Anthony Modeste erlebt beim 1. FC Köln seine ganz persönliche Renaissance. Der Stürmer thront in einer Statistik in Europas fünf Top-Ligen an der Spitze.
Köln, RheinEnergieStadion, 19. Dezember, 19:25 Uhr: Anthony Modeste fällt in die Arme von Steffen Baumgart. Er stützt seinen Kopf auf die breite Schulter seines Trainers. Der Stürmer weint, lässt seinen Emotionen freien Lauf. Modeste erlebt an diesem Abend eine Achterbahnfahrt der Gefühle.
"Am 19. Dezember vor drei Jahren habe ich meinen Papa verloren. Und in dieser Situation war mein Papa für mich da", erklärte der Torjäger seinen tränenreichen Ausbruch. "Das war sehr emotional für mich."
Modeste köpft Köln zum Sieg
Wenige Minuten zuvor hatte der Franzose dem FC wieder mal einen Sieg geschenkt. In der 88. Minute setzte er einen Kopfball aus elf Metern gekonnt in den Stuttgarter Kasten. Es war bereits sein achter Kopfballtreffer in der Hinrunde - kein anderer Spieler in Europas fünf Top-Ligen hat in dieser Liga-Saison so oft mit dem Kopf eingenetzt. Platz zwei belegt in dieser Statistik Genuas Mattia Destro (fünf Treffer).
Modeste lässt Köln vom Europapokal träumen und setzt im fortgeschrittenen Fußballer-Alter von 33 Jahren zu kaum noch für möglich gehaltenen Höhenflügen an. Das liegt auch an seinem Trainer: Baumgart und Modeste, da haben sich zwei gefunden. Ihr Erfolgsgeheimnis ist einfach. "Er hat mich verstanden. Er sieht, dass ich arbeite. Er vertraut mir und lässt mich spielen. Und jedem Trainer, der mir vertraut, zahle ich zurück", sagte Modeste der Bild im November.
Weiterbeschäftigung beim FC?
Thomas Kessler, Leiter des Lizenzbereichs beim 1. FC Köln, kann sich vorstellen, dass Modeste dem Klub auch nach seiner aktiven Karriere erhalten bleibt. "Wir können froh sein, dass wir so einen Typen haben, der sich auch so mit diesem Klub identifiziert. Das müssen wir dann auch irgendwann nutzen, um das eventuell im Nachwuchs oder auch in der Linzenzmannschaft einzubinden", meinte Kessler am Sky Mikro.
Gisdol und Modeste mit Vorgeschichte
Unter Baumgart netzte Modeste in 17 Bundesliga-Partien bereits elfmal ein. Das sind fast viermal so viele Tore wie in 27 Bundesligaspielen unter Markus Gisdol, unter dem Modeste zwischen 2019 und 2021 nur auf drei Treffer kam.
Die Beziehung Gisdol-Modeste stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Beide kannten sich bereits aus Hoffenheim, wo sie zwei Jahre von 2013 bis 2015 zusammenarbeiteten. Modeste lieferte zwar zu Anfang seiner Hoffenheimer Zeit gute Leistungen ab, doch Gisdol rotierte oft im Sturm, Modeste fehlte das nötige Vertrauen. Auch ihre zweite Liaison in Köln lief nicht besser.
Genugtuung gegenüber Schmadtke
Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis Baumgart-Modeste. Der Kölner Knipser hat das volle Vertrauen seines Trainers und liefert ab. Schon elf Bundesliga-Saisontore hat der Sturmtank erzielt.
Modeste hat es allen gezeigt. Auch seinem Ex-Chef Jörg Schmadtke. Der Angreifer machte keinen Hehl daraus, dass ihm die beiden Tore beim 3:2-Sieg gegen den VfL Wolfsburg besonders süß schmeckten. "Ich bin heute persönlich glücklich, weil ich die Mannschaft von Jörg Schmadtke in die Krise geschickt habe", spitzelte Modeste am Sky Mikro in Richtung des heutigen Wolfsburger Geschäftsführers.
Modeste und Schmadtke arbeiteten von 2015 bis 2017 zusammen in Köln. Im Sommer 2017 kam es zum Bruch. Der Stürmer wechselte für viel Geld nach China zu Tianjin Quanjian. Modeste sagte, dass er nicht wirklich weg wollte. Schmadtke sei die treibende Kraft hinter dem Wechsel gewesen. Dem widersprach der damalige FC-Geschäftsführer.
Rückkehr zunächst kein Erfolg
Modeste wurde in China nicht glücklich, kehrte bereits 2018 nach Köln zurück und erhielt einen Fünfjahresvertrag. Doch die Anfangseuphorie über die Rückkehr des Mannes, der bei den FC-Fans Kultstatus genießt, war schnell verflogen. Zwar trug Modeste mit sechs Toren in elf Zweitligaspielen seinen Anteil zum Wiederaufstieg des FC bei, doch dann lief es nicht mehr rund.
2019/20 traf der Franzose nur mickrige viermal in 27 Bundesligaspielen. 2020/21 kam er gar nur zu acht Einsätzen ohne Torerfolg und wurde in der Rückrunde nach Saint-Etienne verliehen. Er hatte während dieser Zeit auch immer wieder mit Verletzungsproblemen zu kämpfen und die Domstädter wären am Ende der letzten Saison fast abgestiegen.
Baumgart setzt auf Modeste
Das alles ist inzwischen vergessen, denn Steffen Baumgart hat das Ruder am Rhein mit erfrischendem Offensiv-Fußball herumgerissen - und das mit einem fast unveränderten Kader im Vergleich zur Vorsaison. Und er hat Modeste wieder in die Spur gebracht.
"Er macht wieder das, was ihn früher schon ausgezeichnet hat. Jeder wäre froh, so einen Stürmer zu haben. Tony macht, Tony tut. Aber er kann es auch nicht allein. Er krönt es nur momentan", sagte Baumgart nach dem Sieg gegen Stuttgart über Modeste und sprach zugleich an, was ihm noch nicht so gut passte. "Ich fand ihn in der ersten Halbzeit nicht gut, das habe ich ihm auch gesagt."
Modeste: "Das ist gut für mich"
Diese direkte Art von Baumgart scheint dem Gefühlsmenschen Modeste gutzutun. Der FC-Knipser berichtete nach dem Stuttgart-Spiel von einem Einzelgespräch zwischen Spieler und Trainer zu Saisonbeginn. "Wir waren sehr ehrlich zueinander. Und das ist gut für mich", meinte Modeste in der ARD.
Sein Tor gegen den VfB war sein 55. Bundesligatreffer für Köln, damit zog er mit Klub-Legende Lukas Podolski gleich auf Rang neun in der vereinsinternen Bundesliga-Torjägerliste. Es ist zudem bislang in diesem Jahrtausend nur Podolski 2011/12 mit 14 Toren und Modeste selbst 2016/17 (13 Tore) gelungen, seine elf Hinrunden-Treffer zu toppen.
2016/17 hatte Modeste am Saisonende 25 Tore auf dem Konto und Köln zog in die Europa League ein. Sollte ihm das in dieser Spielzeit erneut gelingen, wird er nach dem 34. Spieltag sicher wieder in den Armen von Baumgart liegen oder ihm wie beim Spiel gegen Union Berlin mal wieder die Mütze klauen ...