US-Rennen boomen: Amerikanisiert sich die Formel 1 zu sehr?
05.04.2022 | 21:47 Uhr
Es ist noch gar nicht so lange her, da war die hierzulande als Motorsport-Königsklasse bekannte Formel 1 in den USA nicht viel mehr als eine Randsport-Rennklasse. Nun boomt sie in Übersee, die Formel 1 ist begeistert und der amerikanische Einfluss wächst.
Die Veranstalter des US-Grand-Prix in Austin wussten beim Comeback 2012 gar nicht, wie sie die Ränge am Circuit of The Americas füllen sollten. Die Formel 1 war trotz der vierjährigen Abstinenz des Motorsport-Zirkusses bei Weitem kein Straßenfeger in den Vereinigten Staaten.
Bisher nur ein Grand Prix, ein Team und seit Jahren kein US-amerikanischer Fahrer im Feld: Bei den Motorsport-Fans in Übersee standen eher die IndyCar Series oder NASCAR hoch im Kurs. Zeitweise gab es nicht mal einen US-Grand-Prix im Rennkalender. Doch das Interesse vor allem junger US-Fans wächst und erstreckt sich mittlerweile auch auf die Formel 1. Und die Betreiber wollen dieses Momentum voll ausnutzen und treiben die Expansion gen USA voran.
"Die USA sind ein massiver Fokus für uns. Wir sind der Meinung, dass die Formel 1 einfach in dieses Land gehört", sagt Formel-1-Boss Stefano Domenicali. Das bringt Änderungen in nicht unerheblichem Umfang mit sich. Folgt sogar eine Amerikanisierung der Formel 1?
Mit Austin, Miami und Las Vegas wird es in der kommenden Saison gleich drei Rennen unter dem Sternenbanner geben. Zusätzlich zu Austin gibt erst das Rennen in Florida Anfang Mai seine Premiere, 2023 feiert dann die Stadt der Sünde ihr Comeback.
"Der Las Vegas Grand Prix soll eines der größten Rennen der Formel 1 werden. Somit wollen wir den amerikanischen Markt zum bedeutendsten Markt der Königsklasse machen", so Domenicali. Eine Übersättigung der dortigen Fans fürchtet Domenicali durch das dritte Rennen nicht.
Den Ankündigungen nach wird ein Rennen spektakulärer als das andere. Fans von Show und Action dürfen sich freuen, Traditionalisten werden sich wohl erst von den Rennen überzeugen lassen wollen.
Die Formel 1 erlebt seit der Übernahme durch den US-Konzern Liberty Media im Jahre 2016 einen Wandel und versucht einen in die Jahre gekommen Wettbewerb für Zuschauer und Partner wieder attraktiver zu machen. Bisher mit Erfolg.
Dafür expandierte man zuletzt vor allem in den Nahen Osten und nun in die USA. Hier verspricht sich die Formel 1 neben neuen Fans vor allem wirtschaftliches Wachstum und demnach auch neue potente Geldgeber. Im sparsamen Europa, der Wiege der Formel 1, scheinen die Mittel aktuell erschöpft. In Deutschland lässt sich aufgrund der teuren Umsetzung aktuell kein Rennen veranstalten.
Dagegen versucht gerade der Nahe Osten sich aktuell mit Großereignissen auf die sportliche Landkarte zu hieven. Trotz der mitunter umfangreichen Kritik an den Arbeitsbedingungen oder fehlenden Menschenrechten und sogar Anschlägen in Streckennähe floriert das Business in den Golfstaaten.
Doch seit wenigen Jahren hat sich auch die USA zu einem attraktiven Markt der Formel 1 entwickelt. Dem liegt vor allem das wachsende Interesse der jungen Fans an der Veranstaltung zugrunde. Aus den Kreisen der Königsklasse ist immer wieder zu hören, dass ausgerechnet die von den Piloten teilweise stark kritisierte Serie Drive to Survive des US-amerikanischen Streamingdienstes Netflix einen entscheidenden Anteil daran habe.
