"Messi der Büros": Über den Mann, der den FC Sevilla groß machte
29.09.2021 | 18:43 Uhr
Ramon Rodriguez Verdejo bestritt jüngst sein 1000. Spiel als Funktionär des FC Sevilla. Als er als Sportdirektor übernahm, spielte der Klub noch in der zweiten Liga und stand vor dem finanziellen Kollaps. Heute gilt Verdejo als Revolutionär seines Amtes - dabei hat der 53-Jährige noch lange nicht genug.
Wir schreiben das Jahr 2000. Der FC Sevilla, ein eigentlich etablierter Erstligist, läuft im spanischen Unterhaus auf - zum dritten Mal in vier Jahren. Weil der Klub über Jahre hinweg Misswirtschaft betrieben hat und damit vor dem sportlichen sowie finanziellen Kollaps steht.
Doch Sevillas damaliger Präsident Roberto Ales sollte in diesem besagten Jahr einen Geistesblitz haben. Ein Geniestreich, der den strauchelnden Verein auf den Kopf stellen und in völlig neue Dimensionen hieven würde - er hört auf den Namen Ramon Rodriguez Verdejo - besser bekannt als Monchi.
Monchi lief bereits in den Jahren zuvor als Ersatztorwart für die Nervionenses auf, eher er seine Schuhe an den Nagel gehängt hatte und dem FC Sevilla fortan als Teambetreuer zur Seite stand. Doch Ales erkannte schnell, dass Monchi offenbar zu Höherem berufen sei und beförderte ihn kurzerhand zum Sportdirektor des runtergekommenen Vereins. Der Rest ist Geschichte - bis heute.
Denn mittlerweile ist der Sevilla Futbol Club weit entfernt von finanziellen Problemen oder geschweige denn der zweiten Liga - im Gegenteil! Die Andalusier gehören zu den festen Größen in Spanien und etablierten sich als ernstzunehmender Konkurrent für die schier übermächtig wirkenden Barcelona, Atletico und Real Madrid - Monchi sei Dank. Der 53-Jährige bestritt beim Champions-League-Auftakt gegen Salzburg sein sage und schreibe tausendstes Spiel als Funktionär des FC Sevilla.
Seitdem Monchi als Sportdirektor fungiert, stiegen die Andalusier zur gefürchtetsten Mannschaft des UEFA-Cups auf. Ganze sechs Europa-League-Titel gewannen die Sevillistas - keinem anderen Verein in der Fußball-Geschichte gelang das.
Mit dem Wettbewerb scheinen die Blanquirrojos die perfekte Nische für sich entdeckt zu haben - sportlich wie finanziell. Denn durch die kontinuierlich starken Leistungen empfehlen sich die Sevilla-Spieler fast schon jährlich für größere Aufgaben. Und Sportdirektor Monchi fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle des Architekten. Zumindest legt das der Blick auf die Aktivitäten auf dem Transfermarkt nahe.
Immer wieder entdecken, im richtigen Moment verkaufen und sogleich adäquat ersetzen: Wohl keinem anderen Sportdirektoren gelang das über einen derart langen Zeitraum so gut wie Monchi. Dem 53-Jährigen halfen dabei eine beeindruckende Scouting-Arbeit und ein schier unvergleichliches Timing.
Entdeckungen wie Dani Alves begründeten die Legende. Der Brasilianer, gekauft für gerade einmal 500.000 Euro, avancierte zu einem der besten Rechtsverteidiger Europas. 2008 ging er für 35,5 Millionen Euro zum FC Barcelona. Auch ein gewisser Sergio Ramos lernte sein Handwerk in der Schmiede Sevillas. Seit Sommer 2015 generierte der Klub insgesamt allein mehr als 475 Millionen Euro durch Spielerverkäufe.
Als vermeintlicher Ausbildungsverein wusste Monchi die schmerzlichen Abgänge dabei Jahr für Jahr zu kompensieren. Die Tatsache, dass die besten Spieler den Verein immer wieder verlassen, nimmt der ehemalige Torhüter gelassen: "Das ist kein Schock mehr für mich. Alvaro Negredo geht und du denkst, es ist das Ende der Welt, aber dann kommt Bacca. Geht er, zeigt Gameiro, wie gut er ist."
Alleine Negredo (25 Mio. Euro zu Manchester City*), Carlos Bacca (33,3 Mio. Euro zu AC Milan*) und Kevin Gameiro (für 32 Mio. Euro zu Atletico Madrid*) brachten zusammen allein 90,3 Millionen Euro ein - ein wahres Kunststück.
