Mislintat über VfB-Weg mit jungen Spielern: "Es gab nie Zweifel"
20.12.2021 | 09:09 Uhr
Stuttgarts Sportdirektor Sven Mislintat spricht im Sky Interview über die Verletztenmisere beim VfB, Stuttgarts Philosophie, Trainer Pellegrino Matarazzo, das Spiel bei seinem Ex-Verein Dortmund, den BVB als Meisterschaftsaspiranten und Jadon Sancho, den er seinerzeit nach Dortmund geholt hat.
Sky Sport: Herr Mislintat, der VfB Stuttgart ist seit vier Spielen ohne Sieg und steht knapp über den Abstiegsplätzen. Das ist die eine Wahrheit. Die andere ist, dass der VfB ganz enorme Verletzungsprobleme hat.Wo steht der VfB und wohin führt der Weg?
Sven Mislintat: Über dem Strich zu stehen ist unser Ziel. Da ist uns relativ egal, ob wir auf Platz 14 oder 15 stehen. Es wäre natürlich schöner, wie im vergangenen Jahr auf Position neun zu landen. Zu den Verletzungen: Wenn du gebündelt in einem Mannschaftsteil Ausfälle hast, ist das nicht so einfach zu kompensieren. Dann gehen Rhythmus und Automatismus flöten. Uns dem zu stellen ist, das unsere Aufgabe.
Sky Sport: Es fehlt nicht nur VfB-Top-Torjäger Sasa Kalajdzic, sondern die vier besten Schützen der Vorsaison. Kann man das überhaupt kompensieren?
Mislintat: Mit Nicolas Gonzalez haben wir einen argentinischen Nationalspieler verkauft, der Torgefahr ausgestrahlt hat. Wir haben das Notwendige getan, um Corona-Defizite auszugleichen. Wenn dann aber Sasa und Silas wegbrechen, die zu den Top-Torschützen gehörten, und darüber hinaus Chris Führich und Omar Marmoush, die in der 2. Liga schon viele Scorerpunkte geliefert hatten, fehlen, tut das weh. Das ist die Maschinerie, mit der du planst, und da ist es auch nicht so, dass du für jeden zusätzlichen Ersatz verpflichten möchtest und darfst. Denn wir haben junge Spieler, die hinten dranhängen, wie Roberto Massimo, Mateo Klimowicz und Tanguy Coulibaly, um drei zu nennen, die gerade einen Tick zu viel Verantwortung für die Situation tragen müssen. Die Jungs sind eigentlich die Herausforderer und waren nicht jede Woche auf dem Platz geplant. Dafür verkaufen sie sich so teuer wie möglich, und das gehört auch zu ihren Entwicklungsschritten. Wenn fast 50 Tore im Vergleich zur Vorsaison fehlen oder nicht zur Verfügung stehen, kann das keine Mannschaft einfach kompensieren.
Sky Sport: Gab es Überlegungen, vielleicht vertragslose Spieler dazu zu holen, oder gab es an dem Weg mit den jungen Spielern nie einen Zweifel?
Mislintat: Da gibt es überhaupt keine Zweifel, weil dieser Weg sauber gebaut ist. Ich glaube nicht, dass wir das so scharf diskutieren würden, wenn wir nicht die Verletzungsmisere hätten, die wir haben. Wir sind ein gebranntes Kind, sind mit Spielern, die in der Vorsaison Leistungsträger waren, im zweiten Bundesligajahr abgestiegen. Da waren mehrere über 30-Jährige dabei, Nationalspieler. Dieser Weg hat nicht funktioniert und viel Geld gekostet mit dem Abstieg in die 2. Liga. Wir haben einen klaren Weg, eine Strategie entwickelt, der wir auch treu bleiben. Wir haben ganz bewusst den Weg gewählt, Platz und Vakuum zu schaffen, damit die Jungs die nächsten Entwicklungsschritte machen können. Wir dürfen nicht vergessen, dass Platz 13 unser Platz eins ist, und wenn man dann etwas unterperformt, ist man etwas härter im Abstiegskampf, als sich vielleicht alle gewünscht haben. Selbst wenn alle Mann an Bord sind, ist unser Thema die Klasse zu halten, nichts anderes.
Sky Sport: Ist bei Trainer Pellegrino Matarazzo momentan in besonderem Maße Empathie gefragt?
