F1-Powerranking: Red Bull in eigener Liga - Aston Martin vor Mercedes
27.02.2023 | 20:38 Uhr
Nach den Testfahrten in Bahrain ist vor dem Saisonstart in Bahrain: Am kommenden Wochenende findet im Wüstenstaat das erste Rennen der neuen F1-Saison statt. Sky F1-Experte Olivier Zwartyes hat das Kräfteverhältnis der Teams in einem Powerranking prognostiziert.
"Red Bull war extrem beeindruckend bei den Testfahrten. Sie hatten fast keine Probleme, sie haben ihr Programm abspulen können und sind sehr viele Runden gefahren. Sie waren vom ersten Tag an da, Max Verstappen hat da unfassbare 157 Runden absolviert. Was bei Red Bull zudem auffällig war, dass das Auto sowohl bei Verstappen als auch bei Sergio Perez einfach super auf der Straße lag, vom Handling her. Von der Abstimmung passte einfach alles.
Ich glaube, dass Red Bull als einziges Team auch von der Motorenleistung noch nicht am Limit war und Reserven hat. Sie sind so selbstbewusst. Wenn man Christian Horner, Dr. Helmut Marko oder Verstappen in den Interviews gesehen und gehört hat: Sie waren immer am grinsen, tiefenentspannt und so zufrieden. Es läuft alles genau nach Plan. Ich glaube auch, dass der Abstand beim Saisonauftakt noch größer ist als bei den Testfahrten.
Red Bull hat das stärkste Paket und Verstappen wird Perez intern dominieren. Verstappen hat sich am Anfang 2022 mit den neuen Autos schwergetan. Aber sobald er das neue Auto verstanden hatte, fuhr er sehr dominant davon. Red Bull ist insgesamt in einer eigenen Liga unterwegs. Die Frage wird sein, wie schnell können sie auch mit der Strafe weiterentwickeln."
"Vorab: Ferrari hat für mich das schönste Auto. Sie haben wie im Vorjahr meiner Meinung nach aber auch wieder ein Auto, dass auf eine Runde gesehen extrem schnell ist. Die Qualifying-Performance wird erneut bärenstark sein. Wenn es in Richtung Longruns geht, ist allerdings der Reifenverschleiß insbesondere zu Red Bull zu hoch. Das haben wir auch bei den Testfahrten gesehen.
Bei der Fahrzeugpräsentation haben die Ingenieure gesagt, dass sie einen Schwerpunkt darauflegen, die Balance zwischen schnellen und langsamen Kurven besser hinzubekommen. Sie haben es aber, so wie es jetzt aussieht, nicht geschafft, denn der Reifenverschleiß ist hoch. Sie sind nach Red Bull die Nummer zwei, aber sie müssen am Reifenverschleiß auf die Renndistanz arbeiten.
Im Qualifying können sie ganz vorne sein. Ansonsten ist der Abstand zu Red Bull schon sehr groß. Ich denke aber, dass Charles Leclerc und Carlos Sainz aus den Fehlern der Vorsaison gelernt haben und deutlich weniger 2023 machen werden."
"Der Aston Martin ist das Auto, das sich am stärksten verändert hat, besonders die Seitenkästen. Sie haben einen großen Schritt nach vorne gemacht. Dann kommt der Faktor Fernando Alonso dazu. Der ist zwar 41 Jahre, aber fährt nach wie vor unglaublich stark und ist zudem richtig motiviert. Das Team will sich weiterentwickeln und mit Alonso kommt so ein Motivator dazu, das könnte richtig gut passen.
Dazu haben sie mit Lance Stroll einen Piloten, der besser fährt als sein Ruf es hergibt. Aber wir müssen noch abwarten, ob Stroll nach seinem Fahrradunfall beim Saisonauftakt überhaupt dabei sein wird.
Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich Aston Martin noch vor Mercedes auf drei packen. Sie haben sowohl auf eine Runde gesehen als auch beim Longrun einen sehr starken Eindruck gemacht. Sie werden gegen Mercedes und Alpine kämpfen und sind für mich aktuell dabei sogar leicht vorne."
"Mercedes hatte mit einem Hydraulik-Problem zu kämpfen. Aber die Fahrer klangen nicht so zufrieden, sie stehen nicht da, wo sie eigentlich sein wollen. Nach dem zweiten Testtag gab es auch eine Krisensitzung. Man muss ein bisschen vorsichtig sein, man weiß natürlich nicht, wie viel sie noch zurückhalten. Aber eine Krisensitzung ruft man ja nicht einfach so ein. Da scheint etwas nicht zu stimmen.
Bei den On-Board-Kameres hat man gesehen, dass er am Kurvenscheitelpunkt ein instabiles Heck hatte. Die Fahrer konnten nicht früh genug auf das Gas gehen und mussten korrigieren. Sie haben Probleme bei der Balance des Autos. Bei Mercedes hat zudem ein vergleichbarer Longrun-Wert gefehlt. Es ist daher schwer, die Performance richtig einzuschätzen. Es bleiben Fragezeichen.
Sie sind auf jeden Fall nicht an Red Bull und Ferrari dran. Die Sorgenfalten sind groß. Die Upgrades sollen und müssen auch bald kommen. Dafür haben sie mit Lewis Hamilton und George Russell die stärkste Fahrerpaarung im Feld. Das kann den Unterschied machen, dass Mercedes schnell wieder den Anschluss schafft."
"Bei Alpine ist es ähnlich wie bei Mercedes: Sie haben keine vergleichbaren Longruns absolviert. Sie sind eine Wundertüte. Es kann also durchaus sein, dass sie sehr nach an Mercedes dran sind. Alpine hat die Nase extrem stark verändert. Im hinteren Bereich des Autos haben sie als einziges Team die Geometrie verändert. Sie sahen zwischendurch bei den Tests richtig gut aus.
Mit der Fahrerkombination Esteban Ocon und Pierre Gasly sind sie gut aufgestellt, beide sind sehr talentiert. Ich freue mich schon richtig darauf zu sehen, wie sie performen werden. Allerdings haben beide zwischenzeitlich acht Jahre lang im Fahrerlager kein Wort mehr geredet.
Das Thema ist zwar ausgeräumt, das haben beide auch bestätigt. Aber wenn das Auto wirklich richtig gut funktioniert und sie gegeneinander um gute Positionen fahren, bin ich gespannt, ob sie ihren Frieden über die komplette Saison halten können."
"Alfa Romeo hat mich positiv überrascht. Guanyu Zhou hat in seiner Rookie-Saison etwas Pech gehabt, aber mich dort bereits durchaus überzeugt. Valtteri Bottas ist kein Lewis Hamilton, aber ein guter F1-Fahrer. Er ist ein richtiger Charakter, der der Formel 1 gut tut. Mit dem neuen CEO Andreas Seidl wird alles vorbereitet Richtung Audi.
Die Performance in Bahrain war stark, sie haben einen Schritt nach vorne gemacht. Wenn es bei den Top-Teams Probleme gibt, ist mit Alfa Romeo definitiv zu rechnen. Auf die müssen wir im neuen Jahr Acht geben. Vom Niveau her sind sie für mich zum Saisonstart leicht vor AlphaTauri und McLaren."
"Mit Nyck de Vries fährt bei AlphaTauri ein starker neuer Mann. Er ist mit seinen 28 Jahren, seiner jahrelangen Erfahrung als Testfahrer in der Formel 1 und seinen vielen Erfolgen als ehemaliger F2- und Formel-E-Champion natürlich kein klassischer Rookie mehr. Er wird von Anfang an performen, ohne Anlaufzeit. Was das Auto angeht, wird mit Sicherheit auch vom jeweiligen Streckenlayout abhängen.
