Hamann: "... dann ist Tuchel bei der Problemanalyse vorne dabei"
18.05.2023 | 18:51 Uhr
In seiner Kolumne blickt Sky Experte Dietmar Hamann auf das Champions-League-Aus von Real Madrid und die Zukunft von Coach Carlo Ancelotti. Zudem kritisiert er Bayern-Trainer Thomas Tuchel, glaubt an den BVB im Meisterkampf und hofft auf eine Bayern-Zukunft von CEO Oliver Kahn.
Das Champions-League-Finale steht fest: Inter trifft auf Manchester City. In zwei Spielen ist City in dieser Form wohl von keinem zu schlagen. Das musste auch Real Madrid anerkennen. Hätten die Königlichen das Hinspiel mit zwei Toren Unterschied gewonnen, wäre es vielleicht eine andere Partie geworden und die Chancen dafür waren da. Aber so sind sie verdient ausgeschieden und das sollte für diesen Klub ausnahmsweise mal kein Problem sein, denn sie können ja nicht jedes Jahr die Champions League gewinnen.
Ich hoffe auch, dass sie Carlo Ancelotti ein weiteres Jahr behalten, denn das hat dieser Mann verdient. Zum einen haben sie letztes Jahr erst den Titel geholt und schon dort hat es ihnen kaum einer zugetraut. In jeder Runde waren sie so gut wie raus und haben immer wieder ein Wunder geschafft. Und auch in diesem Jahr ist es keine Schande in einem Halbfinale gegen so eine klasse Mannschaft auszuscheiden, auch wenn das Ergebnis natürlich nicht Madrid-like war. Trotzdem darf nicht vergessen werden, wer schon alles auf dem Sofa saß - nämlich der FC Bayern, Paris, Liverpool oder Barcelona. Ich wüsste auch nicht, wer aktuell besser zu Real passen sollte, denn sie brauchen keinen Fußballtrainer, sondern einen Staatsmann. Da fällt mir, wenn überhaupt gerade nur Xabi Alonso ein, aber der möchte weiterhin reifen und lernen und noch bei Bayer Leverkusen bleiben. Im Grunde glaube ich, so wie es in den letzten Wochen immer wieder zu lesen war, dass "Carletto" bleibt.
Sie haben den spanischen Pokal gewonnen und in der Champions League beispielsweise nach einem 0:2-Rückstand in Liverpool noch 5:2 gewonnen. Bis auf dieses eine Spiel in Manchester, war das oft klasse und mit Sicherheit keine Schande. Aber in Madrid ticken die Uhren anders und ganz sicher bin ich mir nicht, was die Trainer-Position angeht.
Das Finale wird für City nicht ganz so leicht, denn die Italiener können richtig gut verteidigen. Dumfries und Di Marco sind harte Jungs, im Mittelfeld sind mit Barella und Calhanoglu richtig gute Fußballer und Martinez oder Dzeko sind immer für ein Tor gut. Sie werden versuchen, das Spiel zu verzögern, eng zu machen und City den Spaß zu verderben. Aber der Favorit kommt aus England.
Die bisherige Amtszeit von Thomas Tuchel bewerte ich als durchwachsen. Das beste Spiel hat Bayern letzte Woche gegen Schalke 04 abgeliefert, als er endlich Thomas Müller hat spielen lassen. Verwirrt haben mich ehrlich gesagt vor allem seine Aussagen. Erst schockverliebt, dann wieder ratlos und irritiert. In seinen Augen hatten sie Manchester City zweimal am Haken. In meinen zu keinem Zeitpunkt. Aussagen eines Bayern-Trainers sind wichtig und haben auch eine Wirkung auf die Spieler in Sachen Glaubwürdigkeit. Ich kann mich nicht innerhalb von ein paar Tagen verlieben und dann wieder total ratlos sein. Die Spieler lesen das und bekommen es mit.
Wenn er nicht wenigstens Deutscher Meister wird, ist Tuchel in der Problemanalyse auch vorne mit dabei. Er hatte gute zwei Monate Zeit, ist kläglich aus zwei Pokalwettbewerben im Viertelfinale ausgeschieden und sollte doch wenigstens diesen einen sehr wichtigen Titel für den Verein einfahren. Was ich bereits vor einigen Wochen erwähnt habe und immer noch sehr präsent bei mir ist, war die Auswechslung in einem Champions-League-Viertelfinale gegen Manchester City, in dem die Entscheidung längst gefallen war und er nach dem Vorfall rund um Sadio Mané ausgerechnet ihn vor Thomas Müller einwechselt. Das verstehe ich bis heute nicht. Dass aktuell Ryan Gravenberch den Vortritt gegenüber Goretzka bekommt, hätte schon viel früher geschehen müssen. Goretzka ist in dieser Saison weit von seiner besten Form entfernt und nicht der Spieler, den wir kennen.
