Kolumne: Lothar Matthäus über die Siege des DFB-Teams und Löws Zukunft
Matthäus: ... dann ist ein Löw-Aus unausweichlich
17.11.2020 | 13:10 Uhr
Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt. Dieses Mal spricht der Rekord-Nationalspieler über die beiden Siege des DFB-Teams gegen Tschechien und die Ukraine. Außerdem spricht er über die Zukunft des Bundestrainers.
Ein Lob an die deutsche Nationalmannschaft. Zwei Spiele, zwei Siege. Sehr gut. Weiter so. In letzter Zeit gab es zurecht Kritik, aber es war jetzt auch mal schön zu sehen, dass wir zwei Partien in Folge verdient gewonnen haben.
Solche Spiele sind von großem Wert für den Bundestrainer
Das Match gegen Tschechien war ein Aufeinandertreffen zweier B-Mannschaften. Das ist für den Fan und Zuschauer nicht wirklich attraktiv und das sieht man auch an den Einschaltquoten. Zum einen war es nur ein Test und zum anderen stand nicht die Top-Elf auf dem Platz. Ich verstehe aber, dass auch solche Spiele von großem Wert für den Bundestrainer sind, da er nicht allzu oft die Möglichkeit bis zur EM hat, jüngere Profis auszuprobieren.
Gegen die Ukraine ging es dann in der Nations-League wieder um Punkte und Prestige und genau deshalb schaut man interessierter und genauer hin. Allein deshalb ist mir dieser Wettbewerb lieber als Testspiele gegen schwache Gegner. Zudem hat Jogi Löw die erste Garde aufs Feld geschickt. Die Siege gegen diese beiden Mannschaften, die nicht zur Weltspitze gehören, gingen absolut in Ordnung.
Ich hätte mir gewünscht, dass unsere Mannschaft die 3:1-Führung gegen die Ukraine in den letzten 20 Minuten nicht nur verwaltet, sondern auf das vierte und fünfte Tor geht. Sie hätten den guten Verlauf vergolden und für noch bessere Schlagzeilen sorgen können. Wenn dann alle Top-Spieler mit an Bord sind, kommt vielleicht auch diese absolute Siegermentalität wieder zurück. Ich denke da an das Duo Kimmich und Kroos, aber auch an Goretzka und Gündogan. Je nachdem, wen Jogi bevorzugt. Das sind dann Luxus-Probleme, die der Trainer zu lösen hat. Gegner und der entsprechende Matchplan werden hier ausschlaggebend sein.
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Lücken in der Defensive
Man hat allerdings gesehen, dass wir im Mittelfeld sowie im Sturm gut bis sehr gut besetzt sind. In der Defensive klaffen allerdings immer noch Lücken, die es bis zur EM zu schließen gilt. Wenn das deutsche Team weiterhin so viele Chancen zulässt und nicht sattelfest ist, werden die Stimmen nach Hummels und Boateng selbstverständlich nie verstummen. Kommunikation und Abstimmung müssen in den nächsten Monaten in diesem Bereich stark verbessert werden.
Gegen die Ukraine hätte es auch 8:4 ausgehen können. Da muss sich Löw und sein Team noch etwas einfallen lassen. Gegen die Top-Teams, die im Angriff andere Kaliber aufs Feld schicken, wird es sonst extrem schwer. Das wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit schon jetzt gegen Spanien sehen. Und wenn wir bei der Euro schon in der Gruppenphase auf Portugal, Frankreich und Ungarn treffen, kommt auf unsere Defensive viel Arbeit zu. Das sind zwei Spitzen-Teams und eine Mannschaft, die nichts zu verlieren hat und immer für eine Überraschung gut ist
Das Spiel gegen Spanien wird von noch größerer Bedeutung und Aufmerksamkeit sein. Der Weltmeister von 2010 gegen den von 2014. Zwei Mannschaften, die aktuell auf der Suche nach sich selbst sind. Spanien gehört natürlich immer noch zur absoluten Weltspitze und wird uns eine Menge abverlangen. Das klingt schon auf dem Papier nach Spitzen-Fußball und den bekommen wir auch hoffentlich zu sehen.
Irgendwann war der WM-Bonus aufgebraucht
Aktuell wird vermehrt über die Zukunft des Bundestrainers gesprochen. Die verkorkste WM, der eigentliche Abstieg aus der Nations League und das Aussortieren von drei großen Leistungsträgern haben den Stoff für diese Diskussion geliefert. Löw hat über zwölf Jahre nahezu perfekte Arbeit abgeliefert, aber irgendwann war der WM-Bonus aufgebraucht und er musste wieder bei Null beginnen.
Der Maßstab ist die Europameisterschaft im nächsten Jahr. Das Abschneiden der DFB-Elf bei diesem Turnier ist für Löw Position entscheidend. Ein Ausscheiden in der Vorrunde ist gleichbedeutend mit einem Aus als Bundestrainer. Übersteht Deutschland die schwere Gruppe, kommt es darauf an, wie man sich in den K.o.-Spielen präsentiert. Verliert Deutschland im Achtel- oder Viertelfinale, kommt es aus meiner Sicht auch auf das Wie an und nicht nur auf das Ergebnis. Ein Ausscheiden nach einer tollen Performance gegen eine Top-Nation muss nicht unbedingt das Aus von Löw bedeuten.
Er hat es sich verdient, mindestens bis zur EM in Ruhe arbeiten zu dürfen und dann vor den Augen der Welt zu zeigen, dass sein Plan und seine Strategie des Neuanfangs richtig waren.
Mögliche Kandidaten? Jürgen Klopp
Wenn man über mögliche Kandidaten spricht, gibt es nur einen, den sich in Zukunft alle wünschen würden und das ist Jürgen Klopp. Extrem erfolgreich, sympathisch und bei Fans und Medien gleichermaßen beliebt. Aber ich glaube, er ist in Liverpool noch lange nicht fertig und für die Nationalmannschaft hat er auch noch in einigen Jahren Zeit.
Wie alle Deutschland-Fans drücke ich Jogi weiter fest die Daumen. Wir hoffen zum einen, dass die EM im nächsten Jahr stattfindet und idealerweise heißt der Europameister Deutschland. Dann sehen wir Löw mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch bei der WM 2022 der DFB-Bank.