Sie haben mit Sicherheit einen kleinen Schritt nach vorne gemacht, aber jetzt keinen, der direkt ins Auge sticht. Yuki Tsunoda geht in sein drittes Jahr. Ich denke, dass de Vries Tsunoda im Griff haben wird. Wird das tatsächlich der Fall sein, wird es Tsunodas letztes Jahr in der Formel 1 sein. Der Druck für den Japaner und für das Team nach der schwachen Vorsaison ist da."
"Sowohl Lando Norris als auch Oscar Piastri haben eine sehr schwere Aufgabe vor sich: Sie müssen einen unfassbar schwerfahrenden McLaren pilotieren. Sie haben einen ganz großen Schritt gemacht, aber in die falsche Richtung. Das sah bei den Tests erschreckend aus.
McLaren hat bereits bei der Präsentation des neuen Autos von den Upgrades im Saisonverlauf gesprochen. Und wenn du das schon bei der Präsentation machst, weißt du genau, dass irgendetwas mit dem Auto nicht stimmt. Das ist natürlich sehr schade für so einen Traditions-Rennstall. Vor allem nach der positiven Entwicklung in den vergangenen Jahren. Sie werden nur Williams und Haas hinter sich halten können.
McLaren hat nur einen kleinen Schritt bei der Weiterentwicklung gemacht, alle anderen waren schneller. Heißt: Sie sind einfach zu langsam. Sie waren in Bahrain auch viel an der Box, es wurde viel geschraubt. Es scheint an allen Ecken etwas zu fehlen, sie sind in einem Performance-Loch."
"Alex Albon ist ein faszinierender Fahrer. Er wurde in seinen jungen Jahren an der Seite von Max Verstappen richtig gebügelt. Aber man darf andere Fahrer nicht mit Verstappen vergleichen, schon gar nicht ganz junge. Da wird fast jeder Pilot im direkten Duell gerade zu zerstört. Er hat im Vorjahr schon einige Highlights mit einem schlechten Auto gesetzt.
Rookie Logan Sargeant ist ein Fahrer, der vom allem dadurch auffällt, dass er sehr konstant fährt und nahezu keine Fehler macht. Er ist ein cleverer Pilot, der nie drüber ist und die Sache nicht zu aggressiv angeht. Er hat in der Formel 2 und Formel 3 starke Leistungen gezeigt, ist um Titel mitgefahren und hat auch mit einem schlechteren Auto viele Rennen gewonnen.
Mit dem Williams wird es aber schwer werden, Akzente zu setzen. Williams ist im Umbruch, hat sich personell auch neu aufgestellt. Sie haben mich allerdings bei den Testfahrten nicht so überzeugt. Aber sie haben das Potenzial, bei bestimmten Strecken mit ihren Fahrern hier und da zu überzeugen."
"Nico Hülkenberg hat - auch im Vergleich zu Kevin Magnussen - in Bahrain einen richtig guten Job gemacht. Er geht das ganze mit 181 Rennen im Rücken entspannt an. Er hat auch bei seinen Einsätzen als Feuerwehrmann in den vergangenen Jahren nie eine lange Eingewöhnungszeit gebraucht und hat immer starke Ergebnisse geliefert.
Hülkenberg ist sehr austrainiert, hat sich sehr intensiv auf die neue Saison vorbereitet. Er persönlich ist stark gefahren, aber leider sieht aus deutscher Sicht das Auto nicht sonderlich schnell aus. Es gab bei Haas zwar keine massiven Probleme, aber es haben mir diese kurzen Momente gefehlt, an denen mir der Haas in Bahrain aufgefallen ist.
Diese Aha-Momente hatte ich zweimal bei Williams, bei Haas nicht ein einziges Mal. Daher sehe ich sie ganz hinten. Zusammen mit Williams werden sie am Ende des Feldes sein."
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