Wenn es adäquaten Ersatz gibt und es schlecht läuft, muss der Trainer den anderen eine Chance geben. Sonst hat der ganze Konkurrenzkampf keinen Sinn, wenn ohnehin immer die gleichen spielen, egal wie die Leistung ist. Die Aussage von Tuchel, den 30-Millionen-Stürmer Tel eventuell auszuleihen verstehe ich auch nicht. Ein Spieler der so viel gekostet hat und zudem fast immer trifft, wenn er eingesetzt wird, darf niemals ausgeliehen werden.
Und in der Nachwuchsarbeit der Bayern muss auch endlich mal etwas geändert werden. Es kann nicht sein, dass man so einen Campus hinstellt und kein Star entwickelt wird. Auch wenn das bei Bayern schwer ist, so dümpeln die U-Mannschaften nur so vor sich hin und nichts geht voran.
Im Übrigen glaube, dass es für die Bayern richtig ungemütlich gegen RB Leipzig am Samstag wird (ab 17:30 Uhr LIVE und EXKLUSIV auf Sky Sport Bundesliga). Es wird Leipzig richtig beflügeln, dass sie zum einen nicht so sehr unter Druck stehen und zum anderen den Bayern die Meisterschaft vermiesen können. Wenn der BVB seine beiden letzten Spiele gewinnt, werden sie Deutscher Meister. Davon bin ich überzeugt. Die Bayern haben gesehen, wie souverän die Dortmunder trotz des Drucks in den letzten beiden Wochen nachgezogen sind und nach ein paar Minuten die Spiele bereits mit drei Toren für sich entschieden hatten. Das macht etwas mit dem FC Bayern. Ich sehe den BVB als Meister. Das könnte am Ende für den FC Bayern trotz der riesigen Enttäuschung im Aufbau für die neue Saison vielleicht sogar helfen. Denn dann gibt es nichts schönzureden und wirklich jeder Stein wird umgedreht. Am Ende entsteht daraus meistens etwas richtig Gutes. Wenn sie nach dieser Saison doch noch die Schale bekämen, fällt die Analyse nicht ganz so rigoros aus, wie sie sein sollte.
Ich hoffe, dass Oliver Kahn die Chance bekommt, in der neuen Saison das geradezurücken, was in der jetzigen schlecht gelaufen ist. Man kann ja nicht jedes Mal den Vorstandsvorsitzenden wechseln, wenn eine Saison mal nicht gut läuft. Jeder wusste, oder musste wissen, dass Oliver Kahn nicht der Typ Mensch ist, der hier morgens mit Butterhörnchen und Kaffee von Büro zu Büro rennt und dafür sorgt, dass es allen Mitarbeitern gut geht und sie einen kuscheligen Arbeitsplatz haben. Er ist ein spezieller und eigener Typ, der nicht permanent kommunizieren möchte und von Streicheleinheit zu Streicheleinheit rennt.
Aber er ist ein Super-Typ mit großem Ehrgeiz, den wir alle über eine Dekade dafür verehrt haben, dass er der beste Torwart der Welt war und alles für Bayern und Deutschland gegeben hat. Deshalb glaube ich auch, dass er nun für seine jetzige Mannschaft auch alles gibt. Nur eben nicht mehr in kurzen Hosen. Und man kann ihm nun wirklich nicht vorhalten, dass er derjenige ist, der er ist. Sein Charakter war allen bekannt, die ihn auf diesen Posten gesetzt haben. Wenn wichtigen Menschen im Klub das eine oder andere nicht gefällt, dann sollte man mit ihm sprechen und versuchen, dies ein bisschen zu ändern. Aber ich hoffe und wünsche mir und ihm, dass er auch im nächsten Jahr noch da ist, sofern er das möchte. Man darf bei all den Querelen in dieser Saison auch eines nicht vergessen: wenn sich Hernández keinen Kreuzbandriss zugezogen und Manuel Neuer nicht Skifahren gegangen wäre, wäre sportlich alles ganz anders gelaufen.