Tottenham Hotspur: Aufstieg und Fall von Dele Alli
Talent alleine reicht nicht: Das mahnende Beispiel Dele Alli
21.10.2022 | 15:51 Uhr
Einst Ausnahmetalent und Hoffnung einer ganzen Fußballnation, ist Dele Alli in die Bedeutungslosigkeit verschwunden. Der tiefe Fall des englischen Ex-Nationalspielers ist ein mahnendes Beispiel für alle Top-Talente.
Auf der Insel setzt man derzeit große Hoffnungen auf eine neue Generation von Fußballern. Nachdem die Jugendarbeit in England lange vernachlässigt wurde, machen mit Jude Bellingham, Phil Foden oder Bukayo Sako derzeit zahlreiche Top-Talente von sich reden.
Alli und Co. die Vorgänger von Bellingham und Co.
Diese Ausnahmekicker schüren die Hoffnungen auf den ersten großen Titel für die Geburtsnation des Fußballs seit der Weltmeisterschaft 1966. Im vergangenen Jahr erreichten die Three Lions unter Gareth Southgate bereits das Finale der Europameisterschaft. Gegen Italien setzte es im Elfmeterschießen dann allerdings eine knappe und bittere Niederlage im eigenen Land. Bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Katar soll das besser laufen.
Die Welle an neuen Hoffnungsträgern ist allerdings keine völlige Neuheit. Bereits vor einigen Jahren sorgte die Generation um Spieler wie Harry Kane, Raheem Sterling und auch Dele Alli für Schlagzeilen und Euphorie rund um das Nationalteam. Doch nicht alle konnten sich durchsetzen. Ausgerechnet Alli, der als Talent der Kategorie "wird in ein paar Jahren Weltfußballer" galt, ist schon lange kein Teil der Three Lions mehr.
Tansfercoup Alli beweist Qualität auf Anhieb
Im Februar 2015 konnte Tottenham Hotspur einen echten Transfercoup landen. Für die damals stolze Ablösesumme von umgerechnet 6,63 Millionen Euro sicherten sich die Spurs mit dem 18-jährigen Alli ein Fußball-Wunderkind. Die stolze Ablösesumme für das Eigengewächs von Drittligist MK Dons machte sich schnell bezahlt.
Nachdem der Premier-League-Riese den offensiven Mittelfeldspieler noch bis Saisonende an seinen Heimatverein verlieh, bestätigte der Youngster sein außergewöhnliches Können bereits in der ersten Spielzeit in London. An die überragenden Leistungen für MK Dons (44 Spiele, 16 Tore, elf Vorlagen) konnte Alli beinahe nahtlos anknüpfen.
In der Debüt-Saison 2015/16 gelangen dem Neuzugang bereits zehn Treffer und neun Vorlagen in 33 PL-Einsätzen. Alli avancierte schnell zum Stammspieler und machte sich auch über die Grenzen Londons hinaus bald einen Namen. Noch in der Hinrunde berief Roy Hodgson den Nachwuchskicker ins englische Nationalteam und verhalf ihm zu seinem ersten Auftritt im Trikot der Three Lions. Mit 19 Jahren fünf Monaten und 28 Tagen stand der Offensivmann bei der EM-Qualifikation gegen Estland auf dem Rasen.
Top-Klubs zeigen Interesse an Neu-Nationalspieler Alli
Auch das zweite Jahr bei den Spurs verlief für den Neu-Nationalspieler genau nach Plan. Nachdem er als Stammspieler von der EM 2016 zum Team zurückkehrte, übernahm Alli auch bei Tottenham wieder eine tragende Rolle. In 50 Pflichtspielen erzielte der neue Starspieler 22 Tore, legte 13 weitere Buden auf.
Mit zunehmendem Selbstbewusstsein stiegen Marktwert und Interesse am Engländer. Erste Gerüchte um gastierende Scouts von Real Madrid, dem FC Barcelona und auch Bayern München machten die Runde - wurden in den folgenden zwei Jahren immer lauter. Doch Alli blieb bei Tottenham und verlängerte bis 2024.