In Spanien nennen sie ihn deshalb den "Lionel Messi der Büros". Die Lobeshymnen stiegen Monchi jedoch nie auch nur ansatzweise zu Kopf. "Ich bin kein Logentier", sagte er einst gegenüber der Tageswoche. Verdejo zeigt sich stets nahbar. Die familiäre Klubkultur versteht er als essenzielle Säule des Erfolgs. Wie wichtig Monchi tatsächlich für Sevilla ist, machte zudem die jüngere Vergangenheit deutlich.
Als Verdejo seinen Verein 2017 für einen zweijährigen Abstecher zur AS Roma verließ, ging es beim FC Sevilla nahezu drunter und drüber zu. Vier Trainer in zwei Jahren - mit Rang sieben und Rang sechs blieb man hinter den eigenen Erwartungen zurück. Von der gewohnten Beständigkeit waren die Andalusier in diesem kurzen Zeitraum plötzlich weit entfernt.
Im April 2019 kam Verdejo dann wieder zurück nach Andalusien - zu groß war der Schmerz beim Blick auf die damalige Entwicklung seines Vereins. Sein Comeback beruhigte die angespannte Lage von jetzt auf gleich. Bereits ein Jahr später wurde zum sechsten Mal die Europa League gewonnen. Monchi ist eben "viel mehr als ein Sportdirektor", betonte auch Präsident Jose Castro bei dessen Rückkehr. Im Rekordtempo hat er wieder ein Erfolgsteam aufgebaut.
Die neuen Leistungsträger heißen beispielsweise Bono, der 2020 für lediglich vier Millionen Euro vom Zweitligisten FC Girona gekommen war und seitdem zu einer echten Mauer zwischen den Pfosten avancierte. Oder aber Jules Kounde (aktueller Marktwert: 60 Mio. Euro*), 22 Jahre jung und schon jetzt von zahlreichen europäischen Top-Klubs - unter anderem FC Chelsea - heiß umworben. Gleiches gilt auch für seinen Abwehrpartner Diego Carlos und Außenstürmer Lucas Ocampos.
Ein zusätzlicher essenzieller Faktor für den wiedergewonnen Aufschwung hört auf den Namen Julen Lopetegui - ein weiterer Monchi-Coup. In Sevillas Klubvorstand erklärten sie ihn fast für verrückt, als er ihnen nach seiner Rückkehr aus Italien den in Spaniens Nationalmannschaft sowie bei Real Madrid fulminant gescheiterten Trainer als Wunschkandidaten präsentierte. Doch Monchi setzte sich durch - der bisherige Erfolg Lopeteguis gibt ihm wieder einmal Recht.
"Er war der erste und einzige Trainer, den ich anging, das einzige Sondierungsgespräch, das ich führte und der Einzige, den ich dem Verwaltungsrat vorschlug. Ich war vollkommen davon überzeugt, dass er der richtige Mann für uns ist. Und er hat meine Erwartungen noch übertroffen", schwärmte Monchi vor knapp einem Jahr im Interview mit dem Kicker. Schon jetzt deutet sich eine Liebesgeschichte zwischen den beiden an.
Denn Lopetegui hat den von Monchi geformten Kader zurück zu einer funktionierenden Einheit geformt. Sevilla ist auch in den bisher absolvierten sechs Saisonspielen in der La Liga ungeschlagen. Derzeit steht man auf dem dritten Rang - mit lediglich drei Punkten Rückstand auf Tabellenführer Real Madrid, der allerdings bereits ein Spiel mehr absolviert hat, genauso wie die Zweitplatzierten der Real Sociedad. Sevilla befindet sich in Schlagdistanz.
Und auch beim Champions League-Auftakt gelang den Nervionenses gegen Salzburg immerhin ein Remis. Nachdem sich Sevilla in der Europa League über Jahre hinweg zur gefürchteten Macht entwickelt hat, wollen Monchi und seine Blanquirrojos nun nach noch höheren Sternen greifen.
"Damals erwischten wir die Konkurrenz auf dem falschen Fuß, doch seitdem haben viele Vereine nachgezogen. Ich strebe den nächsten Entwicklungsschritt an", so Verdejo. Also beispielsweise auch einmal den spanischen Meistertitel anvisieren. Oder bis in die Endphase der Champions League reüssieren, wo es am Mittwochabend in Monchis tausend und vierten Spiel mit Sevilla in der Gruppenphase zur Begegnung mit dem VfL Wolfsburg kommt. Auch die Wölfe legten einen mehr als überzeugenden Start in diese Saison hin - Sevilla dürfte trotzdem als Favorit in diese Partie gehen.
"Ich will Sevilla noch weiter nach oben bringen", sagte Verdejo bei seinem erneuten Amtsantritt. Und der 53-Jährige und Sevilla sind auf dem besten Weg dahin. Der "Messi der Büros" wird seine Netze auswerfen und weiter nach schillernden Perlen der Fußball-Welt suchen. Denn Monchi hat noch lange nicht genug.
*Datenquelle: transfermarkt.de
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