Mislintat: Die hat er eh. Er ist sicherlich einer der Besten in diesem Bereich. In er Art und Weise, wie er mit den Spielern kommuniziert und sie am richtigen Hebel packt, außergewöhnlich gut. Wir sagen ja nicht umsonst so oft, dass wir ihn gut finden.
Sky Sport: Sie beschreiben einen Weg hin zur Kontinuität, Aufbau junger Talente, die zu Leistungsträgern formen. Inwieweit muss man einen Weg einfach mal durchziehen, einen Schritt zurückgehen, um danach mehrere Schritte nach vorne zu gehen?
Mislintat: Das ist das klare Ziel und die Überschrift über unsere Philosophie. Es ist die Rückkehr zu einer Identität, die der Verein sehr erfolgreich gelebt hat. Wir müssen uns alles hart Schritt für Schritt zurück erarbeiten, und genau das tun wir. Und dafür ist es wichtig, dass wir ein hervorragendes Trainerteam haben, dass wir ein massives Potenzial haben, eine Arbeitsmoral, Kommunikationskultur und eine positive Streitkultur. Das haben wir gut hingekommen, und dann wird uns auch nicht aus der Bahn werfen, dass wir gegen Augsburg und Bielefeld verloren haben. Wir haben übrigens letztes Jahr zweimal gegen Bielefeld verloren. Das soll nichts schönreden, aber jedes Spiel in der Bundesliga, mit Ausnahme der Spiele gegen die Top 5, ist immer offen. Nur den Spielen wie am Samstag in Dortmund sind wir klarer Außenseiter, aber auch in den anderen Spielen sind wir nie der Favorit.
Skysport.de: Mit welcher Zielsetzung fährt der VfB nach Dortmund, zu Ihrem ehemaligen Verein?
Mislintat: Wir sind absoluter Außenseiter, aber das Geile im Fußball ist, dass du als Außenseiter auch gewinnen kannst. Wir gehen Spiele immer so an, dass wir drei Punkte holen wollen. Das ist das Besondere, dass diese Mannschaft immer gezeigt hat, und was die Kurve zurückspielt.
Sky Sport: Würden Sie sagen, dass Dortmund ein Mitfavorit auf die Meisterschaft ist oder ist es am Ende doch so, dass an den Bayern kein Weg vorbeiführen wird?
Mislintat: Borussia Dortmund ist einer der Klubs, die an sich selbst den Anspruch formulieren müssen, Meister werden zu wollen. Das gilt auch für Red Bull Leipzig und Bayer Leverkusen, die extrem viel investiert haben, genau wie der VfL Wolfsburg. Es gibt eine Lücke zu den anderen Vereinen, auch zu den Bayern, aber das darf meiner Meinung nach nicht die Erklärung dafür sein, dass Bayern neun Mal hintereinander Meister wird. Da muss, finde ich, jeder einen klaren Anspruch an sich selbst formulieren. Trotzdem bleibt Bayern der Favorit, aber Dortmund ist mit vier Punkten Rückstand noch einer der absoluten Titelkandidaten.
Skysport: Sie haben damals Jadon Sancho nach Dortmund geholt. Es war zu lesen, dass er bei Manchester United zum Außenverteidiger umgeschult werden soll. Verursacht das bei Ihnen Stirnrunzeln, oder überrascht Sie das vielleicht gar nicht so sehr?
Mislintat: Man müsste sich ganz genau angucken, wie Manchester United diese Position interpretiert. Wenn ich Trainer wäre, was ich zum Glück nicht bin, hätte ich eine andere Position für ihn im Kopf. Auf dem Flügel oder in unserem System als Doppelzehn. Wenn man schaut, was Wingbacks (englischer Begriff für Außenverteidiger, Anm. d. R.) oft für läuferische Kapazitäten haben, was für eine Dynamik in beide Richtungen entwickeln müssen, was sicherlich komplett im Willen des Jungen ist. Aber man muss sich auch immer fragen: Wo sind die Stärken am besten eingesetzt? Aber ich bin mir auch sicher, dass Ole-Gunnar Solskjaer sich klare Gedanken macht. Vielleicht ist er defensiv ganz anders abgesichert, vielleicht steht er (der Verteidiger) asymmetrisch hoch. Da müsste ich sehr, sehr genau reinschauen in die Struktur. Wollen sie ihn außen oder innen laufen haben? Wie wollen sie ihn ins Spiel bringen? Da sind so viele Thematiken, dass ich das aus der Distanz nicht betrachten kann.
Das Interview führte Alexander Bonengel
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