Alli: "Als junger Spieler verspürt man keinen Druck"
"Wenn man als junger Spieler in der Premier League debütiert, verspürt man keinen Druck. Wenn man jedoch anfängt Tore zu schießen und gute Leistungen bringt, rückt man in den Fokus", bewertet Alli seine Anfangszeit heute. Dabei lässt der heute 26-Jährige bereits anklingen: Wer hoch fliegt, kann tief fallen.
Es folgten noch Highlights wie die WM-Teilnahme 2018 und das Champions-League-Finale 2019, doch die persönliche Entwicklung des umjubelten Talentes geriet mehr und mehr ins Stocken. Ein Problem, auf das auch Star-Trainer Jose Mourinho nach seinem Amtsantritt bei den Spurs im Winter 2019 schnell aufmerksam wird.
Mourinho will aus "Party-Boy" einen "Profi" machen
Der Portugiese sucht das Gespräch mit seinem Schützling und redet dem noch immer jungen Profi ins Gewissen. "Ich hatte nie Zweifel an deinem Potenzial. Ich habe dich unglaubliche Spiele und unfassbare Dinge machen sehen. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass du Höhen und Tiefen hast", erklärte der Coach Alli in einem Vieraugengespräch, das in der Amazon Prime Dokumentation "All or Nothing: Spurs" zu sehen ist.
"Es gibt Spieler, die konstant Leistung bringen. Und es gibt Spieler, die besondere Momente haben. Das macht den Unterschied zwischen einem top, top Spieler aus und einem Spieler mit top Potenzial", erklärt Mourinho dem englischen Nationalspieler. Der Spielmacher gilt als Lebemann der das Londoner Nachtleben genießt, Partys feiert und viel unterwegs ist. Fußball steht oft an zweiter Stelle, was Mourinho ein Dorn im Auge ist.
Der Trainer empfiehlt seinem Spieler sich selbst zu hinterfragen. Ob die Leistungsschwankungen vielleicht daran lägen, dass er sich nur manchmal "wie ein Profi" und manchmal "wie ein Party-Boy" verhalte. Ändere sich nichts, befürchte Mourinho Böses für die weitere Karriere Allis: "Ich bin jetzt 56 und gestern, GESTERN, war ich 20. Die Zeit verfliegt und ich denke eines Tages wirst du bereuen, wenn du nicht das erreicht hast, was du hättest erreichen können."
Mourinho behält bei Alli Recht
"The Special One" sollte Recht behalten. Alli bekam immer weniger Spielzeit und konnte sich nach der Zeit unter Mourinho auch bei Ryan Mason, Nuno Espirito Santos und Antonio Conte nicht durchsetzen. Im vergangenen Winter ließen die Spurs ihr einstiges Wunderkind trotz Vertrages bis 2024 ablösefrei zu Everton wechseln. Zwar sicherte man sich erfolgsbezogene Bonuszahlungen von bis zu 40 Millionen Euro, doch die Erfüllung der Bedingungen ist in weite Ferne gerückt.
Auch bei den Toffees rief Alli sein Potenzial zu selten ab. Mourinho urteilt mittlerweile, dass Alli "scheiße faul" sei und schlecht trainiere. Aussagen, die bei dem Versuch im zurückliegenden Sommer einen weiteren Neuanfang zu starten sicher nicht hilfreich waren. Statt Real Madrid oder dem FC Bayern klopften beinahe ausschließlich Vereine aus kleineren Ligen an. Letztlich landete der 26-Jährige auf Leihbasis bei Besiktas Istanbul.
Letzte Chance Besiktas: Alli will zurück ins Nationalteam
"Ich bin hierhergekommen, um Meister zu werden. Zudem ist meine Mentalität die richtige, denn ich habe aus der Vergangenheit meine Lehren gezogen", verspricht Alli bei seiner Vorstellung in Istanbul. Dort will er sich wieder in den Fokus und bestenfalls zurück in die englische Nationalmannschaft spielen, wo er helfen will, den Traum eines Titels endlich wahr zu machen.
Aktuell ist der Spielmacher Stammkraft, hat in vier Einsätzen immerhin auch einen Treffer erzielt. Für die WM in Katar dürfte das aber auch wegen der großen, jungen Konkurrenz bei den Three Lions nicht reichen. Helfen kann er den jungen Nationalspielern deshalb aktuell nur als mahnendes Beispiel. Das größte Talent alleine reicht eben nicht immer aus.
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