BVB beschönigt Debakel: Haaland-Abgang als Chance für die Zukunft?
04.04.2022 | 14:33 Uhr
Borussia Dortmund erlebt beim 1:4 gegen RB Leipzig den nächsten Tiefschlag, redet sich die Niederlage aber selbst schön. Was muss sich ändern und welche Rolle spielt Erling Haaland dabei?
Borussia Dortmund steht in der Bundesliga trotz der Pleite gegen RB Leipzig mit 57 Punkten gut da. Die Qualifikation für die Champions League wird wohl souverän erreicht. Mehr aber auch nicht. Um dem FC Bayern Paroli zu bieten, reicht es auch in dieser Saison nicht - obwohl der Rivale aus München durchaus Schwächen zeigt.
Hinzu kommt das Aus in den Pokal-Wettbewerben. Zunächst scheiterte der BVB in einer machbaren Champions-League-Gruppe mit Besiktas, Sporting und Ajax. Dann die Pleite im DFB-Pokal-Achtelfinale gegen den Zweitligisten FC St. Pauli, ehe auch noch in der Europa League gegen die Glasgow Rangers Schluss war.
Spätestens nach dem 1:1 in Köln war auch klar, dass der Zug in Sachen Meisterschaft wohl abgefahren ist. Wenn schon nicht über die gesamte Saison, so wollte der BVB wenigstens Rückrunden-Meister werden, was Sebastian Kehl als neues Ziel für den Rest der Spielzeit ausgab. Aber auch das wird schwierig. Denn nach dem 4:1-Sieg in Dortmund ist RB Leipzig dem BVB um drei Punkte in der Rückrundentabelle voraus und hat die um elf Treffer bessere Tordifferenz.
Der Auftritt der Dortmunder am Samstagabend fügt sich in eine Reihe von Spielen ein, die viele BVB-Fans ratlos zurücklassen. Auffällig war, dass Mats Hummels und auch Trainer Marco Rose das 1:4 schönredeten. "Ich weiß, dass es für Aussagen, wie die Folgenden immer auf den Sack gibt: Es war ein Sieg der Effektivität und der Chancenverwertung. Es war von den Leistungsverhältnissen kein 4:1-Sieg", sagte Hummels am Sky Mikro.
Das sieht Lothar Matthäus anders. "Wenn man die zweite Halbzeit sieht, da habe ich eigentlich nichts Gefährliches von Dortmund gesehen. Aber ich habe noch sechs, sieben Überzahlspiele von Leipzig gesehen aufs Dortmunder Tor. Sie können froh sein, dass Leipzig diese Überzahlspiele nicht genutzt hat, sonst wäre das Ergebnis noch höher ausgefallen", sagte der Sky Experte bei Sky90 am Sonntag.
Trainer Marco Rose äußerte sich nach Abpfiff ähnlich wie Hummels. "Außer dem Umschaltspiel hatte Leipzig nicht viel vom Spiel". Genau das war aber eben der Plan der Gäste: kompakt stehen und schnell umschalten, was hervorragend aufging. Roses Elf hingegen lieferte lediglich bis zum 0:1 ein ordentliches Spiel ab, brachte danach allerdings nicht mehr viel zustande.
"Sie reden sich die erste Halbzeit schön, sie reden sich die zweite Halbzeit schön, sie reden sich die letzte Viertelstunde schön. Aber ein Spiel dauert 90 Minuten. Und das zeigen sie ab und zu, aber leider zu selten. Gerade in den wichtigen Spielen sind sie dann meistens nicht da gewesen - auch in diesem Jahr", meint Matthäus.
Es war nicht das erste Mal, dass Dortmund in dieser Saison in einem Heimspiel die Hütte vollbekommt. Bereits gegen Bayer Leverkusen setzte es Anfang Februar ein 2:5 im eigenen Stadion und auch der FC Bayern schenkte dem BVB im Dezember drei Tore ein. Mittlerweile hat der Tabellenzweite schon 42 Gegentore nach 28 Saisonspielen kassiert. Öfter klingelte es bei den Dortmundern zuletzt vor 14 Jahren zu diesem Saisonzeitpunkt (damals 50 Gegentore).
Die Verteidigung ist eines der Probleme. Nach dem 0:1 gegen Leipzig verlor das Team jegliche Ordnung. "Er hat es gesagt, nicht ich: Wie ein Hühnerhaufen. Mats Hummels hat dieses Wort verwendet. Ja, es war wirklich so. Sechs vorne, vier hinten, keine Kompaktheit mehr, keine Organisation", kritisiert Matthäus. Eine Bankrotterklärung für ein Spitzenteam.