Sportler-Dokus sind ohnehin im Trend. Ob Fußball, American Football oder die Formel 1. Die Zuschauer wollen Einblicke hinter die Kulissen. Ob diese am Ende dann wirklich so richtig zusammengestellt und nicht dramaturgisch doch etwas angereichert sind, sei einmal dahingestellt. Die Fans goutieren die Show, die richtige Inszenierung vorausgesetzt, dann auch mit Interesse am Kern der Veranstaltung, dem Rennen.
Größer, schneller, spektakulärer: Wie man Sportarten richtig in Szene setzt, wissen die US-Amerikaner wie kaum eine andere Nation. Das zeigt allein schon das wachsende Interesse hierzulande an der NFL. Durch Liberty Media darf alleine deshalb erwartet werden, dass auf die Zuschauer wohl auch in den kommenden Monaten und Jahren noch einige interessante Veränderungen am Erlebnis Formel 1 hinzukommen werden.
Die wohl größte Änderung der vergangenen Jahre stellt die aktuelle Regelrevolution dar, die zu mehr Racing beitragen und Rennen spannender gestalten soll. Aber auch die Übertragungen entwickeln sich weiter. Neue Onboard-Aufnahmen, neue Helm-Kameras, Superzeitlupen oder Drohnen-Shots sollen den Zuschauer künftig so nah an die Strecke bringen, wie es nur geht.
Das sind in erster Linie keine Änderungen, die Grund zur Annahme einer möglichen Amerikanisierung sind. Das gab es auch schon vorher. Nun könnte man aber sagen, dass die gesteigerte Aufmerksamkeit den Druck auf die Verantwortlichen erhöhe, um auch künftig mit Entwicklungen dieser Größenordnung aufzuwarten.
Viel mehr sind es andere Einflüsse, die der Formel 1 künftig einen größeren nordamerikanischen Anstrich verpassen werden. Die Übernahme durch Liberty Media, die Rückkehr eines US-Grand-Prix und der Einstieg von Haas in die Formel 1 waren erst der Anfang.
Dass nun mit Miami und Las Vegas zwei der prominentesten Städte der Staaten im Kalender vertreten sind, wurde bereits erwähnt. Aber auch viele der neuen großen Partner der Formel 1 und ihrer Teams kommen aus den USA. Vergangene Saison machte Aston Martin Cognizant zum Titelsponsor, Red Bull zog diese Saison mit Oracle nach, Google stieg bei McLaren mit ein und ziert dort unter anderem die neuen Radkappen. Erst am Dienstag wurde bekannt, dass die Formel 1 mit dem Cloud-Computing-Riesen Salesforce eine fünfjährige "innovative" Partnerschaft eingegangen ist. Die Einnahmen dürften sprudeln.
Auch wenn F1-Boss Stefano Domenicali etwas auf die Bremse drückt, sollte es dementsprechend nur eine Frage der Zeit sein, bis es auch mal wieder ein amerikanischer Fahrer in ein Cockpit schafft. "Aus kommerzieller Sicht oder aus der Sicht eines Promoters, der das Geschäft in den USA entwickeln will, wäre eine Frau oder ein Mann als Fahrer sehr wichtig", so Domenicali. Aber es dürfe keinen Schnellschuss geben: "Sie sind die Protagonisten, mit denen man sich verbunden fühlt. Aber es muss echt sein. Sonst wird es zum Bumerang. Deshalb arbeiten wir mit dem amerikanischen Verband zusammen, um in diesen Bereich zu investieren."
Seit Alexander Rossi 2015 für Manor einsprang, fuhr kein US-Amerikaner mehr in der Formel 1. Laut Greg Maffei, dem CEO von Liberty Media, werde Rossi bald als letzter US-Fahrer abgelöst: "Ich denke, mit einer Veranstaltung wie der in Las Vegas und all den anderen Dingen, die wir in den USA tun, wird es nur noch wahrscheinlicher, dass wir bald einen amerikanischen Fahrer haben werden."
