Vom goldenen Schuh in die Wüste: Über den Absturz des James Rodriguez
26.09.2021 | 19:38 Uhr
Vor sieben Jahren avancierte er bei der Weltmeisterschaft zum Superstar und Helden einer gesamten Nation - nun wechselt James Rodriguez mit gerade einmal 30 Jahren in die Wüste. Die Gründe für den Absturz des Edel-Technikers sind vielseitig. Eine Rolle dabei spielt Trainer Rafa Benitez.
Wir schreiben den 28. Juni 2014. Kolumbien trifft im Achtelfinale der Weltmeisterschaft auf Uruguay - zwei Tore eines jungen Mittelfeld-Akteurs entscheiden die Begegnung. Die stolze Nation ist elektrisiert. Es war der Tag, an dem der Stern von James Rodriguez in voller Pracht am Fußballhimmel aufgehen sollte.
Es folgten der Gewinn des goldenen Schuhs sowie des Puskas-Preises seitens der FIFA. Europas Spitzenklubs rieben sich die Hände nach ihm. Real Madrid bekam den Zuschlag und holte James für 75 Millionen Euro von der AS Monaco. Bis heute ist der Kolumbianer damit der zwölftteuerste Transfer der Fußball-Geschichte.
Doch gut sieben Jahre später sieht die Welt des Kolumbianers anders aus. Der einst aufstrebende Shootingstar war in den vergangenen Jahren nach und nach aufs Abstellgleis geraten. Auch das zwischenzeitliche Engagement beim FC Bayern konnte an seiner sportlichen Situation nichts ändern. Nun wechselt James nach Katar. Die europäische Fußball-Bühne verliert einen ihrer beeindruckendsten Akteure.
Denn der Kolumbianer galt lange Zeit nicht nur als einer der begnadetsten Kicker seiner Generation, sondern auch als einer der polyvalentesten. Obwohl er sich selbst meist als Zehner im offensiven Zentrum versteht und diese Nummer seit seiner Jugend bis zum Wechsel zu Bayern 2017 auf dem Rücken trug, ist Rodriguez viel mehr als das. Seine anmutige Technik, seine Geschwindigkeit und seine Übersicht als Spielmacher sorgten seit jeher für Vergleiche mit der vielleicht einzigen noch größeren kolumbianischen Nummer Zehn, seinem legendären Landsmann Carlos Valderrama.
James ist nicht nur Dirigent im Mittelfeld, sondern zeichnete sich in der vergangenen Dekade auch als eiskalter Vollstrecker aus. Direkte Freistöße, Konter, ansehnlich vorbereitete Kombinationen - James kann ein wahrer Zauberer sein.
Genau das wusste auch Carlo Ancelotti. Vor allem er war es, der die königlichen Verantwortlichen überzeugte, James aus Monaco loszureißen. In seiner Debütsaison 2014/15 gelangen dem Kolumbianer gleich 35 Torbeteiligungen in 46 Spielen. Zudem wurde er zum besten Mittelfeldspieler der La Liga und ins Team des Jahres gewählt. Doch Ancelotti sollte Real noch nach Ende dieser Saison verlassen - für James begann damit die wohl schwierigste Zeit seiner Karriere.
Es folgte Rafael Benitez. Der 61-Jährige und James sollten einfach nicht zueinander finden. Im Gegenteil. In gerade einmal sechs Monaten Zusammenarbeit entwickelte sich eine Fehde zwischen den beiden. Hintergrund: James verpasste den Saisonstart unter Benitez verletzungsbedingt. Als er wieder fit war, gewährte ihm Benitez dennoch keinen Platz. "Ihm fehlt momentan der Rhythmus und die Form", sagte der Spanier damals.
Vier Tage nach dieser Aussage lief James 90 Minuten für Kolumbien auf, ein Treffer gelang dem Linksfuß dort. Nach der Partie schien er sichtlich genervt über Benitez' Statement: "Für diejenigen, die sagen, dass ich nicht in guter Form bin: Ich bin bereit für weitere 90 Minuten, ich trainiere gut für Real Madrid, ich fühle mich gut. Ich sage immer wieder, dass es mir gut geht".
Das böse Blut zwischen den beiden war inzwischen geflossen. Auch in den weiteren Wochen war ein Startelf-Einsatz von James absolute Rarität. Benitez zweifelte weiter an dessen Einsatz und sagte ihm, dass es bessere Spieler als ihn gäbe und er noch etwas arbeiten müsse.
Eine faire Chance schien der Kolumbianer unter Benitez allerdings nie bekommen zu haben. Doch auch der Trainerwechsel zu Zidane hat an seiner sportlichen Situation nichts geändert. Für den Kolumbianer war schlichtweg kein Platz mehr bei den Königlichen. Es folgte eine zweijährige Leihe zum FC Bayern im Sommer 2017, wo er erneut auf seinen einstigen Förderer Ancelotti traf.
"Die Verpflichtung von James war der große Wunsch unseres Trainers Carlo Ancelotti", sagte Karl-Heinz Rummenigge. Und tatsächlich: Trotz Ancelottis Entlassung im September 2017 spielte James im Anschluss mit sieben Toren und elf Vorlagen eine gute Saison.
"Wir sind sehr zufrieden mit seiner Entwicklung. Er ist ein sehr, sehr guter Transfer", lobte Rummenigge den Kolumbianer. Doch die Bayern zogen die Kaufoption über 42 Millionen nicht, so dass der Edel-Techniker 2019 nach Madrid zurückkehrte. Dort erlebte er eine Art Mini-Deja-vu unter Zidane. James brachte es in der folgenden Saison lediglich auf acht Einsätze. Keine Motivation, ohne Leidenschaft und wie ein Fremdkörper - eine Knieverletzung tat ihr Übriges.
Alle Parteien warteten nach Saisonende auf eine Lösung. Und für die musste wieder mal Ancelotti sorgen. Der FC Everton, bei dem der Italiener mittlerweile angestellt war, hatte James aus Madrid befreit. Sein Start bei den Toffees hätte kaum besser laufen können. Drei Tore und zwei Vorlagen in den ersten vier Premier League-Partien sind nur ein Teil der Wahrheit. James kreierte Chancen, hatte wieder die Ballsicherheit und Technik, die ihn einst so begehrt machte, und war dazu sogar defensiv engagiert. Der Zauberer war zurück.
James wuchs wieder zum Superstar, der er in Madrid nicht mehr sein durfte. Doch die Freude hielt nicht lang. Ancelotti wurde nach nur sechs Monaten wieder einmal entlassen. Ein Szenario, das sich wie ein Kreislauf durch die Karriere von James zieht. Doch es kam noch bitterer: Ausgerechnet Rafa Benitez folgte als Cheftrainer auf Ancelotti - der Super-GAU für den Kolumbianer.
Und natürlich: Unter Benitez verfiel James schnell in alte Muster. Leidenschaftslos soll er sich während der Trainingseinheiten präsentiert haben. Unter Benitez war James wieder einmal außen vor. Zudem schoss er sich zuletzt selbst ins Aus, als er in seinem Livestream während seiner Quarantäne den Satz äußerte: "Ich weiß nicht mal, gegen wen Everton spielt…"
Der Absturz des James Rodriguez ist perfekt. Nun hat der Wüsten-Klub Al-Rayyan Kolumbiens Fußballhelden unter Vertrag nehmen. Ohne Ancelotti scheint James einfach nicht zu funktionieren. Die große Fußball-Bühne verliert dadurch einen seiner begnadetsten Fußballer.
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