Rose nahm zwar Emre Can für dessen Fehler vor dem 0:1 in die Pflicht, ein grundlegendes Qualitätsproblem im Kader sieht er aber nicht. "Wir reden über Emre Can, einen deutschen Nationalspieler. Er hat einfach eine falsche Entscheidung getroffen, das muss er ganz klar besser machen", so der Coach am Sky Mikro.
Für Matthäus sind die Probleme in Dortmund grundlegender Natur. Er erläutert den Unterschied zum FC Bayern. Ein ähnliches Auseinanderbrechen wie das der Dortmunder gegen Leipzig sei beim Rekordmeister nicht denkbar. "Das würde bei Bayern München nicht passieren - auch wenn sie 0:1 zurückliegen. Sie glauben weiter an sich, sie spielen selbstbewusst, lassen sich nicht von diesem Gegentor so beeindrucken, dass man auseinanderfällt. Aber Dortmund ist gestern auseinandergefallen."
Die Qualität der Führungsspieler sei einfach eine andere. "Es fehlen mir einfach auch diese Führungsspieler, die Bayern München hat. Marco Reus und Mats Hummels haben ihre Qualität, sind häufig verletzt, haben mit sich selbst zu tun. Aber sie haben meiner Meinung nach nicht die Persönlichkeit, die ein Manuel Neuer mitbringt, die ein Thomas Müller mitbringt, die sogar ein Joshua Kimmich mitbringt", meint der Sky Experte.
Auch Erling Haaland kann den Dortmundern momentan wenig helfen. Der Stürmer ist in dieser Saison oft verletzt und hat zudem in seinen letzten vier Bundesligaeinsätzen kein Tor erzielt. Es ist nicht nur Haaland, bei dem es hakt. Die gesamte BVB-Offensive lahmt. In den letzten fünf Bundesligaspielen hat Dortmund nur viermal eingenetzt und in keiner dieser Partien mehrfach getroffen.
Dennis Aogo glaubt, dass es nicht gut sei, dabei immer nur auf Haaland zu schauen. "Alles auf die Schultern von Haaland zu legen, ist glaube ich keine gute Idee. Er ist ein junger Kerl, hat viel Verantwortung. Oftmals zeigt sich das auch in körperlichen Verletzungen. Ich will jetzt nicht sagen, dass das bei ihm der Fall ist. Aber ganz viele Spieler, die dann häufiger verletzt sind, das hat auch damit zu tun, weil sie sich selber unter Stress, unter Druck setzen. Ich glaube es ist nie gut, sich nur auf einen Spieler zu verlassen", erklärt der frühere Bundesligaprofi bei Sky90.
Viel wird beim BVB davon abhängen, wie es mit Haaland weitergeht. Momentan steht noch nicht fest, ob der Norweger den Verein im Sommer verlässt oder doch noch eine weitere Saison in Dortmund bleibt. Ein etwaiger Verkauf würde den Borussen wohl viel Geld in die Kasse spülen.
Einerseits müsste Dortmund dann zwar einen neuen Stürmer finden. Andererseits könnte ein Haaland-Abgang auch eine Chance bieten. Aogo würde das eingenommene Geld "dafür nutzen, so ein bisschen auch eine neue Achse aufzubauen".
Der künftige Sportdirektor Sebastian Kehl machte bereits zuletzt deutlich, dass es Veränderungen im Kader geben wird. "Ein 'Einfach weiter so', das habe ich vor ein paar Wochen schon mal gesagt, kann es nicht mehr geben", führte der bisherige Lizenzspielerchef in der Süddeutschen Zeitung aus: "Und dafür braucht man ein paar neue, frische Spieler, die die Dynamik innerhalb der Mannschaft verändern."
Mit Niklas Süle hat der Verein immerhin schon einen Top-Transfer für die nächste Saison in trockene Tücher gebracht - und das sogar ablösefrei. Er soll einer dieser Führungsspieler sein, die die Probleme des BVB lösen sollen. Mit den möglichen Haaland-Millionen wären weitere solcher Transfers möglich, um in der kommenden Saison ganz oben anzugreifen. Die Frage ist allerdings, ob der Klub das überhaupt möchte?
"Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Verantwortlichen oder der Verein gar nicht so richtig selbst daran glaubt, dass man Bayern Konkurrenz machen kann. Sondern, dass man sich in einer anderen Rolle sieht. Dann kann man auch viele Sachen wieder relativieren", sagt Aogo.
Für die aktuelle Saison stimmt das, denn wie bereits Eingangs erwähnt: Das Minimalziel - die Qualifikation für die Champions League - wird der BVB auch in dieser Saison wohl packen. Doch langfristig dürfte das den Fans als Perspektive nicht genügen - schon gar nicht mit solchen Auftritten wie dem gegen Leipzig.