Dann könnten möglicherweise gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Denn ein möglicher Kandidat wäre Colton Herta. Der 22-jährige IndyCar-Fahrer wird schon in dieser Saison bei McLaren testen dürfen. In Verbindung wird er vor allem - wie passend - mit einem zweiten US-Team gebracht, dass Marco Andretti schon bald an den Start bringen will.
Nach dem zuletzt eher durch russisches Sponsoring und den russischen Landesfarben aufgefallenen Haas-Boliden wäre ein amerikanischer Fahrer im amerikanischen Team eine neue Möglichkeit für die US-Fans, sich mit einem Team zu identifizieren.
Was den Unterhaltungsfaktor anbelangt, dürften die beiden neuen Strecken in den USA neue Maßstäbe setzen. So verspricht der Grand Prix in Miami ersten Erkenntnissen zufolge Sommer- und Party-Feeling pur. Die Strecke, die rund um das Football-Stadion der Miami-Dolphins herumführt, beinhaltet zum Beispiel eine eigene Bühne, auf der wohl bekannte Künstler auftreten dürften. Zudem soll es einen Beachclub, einen eigens angefertigten Mini-Jachthafen in den Kurven sechs bis acht und einen temporären Strand geben (siehe folgendes Video).
"Die Idee war, ein Rennen zu schaffen, bei dem Leute, die es gewohnt sind, zu Rennen zu gehen, denken: 'Das ist anders, das macht Spaß, das ist aufregend'", so Tom Garfinkel, Chef der Veranstaltung.
Las Vegas dürfte Miami schon aufgrund der Lage des Kurses in nichts nachstehen. Das Rennen wird unter anderem über den bekannten Strip führen und anders als normal an einem Samstagabend - in Deutschland dann Sonntagmorgen - stattfinden. Nirgends dürfte das Spektakel so im Vordergrund stehen wie in der weltweiten Entertainment-Hauptstadt. Die Fahrer scheinen begeistert zu sein und zeigten in einer Aufnahme der Formel 1 bereits ihre Vorfreude auf die Wüstenstadt.
*Quelle der Angaben: RacingNews365
Nun könnte man dem wachsenden amerikanischen Einfluss mit Argwohn gegenüberstehen. Drei Rennen alleine in den USA? Dazu die Rennen in Kanada und Mexiko. Das dürfte bei dem einen oder anderen europäischen Fan für Stirnrunzeln sorgen. Erstrecht, wenn dafür andere - hauptsächlich europäische - Rennen auf der Kippe stehen. Doch allein geografisch ist Europa mit zehn Rennen aktuell weiterhin verwöhnt. Die USA sind flächenmäßig fast genauso groß. Die Formel 1 ist ein globaler Wettstreit, weshalb Domenicali zuletzt auch einen Grand Prix in Südafrika ins Spiel brachte.
Es wird also nicht nur hauptsächlich in Richtung USA oder zuletzt auch Naher Osten gedacht, sondern weiter. Das muss für die Formel 1 nicht schlecht sein, will sie nicht noch einmal an Unterhaltungsfaktor verlieren, wie zum Ende der Ecclestone-Ära. Dazu gehört aber auch, dass die USA als der große Markt, der sie nun mal ist, in der Formel 1 ein Wörtchen mitredet. Um von einer Amerikanisierung zu sprechen, bedürfe es tiefergehende Analysen und vor allem weitere Einflüsse.
Glaubt man Domenicali müsse man diese sowieso nicht befürchten. Denn Europa werde weiterhin wichtiger Bestandteil der Planungen bleiben: "Wir werden nicht vergessen, dass Europa unser Geburtsort ist, aber die Formel 1 ist heute ein globaler Sport."