Ein Argentinier ist plötzlich Italiens große Sturm-Hoffnung
27.03.2023 | 14:26 Uhr
In seinem Heimatland Argentinien sorgt Mateo Retegui in dieser Saison für Furore. Dank seines Formanstiegs wurde er nun für das Nationalteam nominiert - allerdings für Italien, obwohl er kein Wort Italienisch spricht. Wer ist der unbekannte Stern am azurblauen Stürmer-Himmel?
Die Tifosi der Squadra Azzurra dürften nicht schlecht gestaunt haben, als Nationalcoach Roberto Mancini und sein Trainerteam den Kader für die beiden EM-Quali-Spiele Italiens gegen England und Malta bekanntgaben. Neben mittlerweile alteingesessenen Akteuren wie Marco Verratti, Jorginho oder Gianluigi Donnarumma fand ein weiterer - selbst den wohl eingefleischtesten Fans gänzlich unbekannter - Name seinen Platz auf der Liste: Mateo Retegui.
Die Nominierung des 23-Jährigen für die italienische Nationalmannschaft kam überraschend und sorgte für großes Aufsehen in der stolzen Fußball-Nation. Retegui nämlich ist kein gebürtiger Italiener. Der Mittelstürmer ist in San Fernando, einer Vorstadt von Buenos Aires, geboren und spricht kein Wort Italienisch. Es ist nicht einmal sicher, ob Retegui vor seiner Berufung in die Nationalelf überhaupt jemals in Italien war.
Mit seinem Blick in die weite Welt und seiner etwas überraschenden Wahl hat Mancini, der seit Jahren auf der Suche nach einem Knipser ist, jedoch ein goldenes Händchen bewiesen. Schon bei seinem Debüt gegen England (1:2) und seiner damit ersten Partie auf italienischem Boden traf er prompt. Auch gegen Malta drei Tage später nickte der Neuling im azurblauen Dress nach einer Ecke von der linken Seite humorlos zum 1:0 ein. Mit seinem zweiten Treffer im zweiten Länderspiel schrieb er gleich Geschichte: Retegui ist nach Riccardo Orsolini, Enrico Chiesa und Giorgio Chinaglia erst der vierte italienische Nationalspieler, der direkt in seinen ersten beiden Partien jeweils traf.
Italien und Retegui: Das scheint trotz ungewöhnlicher Vorzeichen zu passen. Der Angreifer, in dieser Saison von Boca Juniors an Club Atletico Tigre ausgeliehen, darf überhaupt nur für die Azzurri auflaufen, weil sein italienischer Großvater vor langer Zeit aus Sizilien nach Argentinien ausgewandert war und der Stürmer bislang noch nie in einem Aufgebot der Albiceleste stand.
Seine Entdeckung kommt dabei genau zur rechten Zeit, die Azzurri haben nämlich ein regelrechtes Stürmer-Dilemma. Ob Gianluca Scamacca, Andrea Belotti, Joao Pedro oder Giacomo Raspadori: Mancini hat es in den vergangenen Jahren so gut wie mit jedem ansatzweise potentiellen Stürmer Italiens probiert, doch mit keinem hat es wirklich harmoniert. Zu allem Übel hat sich auch der 33-jährige Ex-Borusse Ciro Immobile vor der Länderspielpause verletzt.
89 verschiedene Akteure hat Mancini in seiner mittlerweile fast fünfjahrigen Amtszeit in 57 Länderspielen getestet. Mit der etwas unorthodoxen Lösung namens Retegui scheint dem 58-jährigen Nationalcoach nun der Geniestreich geglückt zu sein. "Er hat Qualitäten, die uns leider fehlen - und wir dachten erst, er würde nicht kommen wollen, aber er hat sofort zugesagt", zeigte sich Mancini selbst überrascht über die Zusage des in Argentinien geborenen Stürmers.
Dieser erlebt bei CA Tigre seit einigen Monaten ohnehin den großen Durchbruch. 29 Tore in wettbewerbsübergreifend 51 Partien gelangen dem 1,86 Meter großen Stürmer seit seiner Ankunft vor fast genau einem Jahr. Retegui ist ein klassischer Neuner, glänzt in erster Linie mit physischer Robustheit, gutem Anlaufverhalten und leidenschaftlich geführten Zweikämpfen. Er ist jedoch auch technisch versiert und besitzt den nötigen Torriecher, der in der Squadra Azzurra lange so schmerzlich vermisst wurde.
"Ich will nicht übertreiben", sagte Mancini vor den beiden Länderspielen, "doch Retegui erinnert mich an den frühen Batistuta." Gemeint ist der Argentinier Gabriel Omar Batistuta, der in den 90er-Jahren mit 203 Toren in 331 Partien bei der AC Florenz zur Legende emporstieg. Der Vergleich hinkt zwar noch etwas, doch das grundsätzliche Potential Reteguis, in seiner Karriere womöglich irgendwann einmal derartige Quoten zu erreichen, ist nicht von der Hand zu weisen.
Reteguis Vater Carlos verglich seinen Sohn unterdessen mit niemand geringerem als Tor-Bomber Erling Haaland: "Er spielt sehr ähnlich, beidfüßig und sehr kopfballstark."
Der Italien-Debütant wird nun erst einmal zurück nach Südamerika kehren. Dort geht der Ligabetrieb Anfang April ebenfalls weiter, sein Torriecher wird bei Tigre dringend gebraucht. Doch viel Zeit dürfte wohl nicht vergehen, bis Retegui wieder europäischen Boden betritt. In den vergangenen Wochen wurden bereits zahlreiche Gerüchte laut, dass der Stürmer auf dem Zettel zahlreicher Top-Klubs stehen solle. In Italien seien Lazio und die beiden Mailänder Klubs konkret an ihm dran.
Der Name des italienischen Exots wird auf dem Transfermarkt also bereits heiß gehandelt - seine jüngsten Auftritte in der Nationalelf dürften die Gerüchteküche noch mehr brodeln lassen. Europa, meinte auch Vater Carlos, "ist sein Traum". Sein Sohnemann scheint auf dem besten Wege, diesen schon bald zu erfüllen.
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