Der König von Scheißegalien
23.01.2023 | 12:55 Uhr
Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Fußball. Dieses Mal widmet er sich Kölns Trainer-Original Steffen Baumgart.
Steffen Baumgart macht's nunmal ein bisschen anders. Den Slim-fit-Hosen-Trend hat er entspannt ausgesessen. Und ohne diese Hosen kann man die hautengen weißen Hemden ja auch gleich weglassen. Bart ungetrimmt, komfortables T-Shirt (gern auch bei Minus-Graden), Sofa-Jogger. Schrei-Körperhaltung: Marke Sumo-Ringer (eine Beobachtung von Christian Streich).
Der Kölner Vorarbeiter ist in jeder Hinsicht gut zu unterscheiden von den eleganten Kollegen. Gruppenbild mit Baumgart - die Schiebermütze sticht wohl noch schneller ins Auge als Thorsten Legats weiße Buchse auf dem legendären Schalker-Mannschaftsfoto aus dem Jahr 2000.
Baumi aus Rostock - Einer wie Keiner. Und natürlich alles andere als überraschend, dass es der Konventionen-Allergiker (Lieblingsgericht Kassler) übernommen hat, eine heilige Branchen-Kuh zur Schlachtbank zu delegieren: Die STARTAUFSTELLUNG. VERRATEN. VOR DEM SPIELTAG! Tollkühn dieser Teufelskerl - und gewonnen hat er auch noch. Das Muskelspiel des früheren Stoßstürmers ist ganz offensichtlich in die Köpfe der Bremer vorgedrungen - ein ebenso unterhaltsamer wie effektiver Tabubruch also.
Im Stile eines Satirikers hat Baumgart überdies das Gewese um die Anfangsformation vom Staatsgeheimnis-Level auf Grandacker-Niveau heruntergeschnipst - Position für Position. Denn - ganz ehrlich - ein bisschen albern wirkt es schon ab und zu, wenn die Mienen der Trainer sich verfinstern, weil jemand es gewagt hat, nach der Aufstellung zu fragen. Dass diese Fragen trotz der weltweit etablierten Standard-Replik weiterhin verlässlich gestellt werden, ist eine andere Geschichte…
In der gläsernen Ära aus Scouting-Feeds und Youtube-Videos ist das Geschehen ohnehin ein ziemlich offenes Buch. So offen, dass es längst nicht mehr alle Vereine für nötig befinden, ihre Spione auf geheime Mission zu schicken. Das allerdings ist schon ein bisschen schade. Schließlich haben die Bundes(liga)-Nachrichtendienste in den vergangenen Jahren doch recht verlässlich für gute Unterhaltung gesorgt. Gegnerische Späher, die vom klubeigenen Abschirmdienst aus den Büschen gezogen werden. Knopfkameras am Fluchtlichtmast, die Werder-Drohne beim Hoffenheimer Abschlusstraining, aus dem Abfalleimer gerettete Flipchart-Blätter mit vermeintlichen taktischen Details.
Sich als Maler zu tarnen, um vom Hochhaus nebenan ungestört Einsicht auf das Abschlusstraining zu haben, ist auch schon als gute Idee betrachtet worden - wer erwischt wird, muss halt lügen. Oder sprinten! An Einfallsreichtum hat es den Geheimagenten der Vereine jedenfalls nie gemangelt.
Das gilt übrigens auch für Steffen Baumgart. Mit dem Blick auf die eigene Fitness hatte er sich zu Paderborner Zeiten in seinem Stammlokal ein Grünzeug-Allerlei zusammenstellen lassen, das auch heute noch unter dem Namen "Gemüseteller 72" auf der Speisekarte zu finden ist. Mit seinem Geburtsjahr sind ja bekanntermaßen auch Schiebermütze und Klub-Klamotten bestickt.
Initialen sind nicht sein Ding - genauso wenig wie gestochenes Gesülze. Baumgart spricht aus dem Bauch und handelt so, wie er es für richtig hält. Einer dieser Freigeister, die den Unterhaltungswert der Branche auf ein anderes Niveau hieven - so wie es zum Beispiel auch Udo Lindenberg in der Musikszene praktiziert: "Nerven Sie mich nicht mit ihr'n Lappalien - ich bin der König von Scheißegalien!"
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