulham hat auch eine gute Chance, die Klasse zu halten, für West Bromwich Albion wird es schwer.
Wirklich aufpassen muss aus meiner Sicht Sheffield United. Die haben zwar letzte Saison lange an der Champions League geschnuppert, aber wenn man sich die Mannschaft anschaut, glaube ich, dass sie Probleme bekommen werden. Sie werden nicht absteigen, aber sehr viel mehr Stress haben als letzte Saison.