Ewald Lienen: Liga-Dominanz als Problem für den FC Bayern München
Sky Experte beleuchtet den Rekordmeister
14.04.2018 | 10:49 Uhr
Der FC Bayern träumt vom erneuten Triple und steht gleichzeitig vor einem Umbruch. Mit Niko Kovac steht der neue Coach bereits in den Startlöchern. Ewald Lienen beleuchtet die wichtigsten Themen rund um den Rekordmeister. Der Sky Experte zu...
...Mentalität schlägt Qualität:
Mentalität kann oft die Qualität schlagen, aber auch Mentalität allein reicht nicht. Auf dem Niveau ist die Mannschaft mit mehr Mentalität immer im Vorteil. Wenn eine Top-Mannschaft auch die richtige Mentalität hat, ist sie schwer zu schlagen. Das war bei Bayern München in der Triple-Saison der Fall und ist auch bei Real Madrid so, wenn sie in einer Top-Verfassung sind.
...Liga-Dominanz bringt Probleme in K.o.-Spielen:
Mannschaften, die in ihrer Liga dominieren und sehr viel Konzentration und Leistung reinlegen, haben oft in K.o.-Spielen nicht mehr die gleiche Konzentration und Kraft. Das haben wir bei Manchester City und Barcelona gesehen. Bei Paris Saint-German kommt noch eine Sache dazu: Dort fehlen Mentalität und Identität. Man hat gegen Real gemerkt, dass Madrid eine Mannschaft war und PSG nicht.
Bayern München dominiert die Bundesliga, hat aber jetzt lediglich gegen Besiktas Istanbul und den FC Sevilla gespielt. Wenn sie gegen Real, Barca, Juve oder ManCity hätten spielen müssen, hätte ich gerne gesehen, wie es ausgegangen wäre. Ich will nicht sagen, dass die Bayern Losglück hatten, aber es war die zweite Reihe in Europa, gegen die sie gespielt haben. Das kann man nicht vergleichen.
...die Arbeit von Jupp Heynckes:
Jupp hat mit seinem Trainerteam allen wieder mal gezeigt, dass es auf dem Niveau unglaublich wichtig ist, einen Kader von Weltklassespielern händeln zu können. Was Carlo Ancelotti nicht hinbekommen hat oder nicht wollte. Ich weiß nicht, was er gemacht hat, dass er plötzlich die Mannschaft gegen sich hatte. Es war offensichtlich, dass die Mannschaft nicht mehr an den Trainer geglaubt hat und gemeinsam mit ihm durchs Feuer gehen wollte.
Jupp hat es mit seinem Trainerteam grandios hingekommen. Das ist unglaublich wichtig und auch die Stärke von Bayern, dass sie eine halbe zweite Mannschaft auf den Platz stellen könnten und trotzdem souverän die Meisterschaft gewinnen würden.
Dies führt hoffentlich dazu, dass Bayern am Ende der Saison über genügend Kraft verfügt. Die Mannschaft, die gegen Sevilla zu Beginn auf dem Platz stand, ist ja gut. Aber nehmen wir noch Thiago, Alaba, Vidal und Coman dazu - das sind Weltklasseleute, die gar nicht dabei waren. Dazu kommen Tolisso, der auf einem richtig guten Weg ist, Süle, Rudy und Wagner, das sind alles Nationalspieler und Top-Alternativen.
Jupp hat es verstanden, die Belastung zu verteilen, denn die Saison ist mit der Champions League und dazu noch den Länderspielen lang und sehr kräftezehrend.
...Umbruch bei Bayern:
Lewandowski ist im besten Fußballer-Alter. Sandro Wagner ist nicht vergleichbar mit Lewandowski, kann aber auch auf hohem Niveau seine Tore machen. Robben und Ribery werden verlängern, sie müssen aber nicht jedes Spiel machen. Dazu brauche ich junge frische Leute wie Coman, Gnabry und auch Goretzka. Thiago (27) ist auch noch nicht so alt, Tolisso ist noch jung. Da sind sie schon top aufgestellt, selbst wenn sie nicht noch mehr Spieler dazu holen.
...Neuer Bayern-Trainer:
Niko Kovac muss in der Lage sein, mit den Spielern umzugehen und sie hinter sich zu bringen. Jupps Fußstapfen sind groß. Die Spieler erleben bei ihm, wie es sein kann, wenn ein Trainer sie respektiert, auf sie zugeht und jedem eine gute Rolle zubilligt. Einer, der sie fördert, aber auch fordert. Das muss Kovac mitbringen, sonst hat er schon verloren.
...Erfahrung als wichtige Eigenschaft eines Trainers:
Jupp hat eine riesige Erfahrung und weiß mit bestimmten Situationen umzugehen, weil er sie schon zehn Mal erlebt hat. Das sind auch wichtige Dinge, die allerdings im heutigen Fußball immer mehr zurückgedrängt werden: Dass ein Trainer über Erfahrung verfügt und vielleicht selbst auf hohem Niveau Fußball gespielt hat.
Ich sehe in anderen Ländern sehr selten Trainer, die sehr früh aus dem Jugendbereich in die erste Liga kommen. Auch Trainer, die die Champions League gewinnen, sind fast immer Leute, die sie als Spieler schon einmal gewonnen haben. Ich glaube, dass es nicht unbedingt von Nachteil ist, wenn man selbst Profi war und sich in viele Situationen hineindenken und fühlen kann, und nicht nur intellektuell abarbeitet.
...Bayern gegen Gladbach:
Ich glaube nicht, dass Jupp es zulassen wird, dass es zu einer Wettbewerbsverzerrung kommt. Abgesehen davon weiß ich nicht, ob es Wettbewerbsverzerrung ist, wenn ich James und Coman statt Ribery und Robben aufstelle. Jupp weiß auch, dass er die Leute zwar punktuell schont, aber er wird sie nicht aus dem Rhythmus nehmen. Wenn man einmal komplett runterfährt, kann es sehr schwer sein, die Konzentration wieder hochzufahren. Ich glaube, dass Jupp dosieren wird, aber wichtige Spieler immer auf dem Platz stehen werden.
Gladbach ist nach vorne immer gut, aber sie haben große Probleme ihr Tor zu verteidigen. Sie haben von den Mannschaften, die um den Europapokal kämpfen, die meisten Gegentore. Sonst hätten sie viel mehr Spiele gewonnen. Sie müssen alles in das Spiel reinlegen. Ich weiß nicht, ob sie eine Chance haben, aber ich gönne es ihnen.
...Gladbachs Siege in München:
Damals war Gladbach immer unter den ersten Vier und alle Spieler waren fit und im Flow. Das ist etwas Anderes als wenn ich in der Rückrunde zu den schlechteren Mannschaften zähle. Möglich ist immer alles, aber die Vorzeichen sind nicht so positiv wie teilweise in den Jahren zuvor.