Chelsea: Eine Milliarde für einen Lichtblick
24.10.2023 | 11:49 Uhr
Sky Kommentator Florian Schmidt-Sommerfeld blickt in seiner Kolumne auf das Geschehen in der Premier League. In der neuen Ausgabe nimmt "Schmiso" den FC Chelsea ins Visier.
Zeit wird es, sich endlich mal um Chelsea zu kümmern. Wahnsinnig spannend, wahnsinnig viel Potenzial, wahnsinnig viel Geld - und die Blues machen einen wahnsinnig. Mauricio Pochettino zu holen war ein goldener Griff. Der Argentinier hat bei Tottenham bewiesen, dass er ein Topteam mit klarer Philosophie bis an die Spitze entwickeln kann. Mit großer Spielstärke und teils absurdem Spektakel (4:4 in Addition gegen Man City, das irre 3:2 Comeback gegen Ajax) hatten die ewigen titellosen Lillywhites eine Hand am Henkelpott. Klopps Liverpool griff 2019 aber entschlossener zu.
Jürgen Klopp hat direkt zum Saisonauftakt (1:1) verlauten lassen: Pochettino macht Chelsea (wieder) gefährlich. Unklar war, wann es so weit sein würde. Ein bis zu zerbersten aufgeblähter Kader, das Transfer- und Führungs-Chaos seit der Boehly-Übernahme und Tuchels Demission, teils war nicht mal Platz für alle Spieler in Umkleide- und Besprechungs-Räumen. Kurz gesagt: Zu viele Baustellen, um sie in wenigen Wochen aufzuräumen. Selbst Monate schienen mir da knapp bemessen.
Aber Pochettino weiß, wie so was geht. Er hat die größte Diva unter den europäischen Schwergewichten erlebt: Paris Saint Germain. Der Argentinier ist also abgehärtet. Der Saisonstart wirkte allerdings wie eine Fortsetzung des Chaos der indiskutablen Vorsaison der Blues. Der Coach brauchte eine Weile, um seine Grundordnung zu finden, wandte sich schnell von der (Tuchelschen) Dreierkette ab und seinem bei Tottenham erprobten 4-2-3-1/4-3-3 zu. Wie genial dieser Mann taktieren kann? Der Schachzug mit Connor Callagher und Cole Palmer im 4-4-2 gegen den Ball zwei Achter/Zehner-Typen in vorderster Linie anlaufen zu lassen, hat Arsenal am Sonntag über weite Strecken seine Spielfreude genommen.
Pochettino hat schon jetzt Vertraute gefunden, die immer spielen. Eine klare Achse. Besonders schön: Bei allem Transfer-Wahnsinn der letzten Monate - teils sogar aus der eigenen Jugend. Gallagher und Colwill sind gesetzt. Daneben 130-Millionen Mann Moises Caiecdo. Oder der ewige Thiago Silva (38 Jahre), der Chelseas Transfer-Irrsinn Ende der vergangenen Spielzeit scharf kritisierte. Unter der Bürde wird Chelsea unabhängig vom sportlichen Erfolg noch eine Weile ächzen. Sieben-Jahres-Rentenverträge waren die Regel statt die Ausnahme. Die ersten Boehly-Monate waren Money-Time für alle Berater. Wer 4-4-3 (!) spielen lassen will, kauft eben lieber einen Spieler mehr.
Wäre die Verletztenliste nicht so lang - sie könnte glatt als Shortlist für den Ballon d'Or herhalten. Fofana, Nkunku, Chilwell, Lavia, Badiashile, Chukwuemeka usw. Da sitzen regelmäßig hunderte Millionen in Transfer-Fees auf der Tribüne. Allein die genannten sollen um die 300 Millionen gekostet haben. Und verdächtig oft ist es der Oberschenkel-Muskel. Vielleicht mal einen Spieler in Frankreich belassen und für 30 Millionen ein paar Ärzte sowie Physios holen und über Training und Belastungssteuerung nachdenken? Nur so ein Gedanke.
Das Match of the Week hatte Chelsea nach dem Steffen-Baumgart-Gedächtnis-Tor von Mudryk (100 Millionen Ablöse) in der Schlussviertelstunde schon gewonnen, weil endlich unter Kontrolle. Nur um mit einem Katastrophenball von Torwart Sanchez (der teuerste Torwart der Welt Kepa ist übrigens an Real Madrid ausgeliehen) Arsenal noch ein Remis zu schenken. Ich bin deswegen weiter hin- und hergerissen, was die Blues angeht. Ich habe den Saisonstart exakt so holprig erwartet, auf Dauer aber auf die Qualität des Kaders und Pochettinos Geschick vertraut.
Für ein echtes Statement und einen aufkommenden Lauf Richtung Europa hätte das Spiel allerdings gewonnen werden müssen. Weil Chelsea eigentlich überzeugt und dazu noch das Matchglück hatte: Mudryks irres Tor, der nicht gegebene Elfer für Arsenal nach Bodycheck von Torwart Sanchez gegen Gabriel Jesus. Dann muss eine 2:0-Führung eine Viertelstunde vor dem Ende für den dritten Dreier in Serie reichen. Aber: einem Spitzenteam wie Arsenal reicht eben ein kleiner Funke.
Ein Spitzenteam ist Chelsea selbst noch nicht wieder. Die planlos rausgefeuerte Milliarde (!) auf dem Transfermarkt schwebt weiter wie ein grauer Schleier über dem blauen Teil West-Londons. Ein Lichtblick war die Leistung gegen Arsenal aber allemal.
Chelsea kann mit den Champions League Teams wieder konkurrieren. Der nächste Schritt: einen solchen Rivalen auch schlagen.
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