Der logische "Sensations"-Aufstieg von Darmstadt 98
20.05.2023 | 12:55 Uhr
Mit dem Sieg über den 1. FC Magdeburg hat Darmstadt 98 den Aufstieg in die Bundesliga perfekt gemacht. Während der frenetischen Aufstiegsparty hallte das Wort "Sensation" durch das Stadion, dabei könnte man den Erfolg der Lilien auch als logische Konsequenz betiteln.
Es war gegen 20:20 Uhr am Freitagabend, als am Böllenfalltor in Darmstadt alle Dämme brachen. Mit dem Schlusspfiff der Partie gegen Magdeburg gab es für Fans und Spieler kein Halten mehr und der Rasen im Stadion wurde binnen weniger Minuten zum Zentrum einer ausgelassenen Aufstiegsparty.
So manche Freudenträne kullerte den D98-Profis sowie den Anhängern der Lilien über das Gesicht, die sich noch lange nach Abpfiff herzten und gemeinsam die Rückkehr in die höchste deutsche Spielklasse feierten. "Mir wäre es am liebsten, wenn alle mit in die Kabine kommen und wir die Hütte abreißen. Dann steht das Stadion morgen nicht mehr, aber das ist mir scheißegal", meinte der emotionale Darmstädter Siegtorschütze Phillip Tietz bei Sky.
Mit dem 1:0-Sieg über die Magdeburger besiegelten die Lilien den vierten Bundesligaaufstieg der Vereinsgeschichte und dürfen im nächsten Jahr nach sechs Jahren Abstinenz wieder Größen wie den FC Bayern oder Borussia Dortmund in Darmstadt begrüßen. Übermannt von diesen Bundesliga-Aussichten schnappte sich im Verlauf der Feier auf einmal Routinier Tobias Kempe das Stadionmikrofon und brüllte zunächst das Wort "Sensation" und kurze Zeit später das Lob "wir haben es uns verdient" in die Lautsprecher.
Zieht man nach den 33 Saisonspielen Bilanz, muss man die These von Kempe bestätigen: Darmstadt hat sich den Aufstieg verdient. Die Lilien verweilten an 27 der 33 Spieltage unter den ersten drei der Tabelle und erklommen erstmals am zwölften Spieltag die Tabellenspitze. Mit zwischenzeitlich 21 ungeschlagenen Partien in Folge gaben die Hessen den Platz an der Sonne seitdem auch nicht mehr her.
Insgesamt 20 Saisonsiege stehen am Ende auf dem Darmstädter Konto zu Buche, das mit zehn Unentschieden nach dem Abstieg 2017 gut gefüllt für die Rückkehr ins Oberhaus ist.
Doch wie hat die Mannschaft von Torsten Lieberknecht zurück zum Erfolg gefunden?
Der Schlüssel für den Erfolg der Lilien lag im Saisonverlauf in der Defensive. Mit 29 Gegentoren kassierten die Hessen die mit Abstand wenigsten Treffer. "Die Tatsache, dass wir die beste Defensive haben, ist nicht nur ein Verdienst der Abwehr, sondern der gesamten Mannschaft", meinte Innenverteidiger Jannik Müller, der mit 27 Saisoneinsätzen maßgeblichen Anteil am Defensivverbund trägt.
Neben Müller standen Lieberknecht zahlreiche weitere starke Defensivspieler zur Verfügung, die durch die qualitative Breite jegliche Verletzungen abfedern und das Abwehr-Bollwerk am Leben halten konnten. Ein Muskelbündelriss von Stamm-Innenverteidiger Patric Pfeiffer hatte somit ebenso wenig Auswirkungen auf die Darmstädter Defensiv-Stärke wie der Muskelbündelriss von Klaus Gjasula, der bis zu seiner Verletzung ebenfalls zum absoluten Stammpersonal zählte.
Doch nicht nur in der Verteidigung verfügen die Darmstädter über einen breiten Kader, auch in der Offensive stellten gleich mehrere Akteure im Saisonverlauf ihre Qualität unter Beweis. Während die Konkurrenten um den Aufstieg aus Heidenheim und Hamburg mit Tim Kleindienst und Robert Glatzel jeweils einen Stürmer in ihren Reihen haben, die mit 24 und 19 Treffern die hauptsächliche Tor-Last ihrer Vereine trugen, verteilten sich die 50 Lilien-Tore auf insgesamt 14 Schultern. Stürmer Tietz war mit zwölf Treffern der erfolgreichste Darmstädter, gefolgt von Braydon Manu, der sieben Tore beisteuerte.
Zusammengestellt wurde der ausgewogene Lilien-Kader von einem Umfeld, dass bereits seit einiger Zeit die Fäden im Hintergrund zieht. Präsident Rüdiger Fritsch, sprach davon, dass der Aufstieg für Darmstadt soviel Wert sei wie "für andere die Champions League". Fritsch bekleidet sein Amt seit mehr als zehn Jahren, Sportchef Carsten Wehlmann arbeitet auch schon im sechsten Jahr in Darmstadt. Die Konstanz, die die Mannschaft auf dem Rasen zeigte, wurde auch in der strategischen Ebene vorgelebt.
Mit Lieberknecht holten die Bosse 2021 zudem den perfekten Trainer. Schon in seinem ersten Jahr in Darmstadt erreichte er mit dem Team den vierten Rang und verpasste die Relegation nur aufgrund der Tordifferenz. Der Coach moderierte die ständigen Rotationen während der Saison ohne Probleme und schaffte es, die Spieler auch ohne Einsatz auf dem Rasen zu motivieren.
Thomas Isherwood, der beispielsweise in den letzten neun Spielen aus der Startelf rotierte, bezeichnete Lieberknecht als seinen "heimlichen Helden". Mit seiner ruhigen und familiären Art formte der gebürtige Pfälzer die Lilien zu einer Einheit, die nun den Gang in die höchste deutsche Spielklasse antreten darf.
Mit dem ausgewogenen eingeschworenen Kader in der Offensive sowie der Defensive, einem festen Stamm im Hintergrund und einem Trainer, der ein perfekter Lilien-Fit zu sein scheint, ist der Aufstieg eigentlich mehr eine logische Konsequenz als die von Kempe betitelte "Sensation". Das letzte Bundesliga-Abenteuer der Lilien endete nach zwei Jahren, doch nun scheint die Mannschaft reif zu sein, womöglich auch länger im deutschen Fußball-Oberhaus zu spielen.