Messis letzter Tango, um die Status-Lücke zu Maradona zu schließen
08.08.2023 | 10:37 Uhr
Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "OHA, KATAR" auf die WM im Wüstenstaat - und schildert seine ganz persönlichen Eindrücke.
Nicht auszuschließen, dass Diego Maradona in der Albiceleste-Sektion des Fußball-Himmels bereits erste Vorkehrungen getroffen, den Staffelstab schon mal blank geputzt hat. Vorsorglich. Denn wie es ausschaut, steht die Krönung kurz bevor.
Messi - Messi - Messi! Und dazu ein hochqualifiziertes Kollektiv. Die Unerbittlichkeit, mit der die Argentinier nach der Auftakt-Peinlichkeit gegen Saudi-Arabien durch die sportlichen Aufgabenstellungen gepflügt sind, wird von Spiel zu Spiel beeindruckender. Genau wie die Auftritte des 35-jährigen Anführers. Am Sonntag tanzt er seinen letzten WM-Tango - und hat gute Chancen, die Status-Lücke zu schließen, die bislang noch zwischen ihm und dem Weltmeistermacher von 1986 klafft.
Was Messi in Katar abliefert, bewegt sich irgendwo in der Schnittmenge zwischen Ein-Mann-Büffelherde, Eintänzer und Schach-Großmeister - garniert mit ein bisschen Gift- und-Galle-Mentalität im Grenzbereich. Der Leisetreter mit den begnadeten Füßen hat nicht nur sein Spiel modifiziert, sondern auch seine Außendarstellung. Die langen Solo-Läufe setzt er dosierter ein, seine Nebenleute glänzen zu lassen, scheint ihm wichtiger zu sein denn je.
Und die "Bobo"-Affäre mit Wout Weghorst? Sympathischer hat ihn die Szene sicher nicht gemacht. Und doch wirkte die herablassende Ansage an den holländischen Doppel-Torschützen wie ein Beleg für Messis neue Kantigkeit. Die Überzeugung und der unbedingte Wille, mit der das dribbelnde Naturereignis sein Ensemble zum Sieg gegen Kroatien geführt hat, erinnerte jedenfalls sehr wohl an Maradonas Jahrhundert-Auftritt gegen England. ALLES, was notwendig ist für DEN Erfolg!
Seit heute wissen wir, dass es am Dienstag sein vorletzter Länderspiel-Einsatz war. Mit seiner öffentlichen Absichtserklärung, nach Turnierende den Dienst in der Nationalmannschaft zu quittieren, hat er das Finale zum ultimativen Showdown seiner unvergleichlichen Karriere hochgestuft. Ein Glanz-und-Gloria-Abgang, der das letzte Puzzle-Stück liefert, um nicht nur die aktuelle GOAT-Debatte zu einer verlässlichen Klärung zu führen, sondern auch den letzten Zentimeter einzusammeln, um zu Maradonas Augenhöhe aufzuschließen - so steht es wohl in den Drehbüchern der meisten Hobby-Regisseure.
Ein - vor allem auch aus deutscher Sicht - außerordentlich merkwürdiges Turnier, könnte am Ende also noch zu einer Veranstaltung für die Geschichtsbücher werden. Schon irgendwie verstörend, dass der zeremonielle Abschlusstusch dieser einzigartigen Ära ausgerechnet in Katar stattfinden wird - das hätte sich höchstwahrscheinlich auch Diego Maradona ein bisschen anders vorgestellt.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich irgendwer aus Frankreich oder Marokkko erdreisten sollte, die Pointe dieses Fußball-Märchens zu besudeln, müsste dann wohl Katja Ebstein helfen, das Bild wieder geradezurücken:
"Weine nicht um mich, Argentinien. So wild es auch war mein Leben. Treu bin ich immer nur dir geblieben. Bis an das Ende. Reich mir die Hände"